Britischer Ex-Agent findet Belege: Russische Schiffe waren vor Explosionen bei Nord-Stream-Leitungen

04.05.2023 11:34

Ihre Ortungssysteme waren ausgeschaltet. Dennoch konnte ein pensionierter britischer Agent die Routen russischer Schiffe vor dem Nord-Stream-Anschlag aufspüren. Technisch waren sie wohl in der Lage, Unterwasseroperationen durchzuführen.

Möglicherweise wird die Frage, wer die Nord-Stream-Gaspipeline zerstört hat, nie geklärt. Aber es mehren sich die Indizien, dass hinter dem Anschlag doch Russland stecken könnte – auch wenn es vielleicht bizarr anmutet, dass das Land seine eigenen, teuren Meeresröhren sprengen könnte.

Schiffe ohne Ortungssystem

Bereits vor einigen Tagen wurde über Fotos berichtet, die die Anwesenheit russischer Schiffe vor dem Zeitpunkt der Pipelinedetonation zeigen sollen. Jetzt meldet sich in einer skandinavischen Dokumentation ein früherer britischer Agent zu Wort und behauptet, dass er vor rund einem Jahr in der Gegend um Bornholm die Anwesenheit russischer Schiffe dokumentieren konnte. Offenbar sollte ihr Einsatz geheim bleiben, denn sie hatten ihre automatischen Identifikationssysteme ausgeschaltet. Der mittlerweile pensionierte Geheimdienstler will allerdings die Funkfrequenzen kennen, mit denen die Kapitäne ihre Positionen nach Russland melden.

Am 26. September 2022 hatten Explosionen die deutsch-russischen Gaspipelines am Grund der Ostsee beschädigt. Die insgesamt vier Explosionen rissen in den Wirtschaftszonen Schwedens und Dänemarks Lecks in die Nord-Stream-Pipelines, die für den Transport von russischem Gas nach Deutschland gebaut worden waren. Die Pipelines waren zum Zeitpunkt der Explosionen nicht in Betrieb, enthielten aber Gas. Nach den Angaben Schwedens steckt Sabotage hinter dem Vorfall. Demnach wurden Sprengstoffreste nachgewiesen. 

Satelliten bestätigen die Daten

Die dreiteilige Doku "Schattenkrieg" ist eine Produktion der öffentlich-rechtlichen Sender Dänemarks, Schwedens, Norwegens und Finnlands. Auch der "Spiegel", das ZDF, der Wiener "Standard" und das Schweizer Redaktionsnetzwerk Tamedia konnten die Daten des Briten einsehen. "Seine Angaben ließen sich mithilfe von Satellitenbildern und weiteren Recherchen in wesentlichen Punkten untermauern", schreibt etwa der "Spiegel". Dem Blatt zufolge würden auch Fachleute die Erkenntnisse des Rentners für authentisch und wertvoll halten.

Nach eigener Auskunft hat der frühere Agent Teile seines Berufslebens mit dem Abhören der russischen Ostseeflotte verbracht und macht nun als Rentner einfach weiter. Seine Quellen seien öffentlich zugänglich, man müsse nur wissen, wo man sie finden könne, so der Mann, dessen echter Name nicht genannt wird. Anhand der von ihm gesammelten Daten ließen sich teilweise Bewegungsprofile der Schiffe erstellen.

Eines der Schiffe, deren Position der frühere Agent beobachtet hat, ist die "Sibirjakow", ein hydrografisches Forschungsschiff, das auch Unterwasseroperationen vornehmen kann und regelmäßig russische U-Boote begleitet. Zusammen mit einem weiteren Schiff habe sich "Sibirjakow" in unmittelbarer Nähe des späteren Explosionsortes aufgehalten.

Russische Schiffe sieben Kilometer vor Nord Stream

Die geheime Mission der Boote begann nach Angaben des Ex-Geheimdienstlers am 6. Juni 2022. Am Tag darauf hatte er sie zwischen der Insel Bornholm und der schwedischen Hafenstadt Karlskrona geortet. "Laut ihren Positionsdaten, im Abstand von mehreren Stunden gesendet heimlich mitgehört, befanden sich die Schiffe nur wenige Kilometer von den nördlichen Explosionsorten entfernt, vermutlich kamen sie noch näher", heißt es beim ZDF.

Das skandinavische Rechercheteam hat die Daten des Briten mit norwegischen Satellitenbildern verglichen. Auch dort lassen sich im besagten Zeitraum zwei Schiffe in der unmittelbaren Umgebung der Detonationsstelle erkennen, die sich über längere Zeit kaum bewegen. Die Aufnahmen sind allerdings nicht hochauflösend genug, um zweifelsfrei erkennen zu können, um welche Schiffe es sich handelt.

Bereits im Dezember hatte die amerikanische Computerzeitschrift "Wired" unter Berufung auf die Analysefirma SpaceKnow von zwei "Dark Ships" berichtet, die kurz vor den Explosionen von Nord-Stream am Tatort gesichtet worden. "Dark Ships" ist die Bezeichnung für Schiffe, die ihr Identifikationssystem AIS ausgeschaltet haben und deshalb keine Standortdaten senden. SpaceKnow tastet mit Hilfe von Satelliten der Europäischen Weltraumorganisation die Meeresoberfläche mit elektromagnetischen Wellen ab. Eigentlich dient die Technik dazu, Schmuggler oder Schwarzfischer aufzuspüren.

Zuletzt haben sich Berichte gehäuft, in denen von Sichtungen einer ganzen Reihe russischer Boote in der Nähe der Explosionsstelle die Rede ist. So bestätigte die dänische Armee, dass sie über 26 Fotos verfügt, die das mit einem Mini-U-Boot samt Greifarmen ausgestattete russische Schiff "SS-750" vier Tage vor den Pipeline-Explosionen zeigen. Ein dänisches Patrouillenboot machte die Aufnahmen demnach am 22. September östlich der Insel Bornholm.

Verdächtige Schiffe verlassen Kaliningrad

Bereits Ende März berichtete das Nachrichtenportal T-Online, dass wenige Tage vor den Anschlägen russische Militärschiffe mutmaßlich in der Nähe des Explosionsorts aktiv gewesen seien. Der Schiffsverband verfügte über die notwendige Ausrüstung, um Sprengsätze anzubringen, so T-Online.

Satellitenbilder belegten demnach, dass in der Nacht zum 21. September mindestens drei verdächtige Schiffe Russlands Flottenstützpunkt in Kaliningrad  verließen: die "SS-750" sowie die Schlepper "SB-123" und "Alexander Frolow", die mit Lastkränen ausgestattet seien. Drei weitere Schiffe der russischen Marine könnten den Einsatz begleitet und militärisch abgeschirmt haben. 

Laut Geheimdienstexperten ist ein auf Unterwassereinsätzen spezialisiertes Schiff wie die "SS-750" technisch in der Lage, Sabotageakte wie die an den Pipelines auszuführen. Der dänische Geheimdienstexperte Jacob Kaarsbo sagte, die Anwesenheit der "SS-750" nahe den Explosionsorten gebe Hinweise darauf, "was in den Tagen zuvor in der Region passiert ist". Die Bestätigung sei nun von besonderem Interesse, "weil wir wissen, dass ein solches Schiff in der Lage ist, einen solche Einsatz durchzuführen".

Beweise, dass Russland im vergangenen Herbst die eigene Pipeline gesprengt hat, sind das alles nicht. Es gibt auch Hinweise darauf, dass eine pro-ukrainische Gruppierung von einem Boot aus Sprengsätze an den Pipelines befestigt und diese zur Explosion gebracht haben könnte. Mehreren Medienberichten zufolge war das Boot von einer Firma mit Sitz in Polen angemietet worden, die sich im Besitz von zwei Ukrainern befindet. In dem Boot seien später Sprengstoffspuren gefunden worden.

Warum sollte Russland die Pipeline sprengen?

Umstritten ist zudem, warum Russland überhaupt die Nord-Stream-Pipeline hätte zerstören sollen. Denn die beförderte das eigene Gas Richtung Europa. Einige Experten halten einen Anschlag auf die eigene Röhre dennoch für plausibel. So könnte das Kalkül des Kremls etwa sein, die Energiemärkte zu verunsichern und die Gaspreise in die Höhe zu treiben. Der Anstieg hätte zudem für Frust in der Bevölkerung westlicher Staaten und in der Folge für Proteste gegen den Krieg sorgen können. Beide Szenarien sind aber nicht eingetreten.

Ein weiteres Motiv, so glaubt etwa der dänische Militäranalyst Anders Puck Nielsen, wäre, die Verwundbarkeit Europas zu demonstrieren. "Denn dann ist klar: Wenn sie in der Lage sind, ihre eigene Pipeline in die Luft zu jagen, dann können sie das auch mit anderen Pipelines machen", sagte er dem Sender n-tv.

Kenner der hybriden Kriegsführung Russlands betonen daneben immer wieder, dass Moskau sich auch nicht davor scheut, scheinbar sinnlose Aktionen umzusetzen. Das Ziel: Möglichst viele, möglichst widersprüchliche Brandherde inszenieren, um die Gegner zu verwirren, abzulenken oder einen Vorwand für "Gegenmaßnahmen" zu schaffen. Beim Bundesverteidigungsministerium etwa heißt es außerdem: Bei der hybriden Strategie werde entweder anonym operiert oder die Beteiligungen an Vorfällen und Konflikten bestritten. Die Schwelle zu einem offiziellen Krieg werde nicht überschritten. "Eben dies macht die Abwehr solcher Attacken so schwierig: Wenn es keinen eindeutigen Angriff oder Angreifer gibt, fällt die Gegenwehr schwer."

 

 

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