Im Bahnverkehr wird gestreikt. Diesmal steht der längste Ausstand an: sechs Tage lang. Seit Jahren schon piesackt die Gewerkschaft der Lokführer die Deutsche Bahn. Im Mittelpunkt immer wieder ihr Chef: Claus Weselsky. Was treibt ihn an?
136 Stunden Streik: So lange wie noch nie wird die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) ihre Arbeit niederlegen. Fast sechs volle Tage. Die Lokführer wollen damit vor allem ihre Hauptforderung durchsetzen: 35 statt 38 Stunden Arbeit pro Woche – bei vollem Lohnausgleich. Die Züge der Deutschen Bahn stehen also bald still. Mal wieder.
Im Rampenlicht steht damit nicht nur die GDL an sich, sondern einmal mehr ihr Chef Claus Weselsky. Für Bahnreisende (und den Berliner Konzern sowieso) ist der gebürtige Sachse schon lange eine Reizfigur. Seit vielen Jahren treiben er und seine verhältnismäßig kleine Gewerkschaft die Deutsche Bahn vor sich her. Wenn auch nicht mehr lange. Nach dieser Tarifrunde ist Schluss für ihn als GDL-Vorsitzenden, das hatte er im vergangenen Herbst angekündigt. Aber bis dahin lässt es der Arbeitnehmerboss noch einmal krachen.
GDL-Chef Claus Weselsky: Streitlustig, unnachgiebig, Gewerkschaftler durch und durch
Geboren wurde Weselsky 1959 in Dresden als jüngstes von drei Kindern einer Arbeiterfamilie. Seine Eltern schufteten zunächst als "Neubauern", ihnen wurde in der DDR enteignetes Land zugeteilt. Später machten beide eine Ausbildung zu Straßenbahnfahrern. Weselsky trat in ihre Fußstapfen: Nach der Polytechnischen Oberschule absolvierte er Mitte der 1970er Jahre eine Ausbildung zum Schienenfahrzeugschlosser, wurde Lokomotivführer bei der Deutschen Reichsbahn. Zunächst als Rangierlokführer, später durfte er auch Güter- und schließlich Personen- und Schnellzüge fahren.
In der allmächtigen SED war er nie, worauf er noch heute stolz ist. Nach dem Mauerfall wurde schnell deutlich, dass Weselsky politisches Talent mitbringt: Er engagierte sich in der wiedergegründeten Gewerkschaft der Lokführer in Pirna bei Dresden, wurde 1990 Vorsitzender der Ortsgruppe. Ab diesem Zeitpunkt machte er schnell Karriere. 1992 wurde er stellvertretender Bezirksvorsitzender und damit Mitglied des Hauptvorstandes. 2002 stellte die Bahn ihn komplett für seine Gewerkschaftstätigkeit frei. Weselsky kam als Mitarbeiter der Tarifabteilung in den Bundesvorstand in Frankfurt am Main. Zwei Jahre war er der zweite Mann hinter dem Vorsitzenden Manfred Schell.
2008 schließlich löste Weselsky ihn an der GDL-Spitze ab, mit überragender Unterstützung der Mitglieder: Er wurde mit 90 Prozent der Stimmen ins Amt gewählt. Und doch wurde früh Kritik laut – auch intern. Als der neue Gewerkschaftsführer seine beiden Stellvertreter schasste, weil er mit ihnen aneinander geraten war, unterstellte ihm Vorgänger Schell einen "autoritären Führungsstil", legte gar seinen Ehrenvorsitz der GDL nieder. Weselsky erklärte, die Entlassenen hätten berufliche und private Interessen vermischt.
"Tarifverträge für ein spezielles Klientel"
Der "Einheizer aus Sachsen", wie ihn die "Financial Times Deutschland" nannte, blieb unangefochtener Anführer der Gewerkschaft. Weselsky hat es geschafft, die GDL trotz ihrer verhältnismäßig geringen Größe zu einer der mächtigsten Gewerkschaften des Landes zu machen. Gerade einmal 40.000 Mitglieder vertritt der bald 65-Jährige, die Konkurrenzgewerkschaft EVG hat 180.000 Organisierte – aus allen Sparten der Bahn, während die GDL vor allen "Tarifverträge für ein spezielles Klientel" mache, wie Weselsky jüngst sagte. Vor allem also für Lokführer, zum Teil auch fürs Bordpersonal. Allesamt Angestellte, die für den laufenden Bahnbetrieb unverzichtbar sind.
Seinen Kolleginnen und Kollegen in den Führerständen jedenfalls gilt seine Loyalität, die, so scheint es, für Weselsky über allem steht. Dem Ruf der anderen Seite der Macht und des großen Geldes widerstand er schon 2007, als er das Angebot ausschlug, in den Personalvorstand der Bahn zu wechseln.
Die Vorstellung Arbeitgeber zu sein, gefiel ihm aber dennoch. Im Sommer 2023 gründete er die Genossenschaft Fair Train, zu der die Eisenbahner wechseln können und, wie Weselsky verkündete, bessere Bedingungen erhalten würden. Dort angestellt würden sie wiederum an die Deutsche Bahn zurückverliehen. Eine Gewerkschaft als Leiharbeitsvermittler sei ein arger Widerspruch in sich, moniert die Deutsche Bahn.
Claus Weselsky: Kettenhund und Schutzheiliger in einem
Kritik, er nehme das ganze Land mit den Streiks in Geiselhaft, prallt offenbar an ihm ab. Für die GDL ist er ein Glücksgriff. Kettenhund und Schutzheiliger in einem. Auch wenn viele Bahnreisende dies schon häufig anders gesehen haben dürften. Eine Boulevardzeitung druckte 2014, während eines viertägigen Streiks, seine Handynummer ab – Dutzende verärgerte Bahnkunden riefen an. Weselsky behielt kühlen Kopf und aktivierte einfach die Rufumleitung – auf die Nummer des damaligen Bahnchefs Rüdiger Grube.
Während viele Mitglieder der GDL ihn für eine solche Aktion feiern, werfen vor allem Bahnreisende ihm immer wieder Egozentrik und mangelnde Verhandlungsbereitschaft vor. Dass die Bandagen hart sind, mit denen er kämpft, ist hinlänglich bekannt. "Kompromisslos" könnte man ihn nennen, auch wenn es eigentlich seine Aufgabe ist, eben jene Kompromisse zu finden. Weselsky lebt von seinem Ruf, ein harter Hund zu sein.
Im Herbst dann wird der Machtmensch, Gewerkschaftler und Arbeitskämpfer nicht wieder zur GDL-Chef-Wahl antreten. Er selbst will bis zum Schluss vermutlich alles für seine Lokführer rausholen, was möglich ist, auch wenn die Öffentlichkeit nur wieder Maßlosigkeit sieht. Er selbst sagte dazu: "Ich bin sicher, dass es wieder heißen wird: Das ist Weselskys letzte Runde, und jetzt will er sich nochmal profilieren. Das wäre dann das dritte Mal, wo man mir das anhängt. Aber diesmal kann ich sagen: Jetzt ist es wirklich das letzte Mal." Sein Nachfolger steht übrigens schon bereit: Mario Reiß, einer seiner Stellvertreter.