Erschöpfte Kinder: Was der ewige Leistungsdruck unseren Kindern antut

25.03.2019 05:16

Zukunftsängste, Schlafstörungen, Depressionen, Burnout oder Essstörungen - viele Kinder leiden unter permanentem Leistungsdruck. Wie wir ihnen das Leben leichter machen können.

Inhalt
  1. Ängste, Schmerzen, Depressionen: Warum unsere Kinder leiden
  2. Erschöpfung durch Leistungsdruck
  3. Welche Familien sind betroffen?
  4. Kein Plan oder keinen Bock?
  5. Was passt wirklich zu uns?
  6. 10 Tipps: Was Eltern für sich und ihre Kinder tun können

Ängste, Schmerzen, Depressionen: Warum unsere Kinder leiden

Optimale Förderung für den Nachwuchs um eine bestmögliche Teilhabe am Leben und maximales Glück zu erreichen! Dieser Vorsatz bringt eine Dynamik in Familien, die für viele zur erheblichen Anstrengung wird, obwohl der Wunsch dahinter ganz legitim zu sein scheint. Denn natürlich wünschen wir unseren Kindern nur das Beste und setzen uns dafür ein.

Doch nicht für alle Kinder ist dadurch innere Zufriedenheit garantiert.

Schauen wir zum Beispiel auf den zwölfjährige Karl, um den sich seine Eltern Sorgen machen, weil er sich immer mehr zurückzieht und oftmals unglücklich auf sie wirkt. Karl fühlt sich zwar wohl in seiner Familie, hat Freunde und macht gern Sport. Doch er leidet zunehmend darunter, wie in der Schule mit Kindern umgegangen wird, wie oft gedroht wird und wie uninteressant der Stoff vermittelt wird. Er ist unglücklich, weil er weiß, dass er sich damit arrangieren muss, das noch fünf Jahre auszuhalten – zu Lasten seiner Lebensfreude!

Aber auch der viel jüngere Hannes (4 Jahre) wirkt schon sehr ernst für sein Alter. Im Kindergarten spielt er seit längerer Zeit „Büro“, was sehr anstrengend für ihn ist, weil er dort viel schreiben muss. Darüber vergisst er häufiger zur Toilette zu gehen und nässt ein. Hannes macht sich auch schon sehr ernsthaft Sorgen um das Aussterben der Elefanten, weil er die so gern mag und aus den Medien weiß, dass die Art gefährdet ist.

Und die 15jährige Katja fällt seit einiger Zeit auf, weil sie in der Schule nicht mehr „performt“. Katja berichtet davon, dass sie die ständige Kontrolle ihrer Mutter nicht mehr erträgt. Mutter fragt ständig, wo sie ist, was sie noch machen muss, was noch fehlt. Die Tochter sucht nun Ablenkung auf Partys und vernachlässigt die Schule – zum Leidwesen der überfürsorglichen Mutter.

Karl, Hannes und Katja sind Kinder, deren Konflikte und daraus resultierenden körperlichen Symptome der Kinder- und Jugendpsychiater Michael Schulte-Markwort in seinem aktuellen Buch "SUPERKIDS" beschreibt und deren Eltern sich zur Recht Sorgen um die seelische Gesundheit ihrer Kinder machen.

Schulte-Markwort ist Klinikdirektor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) und leitender Abteilungsarzt am Altonaer Kinderkrankenhaus.

Erschöpfte Kinder! Ein neues Phänomen!

Der Psychiater erklärt: „Es kommen immer mehr erschöpfte Kinder mit ratlosen und oft ebenso erschöpften Eltern. Und wir haben immer mehr Schmerzkinder, die unter Kopfschmerzen oder anderen chronischen Schmerzen leiden, für die wir keine körperliche Ursache finden.

Seine jungen Patienten leiden außerdem unter plötzlichen Leistungseinbrüchen in der Schule, Zukunftsängsten, Schlaf- und Appetitstörungen. All das sind Symptome, die ein Teil psychischer Erkrankungen wie Depression, Burnout oder von Essstörungen sind und unbehandelt durchaus in diese münden können.

Und das geschieht alles, obwohl die Kinder seitens der Eltern alle Möglichkeiten der Welt eröffnet bekommen, um einen guten Start ins Leben zu haben. Um eine erfolgversprechende Laufbahn anzustreben, mit der sie durchs Leben kommen und eigenständig und zufrieden werden könnten. Wie kann das sein?

Folge des Optimierungswahns!

Dieses neue Phänomen der Erschöpfung und den Zuwachs an jungen Schmerzpatienten führt Schulte Markwort auf unseren derzeitigen Optimierungswahn zurück, dessen vielschichtige Ursachen und Auswirkungen er in seinem Buch benennt. Auch die Schattenseiten des deutschen Schulsystems und die Folgen eines defizitorientierten Blickes auf Schüler spielen in diese Entwicklung mit rein, wie an dem Beispiel von Karl bereits deutlich wurde.

Erschöpfung durch Leistungsdruck

Es hat sich eine Art „Erziehungsehrgeiz entwickelt, der Kinder und Eltern krank macht“. So bringt es der erfahrene Kinderpsychiater schon im Untertitel seines Buches auf den Punkt.

Unsere Kinder wachsen in einem „Klima von Leistungsdruck“ auf. Kinder werden von klein auf beobachtet, gefördert, optimiert. Nicht auf der Strecke bleiben, versagen, durchfallen! Nicht mein Kind. Ihm soll es gut gehen. Diese Haltung führt zu einem Zustand dauerhaft hoher Anspannung, an dem alle Familienmitglieder erschöpfen. Die „Kids“ trifft es natürlich besonders, weil sie im Fokus der Aufmerksamkeit stehen. Außerdem können sie wenig dagegen halten. Denn sie möchten ihre Eltern schließlich glücklich und stolz machen und dafür nehmen Kinder einiges an Anstrengungen in Kauf.

Welche Familien sind betroffen?

Es sind „engagierte Eltern aus allen Bildungsschichten mit sehr reflektierten Kindern, die ein gutes Verhältnis zueinander haben. Superfamilien mit Superkindern. Und trotzdem geht es einigen Kindern nicht gut.“ berichtet der Arzt aus seiner Praxis.

Der Titel Superkids sei deswegen wirklich nicht ironisch zu verstehen. Denn Schulte-Markwort formuliert seine Erfahrungen mit den erschöpften Familien in einer sehr wertschätzenden Haltung. Die elterlichen Bemühungen sind schließlich durchaus anerkennenswert und alle Jugendlichen in der Beratung können tatsächlich auf einen Schatz von Ressourcen zurückgreifen, der bemerkenswert ist.

Und trotzdem sind die Kinder bedrückt, sehr ernsthaft und besorgt um ihre Zukunft. Die Unbeschwertheit der Kindheit haben sie früher verloren, als es ihnen gut tut.

Kein Plan oder keinen Bock?

Die Superkids von denen hier die Rede ist, haben nicht die typische jugendliche Planlosigkeit oder Antriebslosigkeit, mit der die jungen Menschen selber oft ganz entspannt sind. Nein. Diese jungen Menschen leiden wirklich und fühlen sich darin oft nicht gesehen und von Erwachsenen nicht ernst genommen.

Viele der erschöpften jungen Menschen sind sogar schon junge Erwachsene, Abiturienten mit guten Abschlüssen, die noch nicht unbeschwert und sicher ihr Leben in die Hand nehmen können. Dazu erklärt der Psychiater: „Wir sind nicht mit 18 Jahren fertig und erwachsen. Die Phase der Adoleszenz geht bis 25. Und solange können wir elterliche Unterstützung und Geborgenheit oft noch gut brauchen. Jemanden, der sich an unsere Seite stellt und den Weg noch ein bisschen mit uns geht.“ Und manchmal ist das eben auch ein Facharzt der Psychiatrie, der Orientierung und Halt geben kann oder dabei hilft, die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und zu verfolgen.

Was passt wirklich zu uns?

In Schulte Markworts Augen ist ein Grundproblem, dass wir „durch die maximale Technisierung unserer Welt nicht mehr aus uns selbst heraus Menschsein können.“ Unser Tun wird also immer gemessen an anderen und an dem erhofften Erfolg im Leben und in den Augen anderer.

Wir haben dadurch den Kontakt zu dem verloren, was wirklich zu uns und unseren Kindern passt. Doch genau dieses Bewusstsein müssen wir wieder aufspüren und in den Mittelpunkt unserer Überlegungen stellen, damit wir nicht in dem beschriebenen dauerhaften Anspannungszustand und Zustand der permanenten Verunsicherung hängen bleiben.

Zum Glück haben wir Einfluss darauf, wie wir uns entwickeln. Manchmal ist professionelle Hilfe ratsam, wenn es aus eigener Kraft nicht gelingt. Oft genügen schon kleine Impulse, um etwas zum Positiven zu verändern. Wir haben mit zusammen mit dem Autoren von SUPERKIDS ein paar Anregungen für Sie zusammengestellt, wie das gelingen kann.

10 Tipps: Was Eltern für sich und ihre Kinder tun können

1 ♦ Das Thema ernst nehmen! Das Problem ist erkannt? Ein erster wichtiger Schritt.

2 ♦ Sich Hilfe holen! Wer beunruhigt ist, sollte professionelle Hilfe suchen und um die Einschätzung eines Experten bitten um Lösungsansätze zu finden.

3 ♦ Entspannen! Verstehen Sie ein „chill mal“ oder „entspann dich“ nicht als Provokation sondern als Hinweis Ihrer Kinder, dass sie angespannt wirken und für sich sorgen sollten. Ihre Entspannung könnte dem Familienklima gut tun.

4 ♦ Von den Kindern lernen! Auch Schulte Markwort ist ein großer Fan davon, von den Kindern zu lernen. „Wir können uns ganz viel von ihnen abgucken. Ihre Gelassenheit oder ihren Umgang mit Medien. Wie sie das Tempo und die Informationsflut bändigen und vieles mehr.“ Kommen Sie darüber ins Gespräch mit der jüngeren Generation!

5 ♦ Nicht zwanghaft Spaß haben – einfach mal da sein! Auch aus dem „Nichts“ entstehen manchmal neue und erstaunliche Entdeckungen.

6 ♦ Gemeinsamkeiten initiieren und pflegen! Der Psychiater plädiert für „Inseln der Gemeinsamkeiten“. Ob das „ein gemeinsamer Joghurt oder zusammen Kochen“ ist, sei nicht entscheidend. Entscheidender ist, dass man dabei wie von selbst ins Gespräch kommen kann und verbindende Momente erlebt. Das festige die emotionale Basis.

7 ♦ Auf das Gute schauen! Gucken Sie wieder mehr hin, was Ihr Kind kann, mag und will und bestärken Sie es darin statt vor allem dem zu folgen, was Sie oder andere für richtig halten. Viele Wege führen schließlich nach Rom.

8 ♦ Sich als Mentor anbieten! Kann ein Kind in Ihrem Umfeld jemanden gebrauchen, der es begleitet, ihm zur Seite steht und ihm den Weg etwas ebnet? Bieten Sie sich aktiv an.

9 ♦ „Ein Recht auf Kraftquellen“! Kinder UND Eltern dürfen sich aus Sicht des Fachmannes auf ihr eigenes seelisches Wohl und ihre ganz persönliche Zufriedenheit im positiv egoistischen Sinne besinnen. Schauen Sie, wo Ihre Kraftquellen sind und geben sie ihnen genug Raum in Ihrem Leben!

10 ♦ Kultur erleben! Das muss nicht immer kostspielig sein. Doch Theater, Museum, Musik und andere Veranstaltungen in der Stadt, dem Dorf oder Ihrer Gemeinde geben neue Impulse, ein Umfeld für entspanntes Zusammensein und erfreuliche Gesprächsinhalte. Wir wünschen Ihnen Zeit für Muße und viele schöne Familienmomente!

Wie Kultur helfen kann!

Ein Beispiel: Michael-Schulte-Markwort unterstützt das Hamburger Projekt „KulturGlück“ , auf das wir hier gern hinweisen. Das Ziel der Stiftung ist die Verbindung von Kultur und Menschen mit Unterstützungsbedarf. Die kulturelle Vielfalt Hamburgs bietet eine ideale Grundlage, um diesen Menschen durch das Erleben von Kultur ein Stück Lebensqualität zurückzugegeben, Glücksmomente zu ermöglichen und auf diesem Wege zu helfen.

Die von der Stiftung initiierten Projekte sollen unterschiedlichste Zielgruppen ansprechen: Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene, Erwachsene oder ältere Menschen, jeweils mit Unterstützungsbedarf. Ihnen soll der Zugang zu Kultur ermöglicht werden. Das Projekt lebt von Spenden!

Quelle