Kinder nehmen sich zu Herzen, was ihre Eltern ihnen sagen. Und auch wenn die meisten Eltern nur Gutes bewirken wollen, wenn sie ihren Kindern Anweisungen oder Ratschläge geben, können ihre Worte doch von den Kleinen anders aufgefasst werden, als von den Großen gedacht.
In vielen Alltagssituationen verwenden Eltern schnell bestimmte Sätze und formelhafte Phrasen, die Kinder als Zurückweisung auffassen könnten.
Der Grund: Die Gehirne von Menschen bilden sich im Gegensatz zu anderen Säugetieren nach der Geburt noch weiter - die Persönlichkeit und viele kognitive Fähigkeiten entwickeln sich erst im Laufe der Jahre.
Verbaler Missbrauch kann die kindliche Seele verletzen
Einen großen Einfluss darauf hat das soziale Umfeld und damit die Eltern. Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen haben in mehreren Studien herausgefunden, dass diese Entwicklungen neben körperlichen und sexuellen Missbrauch auch durch verbalen Missbrauch beeinträchtigt werden können.
Unter verbalem Missbrauch werden beispielweise Sätze wie "Du bist dumm" oder "Wenn du dich weiter so aufführst, hat dich Mami nicht mehr lieb" verstanden.
Verbaler Missbrauch kann zu "tiefen Verletzungen in der kindlichen Seele führen und Auswirkungen auf den Selbstwert und das Vertrauen des Kindes haben", so die Psychologin und Psychotherapeutin Nicole Trummer auf "gewaltinfo.at", einer Webseite des österreichischen Ministeriums.
Es gibt aber auch subtilere Formen von verbalem Missbrauch, die von den Eltern selbst gar nicht bemerkt werden. Deshalb ist es sehr wichtig, dass Eltern ihre Worte mit Bedacht wählen und nicht leichtfertig ihren Kindern Dinge an den Kopf werfen, die sie eigentlich nicht so meinen - aber von ihrem Nachwuchs sehr ernst genommen werden.
1. Beeil dich!
Jede Mutter und jeder Vater kennt das: Man ist in Eile, aber das Kleinkind will sich seine Schühchen unbedingt alleine anziehen und alles dauert mal wieder länger. Da fordert man sein Kind natürlich auf, sich zu beeilen.
Was das Kind in diesem Zusammenhang versteht: Ich störe nur und bin meinen Eltern eine Last. In diese Kategorie fallen auch: Sei mal ruhig! Kannst du nicht still stehen?
Experten schlagen vor, stattdessen zu sagen: Wie viel Zeit brauchst du noch, um deine Schuhe anzuziehen?
2. Pass auf, wo du hinläufst!
Kinder erkunden gerne die Welt um sich herum - und Eltern warnen sie vor etwaigen Gefahren.
Das Kind versteht: Die Welt ist ein gefährlicher Ort - ich ziehe mich am besten zurück. In diese Kategorie fällt auch: Fass das nicht an, pfui!
Besser: Sei vorsichtig und pass auf dich auf, wenn du hier entlang läufst
3. Hör auf, zu weinen.
Das Kind weint, weil es ins Bett gehen soll.
Das Kind versteht: Hör auf, deine Gefühle zu zeigen. In diese Kategorie fällt auch: Schrei nicht herum.
Besser ist es, nach der Ursache seiner Traurigkeit fragen: Wieso weinst du? Was kann ich tun, damit es dir wieder besser geht?
4. Wie oft soll ich dir das noch sagen?
Das Kind hat auch nach dem 15. Mal noch nicht verstanden, wie es die Gabel benutzen soll und matscht herum.
Das Kind versteht: Du hast versagt.
Besser: Versuchen wir es noch einmal gemeinsam.
5. Echte Jungs weinen nicht!
Der kleine Junge ist traurig, weil er sein Lieblingsplüschtier verloren hat.
Das Kind versteht: Ich bin ein Junge und darf deshalb keine Gefühle zeigen. In diese Kategorie fällt auch: Du benimmst dich ja überhaupt nicht wie ein Mädchen.
Besser: Das Kind einfach trösten, weil es traurig ist.
6. Sie macht das viel besser als du!
Man vergleicht sein Kind mit dem Nachbarsmädchen, das schon viel mehr kann, und will es so motivieren.
Das Kind versteht: Du bist Schlechter als die anderen.
Besser: Ich liebe dich so wie du bist.
7. Du solltest dich schämen!
Das Kind hat eine Vase umgeworfen - obwohl es nicht herumrennen sollte.
Das Kind versteht: Ich bin eine schlechte Person.
Wenn es seinen Fehler bereut, kann man sagen: Wir alle machen Fehler - so lernen wir, es besser zu machen.
8. Nie räumst du dein Zimmer auf!
Im Kinderzimmer herrscht mal wieder Chaos.
Das Kind versteht: Ich mache das immer falsch und werde es nie richtig machen.
Besser ist es, die aktuelle Situation anzusprechen: In deinem Zimmer liegen deine Spielsachen am Boden verstreut!
9. Jetzt bin ich aber traurig, weil du die Zähne nicht geputzt hast!
Das Kind weigert sich, die Zähne zu putzen.
Das Kind versteht: Ich bin schuld, dass Mami oder Papi jetzt traurig sind.
Besser ist es, das Kind nicht mit seinen Gefühlen zu manipulieren, sondern neutral zu bleiben.
10. Du sollst jetzt den Tisch aufräumen!
Auf dem Tisch liegen mal wieder die Malsachen des Kindes verstreut.
Das Kind versteht: Meine Bedürfnisse spielen keine Rolle.
Besser ist es, die Aufforderung als Bitte zu formulieren: Kannst du bitte den Tisch aufräumen? Bei Unsicherheiten kann man laut Trummer hinzufügen: Es ist mir wichtig, dass du das, was ich sagen will, auch richtig verstanden hast. Kannst du mir mit deinen eigenen Worten nochmal sagen, was du gerade gehört hast?
Klar rutschen Eltern die oben genannten Sätze mal raus - das ist auch nicht weiter schlimm. Trummer warnt jedoch davor, dass sich verbale Ausrutscher in den Alltag einschleichen: "Sind solche Zuschreibungen und Abwertungen jedoch täglicher Sprachgebrauch, so lassen diese die Kinderseele weinen und können negative Auswirkungen auf das gesamte weitere Leben des Kindes haben."