Dieser Mann will Hebamme werden und so fühlt sich das für ihn an

19.02.2018 01:07

"Ich wusste schon mit 14, dass ich Hebamme werden wollte. Meine Mutter ist auch Hebamme, und ihre Reaktion war: "Wenn ich Schornsteinfeger wäre, wärst du auch einer geworden", aber ich meinte es ernst."

Tobias Richter ist 19 Jahre alt und Hebammenschüler in Erfurt. Nach seiner Ausbildung wird er als Klinik-Hebamme an einem großen Krankenhaus in Berlin arbeiten.

"Wenn ein Junge Hebamme werden und ein Praktikum dafür machen will, ist leider nicht jeder offen dafür. Ich musste wirklich kämpfen, um einen Praktikumsplatz in einer Klinik zu bekommen."

"Mein typischer Alltag sieht so aus: Ich begrüße die Frauen, die vor der Geburt stehen oder mit Beschwerden zu uns in die Klinik kommen. Immer dabei ist eine Hebamme, die meine Arbeit kontrolliert und den ein oder anderen Tipp gibt. Dann leite ich die Frau unter Wehen an, leite die Geburt des Kindes zusammen mit der Hebamme und versorge Mutter und Kind anschließend für 2 Stunden im Kreißsaal. Und ja, ich muss auch im Anschluss alles aufräumen."

"Die meisten Frauen, die ich in der Klinik betreue, sind sehr aufgeschlossen, neugierig und fragen mich viel. Einige kennen mich sogar schon. Klar, ein Hebammenschüler ist selten. Ich habe aber auch schon den Spruch "Sie sind aber noch ganz schön jung für einen Arzt" gehört."

"Auch die werdenden Väter finden es meist okay, dass ich ihre Frauen bei der Geburt unterstütze. Die meisten sind ja sowieso in dieser Situation so nervös und hilflos, dass sie kaum einen klaren Gedanken fassen können. Ich versuche dann immer, sie mit einzubeziehen. Ich erkläre ihnen, was gerade passiert und zeige ihnen, wie sie ihrer Frau ganz konkret helfen können."

"Natürlich gibt es auch Paare, die keinen Mann bei der Geburt dabei haben wollen. Das kommt bei ausländischen Paaren manchmal vor. Dann müssen wir uns eben anpassen und tauschen."

"Es gibt leider auch Kolleginnen, die nicht damit umgehen können, dass ich Hebamme werde: Als eine TV-Doku über mich auf Facebook gepostet wurde, haben in den Kommentaren Hebammen direkt gegen mich geschossen und geschrieben, dass ein Mann in diesem Berufszweig nichts zu suchen hat. Ich denke aber, dass Hebammen immer offen sein und mit der Zeit gehen sollten. Das gehört zu unserem Beruf nunmal dazu."

"Nur, weil ich ein Mann bin, heißt es nicht, dass ich keine Ahnung davon habe, was eine Frau während der Geburt spürt. Schließlich werde ich ja so gut ausgebildet, um das zu wissen und helfen zu können."

"Ich bin noch Hebammenschüler, habe also noch sehr viele Erfahrungen vor mir. Vor einigen habe ich großen Respekt. Ich habe zum Beispiel noch keine Totgeburt betreut. Allerdings ist auf unserer Baby-Intensivstation mal ein Kind eines lesbischen Pärchens gestorben. Das Baby war in der 24. Schwangerschaftswoche geboren, also sehr früh. Diese Situation hat mich sehr beschäftigt und ich habe länger darüber nachdenken müssen."

"Ich rede immer von "männlichen Hebammen“. Die wenigen Männer, die in diesem Beruf arbeiten – zur Zeit sind es in Deutschland gerade mal 6 – nennt man offiziell "Entbindungspfleger". Ich habe mich als Bundesdelegierter für werdende Hebammen dafür eingesetzt, dass auch Männer Hebammen genannt werden dürfen. Mit der neuen Prüfungsordnung lautet die Berufsbezeichnung dann "Hebamme (männlich / weiblich)". Darauf bin ich schon stolz."

"Hebammen betreuen ja nicht nur die Geburt an sich, sondern machen auch die Vorsorge für die schwangeren Frauen, sowie die Nachsorge, wenn das Baby auf der Welt ist. Für mich ist jedoch der Moment der Geburt der schönste und spannendste, deswegen liebe ich es so, im Krankenhaus zu arbeiten und kann mir nicht vorstellen, etwas anderes zu machen."

"Der kraftvollste Moment bei der Geburt: Der Beginn der sogenannten "Austreibungsphase", also wenn die Wehen so stark werden, dass die Frau anfängt, mitzuschieben. Zu diesem Zeitpunkt hat die Frau oft schon mehrere Stunden Wehen hinter sich, und plötzlich werden die Schmerzen nochmal eine Million mal stärker. Sie glaubt, dass sie nicht mehr kann. Aber dann schafft sie es trotzdem!"

"Ich schreibe mir immer auf, wie viele Geburten ich schon hinter mir habe: Insgesamt habe ich 130 miterlebt, bei 29 davon wurde das Baby in meine Hände geboren. Bei uns sagt man dazu "Dammschutz", wenn wir mit unseren Händen das Kind herausbegleiten."

"Ich erinnere mich noch an das erste Mal, als ich diesen "Dammschutz" selbst machen durfte. Es war ein Freitag, der 13., und ich war im zweiten Lehrjahr. Das Baby hieß Samuel, und es war einfach ein irres Gefühl, ein Kind in Empfang zu nehmen, wenn es geboren wird."

"Wenn es auf einmal im Nachtdienst die ganze Zeit laut schmatzt und deine Kollegin fragt,ob du schon Milcheinschuss hast, dann weißt du, dass du Hebamme werden willst."

"Ich kann mir schon vorstellen, dass sich bald mehr Männer für den Beruf der Hebamme interessieren werden, wenn in wenigen Jahren die Ausbildung komplett durch ein Studium ersetzt wurde."

"Aber ich bin nicht hier, um für mehr Männer im Hebammenberuf zu werben. Das muss jeder persönlich abwägen und sich gut informieren, zum Beispiel bei der Deutschen Hebammenhilfe. Jungs, die das wollen, können gute Hebammen werden. Aber man sollte nichts übers Knie brechen, wenn es nicht passt."

"Man sagt immer, für Hebammen gibt es keine hässlichen Babys. Vielleicht ist das nicht komplett wahr. Aber egal. Ich gebe Eltern immer das Gefühl, dass ihr Kind das allerschönste auf der ganzen Welt ist. Das gehört einfach dazu."

"Hebamme ist der dankbarste Beruf der Welt, und egal, was andere Leute sagen: Ich bin gerne Hebammenschüler und ziehe das einfach durch, weil ich es will."

 

Quelle