Gesundheitsdroge Laufen

18.02.2018 20:01

„Ein Kokainkästchen öffnet sich im Bauch, übersprudelt den Körper mit Fröhlichkeit. Sauerstoff durchflutet 70 Billionen Körperzellen, jeder Schritt räumt im Kopf auf. So schön kann Laufen sein”. Der deutsche Laufguru Ulrich Strunz hat es in wenigen Monaten geschafft, dicke, dünne, junge, alte, sportliche und unsportliche Menschen für den Ausdauersport Laufen zu begeistern. Aber nicht alles, was der Meister von sich gibt, bleibt unwidersprochen. Denn über gesunde und richtige Lauftechnik – da gehen die Meinungen von Experten ganz schön auseinander.

Laufen ist – glaubt man dem deutschen Lauf-Mogul Ulrich Strunz – die Wunderpille, für die viele ein Vermögen zahlen würden, wenn es sie in der Apotheke zu kaufen gäbe. Seit der Internist via Zeitungen, Zeitschriften, Radio und Fernsehen die einfache Formel für ewige Jugend und Gesundheit bis ins hohe Alter propagiert, bleiben der Fernseher kalt, die Kühlschranktür zu und die Schnapskarten im Kasten. Nahezu die Hälfte aller Österreicher bewegt sich statt dessen bereits frisch und munter durch die Natur. Laufen im Sauerstoffüberschuss, also im aeroben Bereich – man läuft langsam ohne Anstrengung, der Muskel hat genügend Sauerstoff, um Fett zu verbrennen – ist in. Der Lohn für die tägliche Mühe: eine höhere Lebenserwartung, Gesundheit, Fitness, Kreativität, ein gestärktes Herz und vor allem purzelnde Kilos. Letzteres ist vielleicht auch der wirkliche Grund, warum der deutsche Laufguru so viele Österreicher hinter dem Kachelofen hervorholen konnte. Sein Versprechen klingt nämlich allzu verlockend: „Nach drei Monaten Laufen können Sie essen, was und wieviel Sie wollen. Werden Sie schlank im Schlaf.“ Und die Strunz´sche Erklärung dazu ist – auch wenn trotz Kokainkästchen im Bauch Zweifel bleiben – einleuchtend: Durch das tägliche Training (30 Minuten) steigt die Menge der fettabbauenden Enzyme im Körper gewaltig an, die Muskelmasse nimmt zu, das Fett schmilzt weg, der Stoffwechselumsatz wird um 25 Prozent gesteigert. Das Ergebnis: ein straffer, schlanker Körper, in dem sich – auch im höheren Alter – alle Gesundheitswerte sehen lassen können. Dass aber jeder Mogul auch Kritiker auf den Plan ruft, ist klar. Was verwundert: bisher hat kaum jemand die Strunz’sche Theorie der Fettverbrennung im Schlaf angezweifelt. Schwer kritisiert hingegen wird seine Aussage, sogar dem Krebs davonlaufen zu können. Norbert Vetter, Lungenfacharzt und Leiter der Wiener Aidsstation hält solche Versprechungen sogar für verantwortungslos. Auch wenn Laufen die Immunabwehr verbessert, können Virusinfektionen oder Krebs sicher nicht ausgeschlossen werden. Auch die von Ulrich Strunz propagierte Vorfuß-Lauf-Technik, bei der mit dem Fußballen aufgesetzt und zur Ferse hin abgerollt wird, wird von Medizinern teils heftig kritisiert. 

Der Wiener Orthopäde und Sportmediziner Univ.-Prof. Dr. Christian Wurnig, am Orthopädischen Spital Speising, bringt diese Kritik auf den Punkt: „Ausgeprägtes Vorfußlaufen widerspricht dem natürlichen Bewegungsablauf und ist anatomisch eigentlich nicht möglich. Wer diese unphysiologische Bewegung krampfhaft über einen längeren Zeitraum hinweg ausübt, läuft Gefahr, Überlastungsverletzungen zu erleiden. Es kann zu Entzündungen des Bandapparates und Knochenbrüchen kommen. Beim Vorfußlaufen wird die natürliche Bewegung jedesmal einer starken Abbremsung unterzogen, wodurch die Wadenmuskulatur stark beansprucht wird. Sehnen und Muskeln stehen dauernd unter Zug und die Knorpel somit unter Druck.” Und der bekannte Wiener Unfallchirurg und Facharzt für Sporttraumatologie Univ.-Prof. Dr. Gerald E. Wozasek, selbst ein begeisterter Läufer, schließt sich dieser Meinung an: „Vom physiologischen Laufmuster her sollte der Fuß vom Mittelfußbereich nach vorne abgerollt werden. Dadurch werden Gelenke und Sehnen größtmöglich geschont. Alles, was dem natürlichen Laufstil widerspricht, führt zur unnötigen Belastung und Überbeanspruchung von Sehnen, Bändern und Gelenken.“ Der Sportmediziner lässt allerdings an den positiven Aspekten des Laufens keine Zweifel: „Durch dieses Ausdauertraining, das für nahezu alle Menschen optimal geeignet ist, werden das Herz-Kreislaufsystem, die Kondition und das psychische Befinden erheblich verbessert. Ein optimales Training, um Körper und Geist zu entspannen“. Auch im Deutschen Lauftherapiezentrum in Karlsruhe, wo zwölfwöchige Laufkurse für Anfänger und Fortgeschrittene angeboten werden, gilt in Zeiten des umstrittenen Strunz-Fiebers als unumstritten: Wer läuft, kann selbst aktiv zum Erhalt seines körperlichen und seelischen Wohlbefindens beitragen.
 

Laufen ist unumstritten gesund

 

Wissenschaftlich gesicherte Befunde zeigen: Das aerobisch ausgeführte Ausdauer-Lauf-Training verbessert die Herzkreislaufleistung, senkt den Cholesterinspiegel, verbessert das Blutbild, erleichtert die Gewichtskontrolle, regt den Stoffwechsel und die Darmtätigkeit an und stärkt Knochen, Muskeln, Sehnen und Bänder. Auch der mehrfache deutsche Meister Thomas Wessinghage, der jahrelange Lauf-Erfahrung hat und als Sportmediziner auch über die medizinischen Kenntnisse verfügt, verweist in seinen Veröffentlichungen immer wieder auf die breite Wirkung des Laufens: „Das Herz wird gestärkt und so dem Herzinfarkt vorgebeugt, die Elastizität der Arterien bleibt bis ins hohe Alter erhalten, der gesamte Organismus wird besser mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt und die Muskulatur aufgebaut.“ Auch die psychologischen Forschungsergebnisse können sich sehen lassen: Regelmäßig durchgeführtes Lauftraining verbessert bei richtiger Dosierung Stimmung und Gefühle zur positiven Seite, das „Sich-besser-Fühlen” während und nach dem Training ist ein allgemein bestätigtes Phänomen. Und das alles ohne viel Ausrüstung und teure Sportgeschäfte. Denn Laufen kann man immer und überall. Ein bequemer Jogginganzug, ein T-Shirt und perfekt sitzende Laufschuhe. In Sportfachgeräten bekommt man meist eine gute Beratung, bei der auf Fußstellung und Laufgewohnheiten Rücksicht genommen werden sollte. 

Ein guter Laufschuh muss aber auf jeden Fall dämpfen – den Aufprall abfedern, um so die Gelenke und die Wirbelsäule zu schützen, stützen – die Fußstellung stabil halten, und führen – durch eine stabile Fersenkappe verhindern, dass der Fuß beim Laufen nach innen knickt. Wurnig warnt jedoch vor übertriebener Bewertung der Laufschuhe: „Es gibt perfekte Schuhe, aber keine perfekten Füße. Daher ist es besser, einen Schuh zu kaufen, der optimal sitzt und ihn durch Einlagen der jeweiligen Fußstellung optimal anzupassen. Schuhe im Wert von 70 bis 100 Euro gewährleisten diese Anforderungen.

 

Kleines Lauf-Lexikon

 

Weil Gehen und Laufen eine dem Menschen angeborene Bewegungsform ist, wird keine besondere Technik gefordert. Kinder laufen, wenn sie nicht übergewichtig
sind und sich viel in der frischen Luft bewegen, immer richtig. Erwachsene haben oft das Gefühl für Rhythmus und Bewegungsablauf verlernt. Lauf-Experte Franz Wöllzenmüller empfiehlt daher, beim Laufen darauf zu achten, dass der Oberkörper aufrecht ist: „Wir knicken weder nach vorne ab, noch darf sich ein ‚Hohlkreuz’ bilden. Wenn wir eine senkrechte Linie ziehen, muss sich der Oberkörper genau über den Füßen befinden. Der Kopf ist gerade, die Arme schwingen locker und zügig mit.“ Die Schrittlänge sollte nicht krampfhaft verkürzt oder verlängert, sondern so gesetzt werden, wie es persönlich am kraftsparendsten erscheint. Dem eigenen Atemrhytmus zu folgen, ist am besten. Wichtig ist allerdings, nicht zu flach zu atmen, weil dadurch der vollständige Luftaustausch verhindert wird und Restluftmengen in der Lunge schneller Ermüdung bewirken. 

Bevor es los gehen kann, sollte noch die Belastungsgrenze festgelegt werden. Es ist hinsichtlich Leistungsfähigkeit, Alter und Körpergewicht allerdings schwierig, allgemeingültige Rezepte zu verschreiben. Der Pulsschlag kann am Handgelenk mit einem Pulsmesser leicht gemessen werden. Eine einfache Formel, um den Belastungspuls errechnen zu können, lautet, die höchste Pulsfrequenz (siehe Tabelle) und den Ruhepuls zu ermitteln. Dann die Differenz daraus zu ermitteln. Also beispielsweise Höchstbelastungspuls 170 Ruhepuls 70, die Differenz beträgt 100. 50 Prozent davon sind 50 Schläge. Diese „50” werden zum Ruhepuls addiert. Daraus ergibt sich die anfängliche Belastungszahl von 120 pro Minute. Diese Schlagzahl gilt auch in Fachkreisen nur als Anhaltspunkt und schützt keinesfalls vor möglichen gesundheitlichen Komplikationen.

 

Pulsfrequenzen

 

20- bis 30jährige: 195/Minute
31- bis 40jährige: 189/Minute
41- bis 50jährige: 182/Minute
51- bis 60jährige: 170/Minute
61- bis 70jährige: 162/Minute
71- bis 80jährige: 145/Minute

Gelaufen werden sollte – da sind sich alle Experten einig – regelmäßig und mehrmals in der Woche. Denn vier Mal pro Woche 15 Minuten Laufen bringt mehr Trainingseffekt als ein Mal pro Woche eine Stunde. Und man kann Ulrich Strunz kritisieren so viel man möchte. Das was ihm gelungen ist, nämlich so viele Menschen zur Bewegung zu animieren, muss ihm erst einer nachmachen! 

 

Zuerst prüfen – dann laufen

 

Vor dem Laufen sind einige Regeln zu beachten.

  • Wenn Sie sich entschlossen haben, regelmäßig zu laufen und älter sind als 40 Jahre beziehungsweise länger als drei Jahre keinen Sport getrieben haben, sollten Sie zumindest eine Vorsorgeuntersuchung machen. Auch wenn Sie Zweifel daran haben, ob Laufen für Sie die richtige Ausdauersportart ist – fragen Sie Ihren Arzt.
  • Auf keinen Fall – auch nicht für kurze Strecken – Straßenschuhe oder einfache Turnschuhe ohne Fußbett tragen.
  • Der häufigste Fehler vor allem bei Männern ist der, dass in zu hohen Pulsfrequenzen, also mit zu hoher Anstrengung trainiert wird. Ständiges Laufen im so genannten „anaeroben“ Bereich bewirkt aber das Gegenteil von dem, was man eigentlich erreichen möchte. Man wird immer müder statt schneller und leistungsfähiger.
  • Falscher Ehrgeiz und Selbstüberschätzung sind gefährlich und können zu körperlichen Schäden führen.
  • Bei sehr starkem Übergewicht sollten Sie anfangs längere Strecken mit dem Rad zurücklegen. Der Körper wird auf dem Fahrrad entlastet. Es besteht keine Gefahr von Fußüberlastung.

Quelle