Eberhard Jurgalski: Der Mann, der Reinhold Messner den Weltrekord nahm

25.09.2023 12:57

Wann ist ganz oben ganz oben? Bei den Extrem-Alpinisten gibt es dazu neue Daten und Legende Reinhold Messner verliert deswegen einen Weltrekord. Der Mann, dessen Schuld das ist, heißt Eberhard Jurgalski und war noch nie im Himalaya.

Es ist natürlich etwas unfair über die Kleidung von Menschen zu lästern, vor allem dann, wenn sie nicht einmal Teil irgendeiner ihrer Berufungen ist. Doch es gibt ein Bild von Eberhard Jurgalski, auf dem er einen steingrauen Pullover mit einer Art Berg-Camouflage-Muster trägt – er würde ihn vor jedem Gebirge verschwinden lassen. Möglicherweise hat er sich genau das auch schon mal gewünscht: unsichtbar sein. Denn mit seiner Berufung macht er sich einige Freunde, aber auch sehr viele Gegner. Bergsteigerlegende Reinhold Messner etwa gehört dazu.

Reinhold Messner vs. Eberhard Jurgalski

"Ich lasse mir von keinem sagen, dass so eine Besteigung nicht gilt", schimpfte das Südtiroler Heiligtum 2022 in einem Interview über den Deutschen, der von Lörrach aus urteilt, wann Berge korrekt bestiegen sind. Oder eben auch nicht. Wegen Eberhard Jurgalski wurde Messner nun einer seiner Weltrekorde aberkannt: Seit 1986 war er der erste Mensch, der alle 14 Achttausender bestiegen hat. Wie das Guinness Buch der Rekorde nun aber mitteilt, "wird davon ausgegangen, dass mindestens drei der 14 Gipfel seit vielen Jahren nicht korrekt identifiziert wurden, was dazu führte, dass Bergsteiger – meistens ohne eigenes Verschulden – kurz vor dem Gipfel stehen blieben."

Um 65 Meter soll Reinhold Messner den Gipfel der 8091 Meter hohen Annapurna verfehlt haben. Klingt wenig, kann aber beim Bergsteigen eine Welt sein. Im Fall des langgezogenen Kamms des zehnthöchsten Bergs der Welt gibt es zudem noch mehrere Spitzen. Als Bergchronist Jurgalski die Route von Messner und seinem Teamgefährten Hans Kammerlander von 1985 überprüfte, hat er festgestellt, dass sie an einer Stelle des Gipfelgrats umgedreht seien, die fünf Meter niedriger und eben 65 Meter vom höchsten Punkt entfernt lag.

Auch Gerlinde Kaltenbrunner ist Rekord los

Seit mehr als 40 Jahren sammelt der Lörracher Daten über das Himalaya-Gebirge und dort vor allem über die Achttausender, also Berge von mehr 8000 Meter Höhe. Dazu wertet er Bilder und topografische Karten aus. 2022 gab er eine neue Liste von Alpinisten heraus, die zweifelsfrei die Berggipfel erreicht haben – und strich Messner aus der Kategorie alle 14 Achttausender. Davon betroffen ist auch Gerlinde Kaltenbrunner aus Österreich, die bislang als erste Frau galt, die alle Achttausender bestiegen hatte.

Messner und Kaltenbrunner sind nicht die ersten, denen Eberhard Jurgalski den Spaß verdirbt. 2018 hatte eine chinesische Gruppe die Shishapangma bestiegen. Doch wegen des Wetters war niemand an dem Tag auf dem Hauptgipfel gewesen. Und so war Luo Jing auch nicht erste Chinesin die 14 Achttausender voll gemacht hatte, worauf Jurgalski sie hingewiesen hatte. Wenige Tage später räumte die Bergsteigerin dies auch ein.

Jurgalski war noch nie im Himalaya

Vier Jahre später sorgte Eberhard Jurgalski mit einer überarbeiteten Gipfelstürmerliste für einen Proteststurm in der Bergsteigerszene. Auch, weil er selbst noch nie im Himalaya war. Dabei will der 71-Jährige eigentlich einem simplen Umstand Rechnung tragen: Dass nur der- oder diejenige mit Erreichen des höchsten Punktes erfolgreich einen Berg bestiegen hat. "Wenn einer nicht auf dem Gipfel war, dann war er eben nicht ganz oben", sagte Jurgalski im Sommer letzten Jahres im "Abenteuer-Berg"-Interview. "Würde man etwa einem Popstar, der 13 Nummer-Eins-Hits gelandet hat und einen auf Platz zwei, attestieren, dass er 14-mal an der Spitze der Charts gestanden hat?", so der Berg-Protokollant.

Doch wer schon einmal so hoch oben unterwegs war, weiß, dass das leichter klingt als es mitunter ist. Nicht jeder Gipfel ist immer eindeutig als höchster Punkt erkennbar, manchmal sind die Routen auch einfach zu gefährlich. "Du kommst da oben ausgepumpt auf über 8000 Metern an. Dann stehst du irgendwann auf einer Wechte, guckst in alle Richtungen und denkst: Da hinten sind schon noch ein paar hohe Punkte, aber sind die wirklich höher? Und dann lässt du es sein, weil es Harakiri wäre", sagt etwa der deutsche Bergsteiger Ralf Dujmovits über den Gipfel der Annapurna.

Toleranzzonen? Ohne ihn

Schon vor Jurgalskis Liste hatten er und andere Alpinisten deswegen Toleranzzonen für unübersichtliche Berge vorgeschlagen. Wer diese Zonen bis zum Jahr 2019 erreicht hatte, sollte als Besteiger akzeptiert werden. Doch mittlerweile will Jurgalski nichts mehr davon wissen: "Toleranzzonen sind nicht realisierbar. Wo setze ich diese Zonen an – bei fünf, 50 oder 150 Metern?", so der Chronist.

Dass er mit dieser Pedanterie für Verdruss sorgt, ist Jurgalski durchaus klar. Die Leistung der Alpinisten schmälern aber möchte er keinesfalls. Manchmal schmerzen ihn seine Erkenntnisse auch selbst: Bei Erhard Loretan habe er festgestellt, dass er den Gipfel des Dhaulagiri um 140 Meter verfehlt hatte. "Ich war total fertig. Es tut mir in seinem Fall so leid", sagt Jurgalski.

Um auch Leistungen jenseits der reinen Gipfelbesteigung zu würdigen, denkt er an eine Punkteliste: Würden Dinge wie neue Route, kein Flaschensauerstoff, Winterbesteigung, Sherpa-Unterstützung und ähnliches berücksichtigt werden, "würden die Listen ganz anders aussehen. Dann stünde Messner wahrscheinlich auf Platz zwei."

Quelle