Einzigartiger Vorgang : Polizei nimmt Klimaaktivisten präventiv fest – und verteidigt sich gegen scharfe Kritik

14.06.2023 12:50

Ein 25-jähriger Aktivist der Letzten Generation kündigt eine Straßenblockade in Regensburg an. Dann kommt die Polizei, zerrt ihn aus seinem Haus und steckt ihn vorübergehend in eine Zelle. Während die Empörung auf der einen Seite groß ist, verteidigt die Polizei das Präventivgewahrsam.

Die Beamten kommen am Montag gegen 12 Uhr, BMW auf der Straße, Dienstpistolen am Gürtel. Simon Lachner, 25, aus Regensburg steht barfuß an seiner Haustür, blaue kurze Hose, blaues T-Shirt. Er will am Nachmittag gemeinsam mit anderen Aktivisten der Letzten Generation an einer Protestaktion an einer Innenstadtkreuzung teilnehmen, den Verkehr lahmlegen, wieder einmal. Lachner ist als "Klimakleber" schon eine gewisse lokale Bekanntheit.

Doch für ihn bleibt es in diesem Fall bei der Ankündigung – das macht einer der vier Zivilbeamten gleich klar. "Also, wir nehmen Sie jetzt mit", sagt er. "Wir machen einen präventiven Gewahrsam mit Ihnen, einen kurzfristigen, bis die Sache heute, zumindest die Versammlung, der Zeitpunkt, erreicht ist. Und so lange bleiben Sie bei der Polizei."

Letzte Generation veröffentlicht Video von Polizeieinsatz

Wenig später greifen sich zwei der Polizisten den Klimaaktivisten, der inzwischen auf dem Boden sitzt, schleifen ihn über die Türschwelle, drei Stufen hinab, über das Pflaster der Einfahrt und tragen ihn dann zu ihrem Auto. "Ich werde aus meinem eigenen Haus rausgetragen, als wäre ich ein Schwerverbrecher, der festgenommen werden muss", beschwert sich Lachner. "Die Polizei versucht mit allen Mitteln, Protest gegen unsere Bundesregierung zu unterbinden." Er kann an diesem Montag nicht an der Demonstration teilnehmen.

Die Letzte Generation veröffentlicht das Video des Polizeieinsatzes kurz darauf im Internet. Markus Reitmeier ist Sprecher der Regensburger Polizei. Er bestätigt dem stern die Echtheit der Aufnahmen: "Die Maßnahme hat gegen 12.30 Uhr stattgefunden. Herr Lachner wurde von uns präventiv in Gewahrsam genommen. Die Maßnahme endete gegen 19 Uhr." Bei dem Einsatz sei durch die Beamten "unmittelbarer Zwang" gegen den 25-Jährigen angewendet worden.

Lachner verbringt den Montagnachmittag in einer Zelle der Polizeidienststelle, ihm sei rechtlicher Beistand gewährt worden, erklärt Polizeisprecher Reitmeier. Und er liefert den Grund für die Freiheitsentziehung: "Herr Lachner hat öffentlich die Begehung einer Straftat angekündigt. Es ist die vornehmste Aufgabe der Polizei, Straftaten zu verhindern." Der Klimaaktivist habe den Verkehr durch eine Klebeaktion blockieren wollen – dies erfülle den Tatbestand der Nötigung, so Reitmeier. Zuletzt hatte ein Gericht in Berlin das anders gesehen und entschieden, dass eine Straßenblockade nicht unbedingt eine Nötigung ist. Kurzfassung: Das Versammlungsrecht wiegt mitunter schwerer als das Recht auf freie Fahrt. Es kommt jedoch immer auf den Einzelfall an.

Reitmeier betont, das Regensburger Amtsgericht habe – wie in Fällen des Präventivgewahrsams erforderlich – die Einschätzung der Polizei geteilt und die Maßnahme gegen den 25-Jährigen für rechtmäßig erklärt. Das Gericht bestätigt dies auf stern-Anfrage. "Der Beschluss (zur Anordnung der Freiheitsentziehung, Anm. d. Red) wurde nach der Anhörung des Betroffenen erlassen", so ein Sprecher.

Grundlage für das Präventivgewahrsam ist das Bayerische Polizeiaufgabengesetz. Darin heißt es: "Die Polizei kann eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn das unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder einer Straftat zu verhindern." Ein Passus, der sich auch schon vor der umstrittenen Novelle des Gesetzes im Jahr 2018 dort fand, allerdings ist die maximale Haftdauer seitdem auf zwei Monate (statt bis dahin 14 Tage) angehoben.

Heftige Kritik am Präventivgewahrsam in Regensburg

Ob der Freiheitsentzug gegen Lachner tatsächlich rechtens ist, müssen möglicherweise Gerichte klären. Kritiker melden jedenfalls bereits erhebliche Zweifel an, beispielsweise der Jurist und Mitbegründer der Gesellschaft für Freiheitsrechte, Ulf Buermeyer. Er schreibt bei Twitter: "Soweit ich den Fall sehe ist diese Inhaftierung rechtswidrig. An einer Versammlung teilzunehmen ist ein Grundrecht. Selbst eine Blockade kann rechtmäßig sein. Die Prognose, es werde zu rechtswidrigem Handeln kommen, ist daher kaum haltbar." Und: "Das Verhalten der Polizei spricht tatsächlich für ein fragwürdiges Verständnis von Rechtstaatlichkeit." Allerdings schränkt der frühere Verwaltungsrichter ein: "Ich kenne die Akten nicht."

Andere Nutzerinnen und Nutzer in den sozialen Netzwerken gehen noch weiter, sehen eine für einen Rechtsstaat "bedenkliche" Entwicklung, eine Missachtung der Grundrechte oder fühlen sich durch die Präventivhaft für den Klimaaktivisten gar an dunkle Zeiten in der deutschen Geschichte erinnert.

Die Letzte Generation zeigt sich entrüstet, spricht in einer Mitteilung von einem "bisher einzigartigen Vorgang" und einem "weiteren Höhepunkt" bei der Kriminalisierung der Klimaproteste. "Es ist eine neue Stufe der Einschränkung von Grundrechten in Regensburg, nun präventiv einen Unterstützer der Letzten Generation festzunehmen, um seine Teilnahme an einer Versammlung zu verhindern", sagt Theodor Schnarr, Sprecher der Gruppierung. "Die Behörden ziehen im Auftrag der Regierenden in Bayern alle Register, um den Feueralarm zum Schweigen zu bringen."

Während die Kritik an der Polizei bereits am Montagnachmittag Fahrt aufnimmt und Simon L. sein Präventivgewahrsam in einer Regensburger Polizeistation absitzt, schreiten seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter zur Tat. Vor dem Einkaufszentrum "Regensburg Arcaden" am Hauptbahnhof besetzen sie gegen 16.30 Uhr die Fahrbahn, kleben oder betonieren sich fest und bringen so den Verkehr an der Kreuzung zweier Hauptstraßen zeitweise zum Erliegen. Die Letzte Generation glaubt, dass die Nachricht vom Präventivgewahrsam von Simon L. sogar mehr Menschen auf die Straße gebracht hat. Die Polizei löst die Versammlung in der Regensburger Innenstadt auf. Strafrechtliche Ermittlungen gegen sieben Straßenblockiererinnen und -blockierer seien eingeleitet worden, sagt Polizeisprecher Reitmeier. Später ziehen Demonstrierende vor das Gebäude der Polizeiinspektion, um ihre Solidarität mit Simon Lachner und ihre Empörung über das Vorgehen der Polizei in seinem Fall zu zeigen.

Die Letzte Generation kündigt an, ihre Aktionen fortzusetzen. Und Simon Lachner ruft nach seiner Entlassung zur Teilnahme auf: "Kommt auch ihr dazu! Wir müssen diesen Protest größer und immer lauter machen, wenn die Bundesregierung und die Polizei immer stärker versucht, dagegen vorzugehen."

 

 

 

 

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