Wladimir Putin hat mit dem Überfall auf die Ukraine begonnen. Die Reaktion darauf muss für Russland so schmerzhaft wie möglich sein – auch wenn sie uns selbst weh tut.
Nach dem russischen Großangriff auf die Ukraine will Deutschland ein ganz großes Sanktionsbündel gegen Moskau schnüren. "Wir werden das volle Paket mit massivsten Sanktionen gegen Russland auf den Weg bringen", verkündete Bundesaußenministerin Annalena Baerbock. Sehr schnelle Wirtschaftssanktionen der EU und der USA kündigte Wirtschaftsminister Robert Habeck an.
Welche Strafmaßnahmen die Bundesregierung konkret im Sinn hat, behielten Baerbock und Habeck für sich. Darüber will sich Berlin zunächst international mit der Europäischen Union, der Nato sowie den stärksten Wirtschaftsmächten im G7-Format abstimmen. Ein Thema muss dabei auf jeden Fall auf den Tisch: Russlands Energieverkäufe in den Westen.
Russland bezahlt Ukraine-Krieg auch mit Gaserlösen
Wenn Deutschland sich selbst ernst nimmt, dann muss es jetzt mehr tun als Nord Stream 2 zu stoppen und neu zu bewerten, wie Kanzler Olaf Scholz es nannte. Es muss jetzt eigenhändig den Hahn für russisches Gas zudrehen, denn der Export von Öl und Gas ist die wichtigste Einnahmequelle des Kreml. Und das bedeutet: Mit jedem Kubikmeter Gas, den wir Russlands Präsident Wladimir Putin abkaufen, finanzieren wir indirekt auch seinen Krieg gegen die Ukraine.
Die Bundesregierung verweigert Kiew die Unterstützung mit Waffen unter Hinweis auf den politischen Grundsatz, dass Deutschland keine Kriegswaffen in Krisengebiete exportiere. Dann muss sie auch Russland die Unterstützung mit Geld verweigern, mit dessen Hilfe Putin die Panzer baut, die gerade in die Ukraine rollen. Man kann den Ukrainern nicht versichern, man sei auf ihrer Seite, ihnen lediglich Helme liefern, die die Köpfe der Soldatinnen und Soldaten vor russischen Granatsplittern schützen sollen, und gleichzeitig die russischen Granatwerfer mitbezahlen.
Ein Energie-Embargo wäre ein großer Schritt für die Bundesregierung, doch sollte es gelingen, die anderen Länder der Europäischen Union mit ins Boot zu holen, wäre es eine Strafmaßnahme, die Russland empfindlich treffen würde. Ein EU-Handelsstopp mit Gas hätte einen Einbruch der russischen Wirtschaftsleistung um knapp drei Prozent zur Folge, schätzt das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). Ein Handelsstopp mit Öl einen Einbruch um gut ein Prozent. Dabei spiele es keine Rolle, ob die EU ein Einfuhrembargo verhängt oder ob Russland von sich aus den Gashahn zudreht.
Natürlich würde ein Verzicht auf russisches Gas auch hierzulande für Probleme sorgen, denn Deutschland bezieht mehr als die Hälfte seiner Erdgasimporte aus Russland. Doch wie groß diese Probleme tatsächlich wären, darüber sind sich auch Experten uneins. So geht das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) von der Möglichkeit stark steigender Gaspreise, einer Inflationsrate von bis zu 6,1 Prozent und einem geringeren Wirtschaftswachstum 2023 aus. Das IW betont aber auch, es handle sich um mögliche Entwicklungen und nicht um Prognosen.
Das IfW glaubt dagegen, ein Öl- und Gas-Embargo der EU gegen Russland würde die eigene Wirtschaft kaum treffen. "Für Deutschland und die EU wären die wirtschaftlichen Schäden in beiden Fällen äußerst gering", schlussfolgerte das Kieler Institut anhand einer Simulation. Im Falle eines Handelsstopps für Gas würde das deutsche Bruttoinlandsprodukt demnach sogar um 0,1 Prozent wachsen, weil die westlichen Verbündeten die fehlenden Importe aus Russland durch Produkte der Bündnispartner ersetzen würden und Deutschland – das beispielsweise für die energieintensive Metallproduktion und -verarbeitung nur verhältnismäßig wenig russisches Gas verwendet – hier besonders wettbewerbsfähig sei.
Koalition muss notfalls Entlastungspaket nachbessern
Wer mit seinen Einschätzungen richtig liegt –das IfW oder das IW – darf letzten Endes ohnehin keinen Unterschied machen. Denn die deutsche Energieversorgung ist auch ohne russisches Gas gesichert, wie Wirtschaftsminister Habeck nach Putins Ukraine-Überfall versicherte. Dafür seien in den vergangenen Wochen Vorkehrungen getroffen worden. Und sollten die Energiepreise zu sehr in die Höhe schießen, muss die Koalition eben bei ihrem am Mittwoch beschlossenen Paket zur Entlastung der Bürger nachlegen, auch wenn es teuer werden könnte.
In unserer globalisierten Welt treffen Sanktionen fast nie nur diejenigen, für die sie gedacht sind. Sie haben immer auch Auswirkungen in den Ländern, aus denen sie kommen. Doch für die Bundesregierung muss jetzt der moralische Kompass die Richtung vorgeben und nicht das Kassenbuch. Deshalb kann keine der hier beschriebenen Konsequenzen eine Rechtfertigung dafür sein, Putin mit dem Kauf seiner Energieträger weiter Geld in die Kriegskassen zu spülen.