Chefredakteur Gregor Peter Schmitz über die neue stern-Ausgabe: Jedes Gespräch mit der AfD muss thematisieren, was auch auf unserem Cover steht: den Hass, den die Partei sät.
Liebe Leserin,
lieber Leser,
das Titelbild des stern soll Diskussionen auslösen, und Diskussionen über das Titelbild gehören bei uns in der Redaktion jede Woche dazu. Diesmal stritten wir grundsätzlicher: Darf man das – ein Gespräch mit Alice Weidel aufs Cover heben, Fraktionsvorsitzende der Alternative für Deutschland (AfD) und bald womöglich deren erste Kanzlerkandidatin?
Es gibt Menschen, die so ein Gespräch für völlig falsch halten. Danger Dan singt warnend: "Faschisten hören niemals auf, Faschisten zu sein. Man diskutiert mit ihnen nicht, hat die Geschichte gezeigt." Jan Böhmermann tweetete, als die ARD-Moderatorin Sandra Maischberger einen AfD-Politiker in ihre Sendung bat: "Maischberger lädt Nazis in ihre Talkshow ein, damit Nazis nach der Machtergreifung Sandra Maischberger auch in ihre Talkshow einladen." Und es ist Strategie der Volksparteien, möglichst nicht mit AfD-Vertretern zu diskutieren.
Es stimmt ja: Jedes Gespräch mit der AfD muss auch thematisieren, was auf unserem Titelbild in Frakturschrift steht: Hass. Selbst wenn die AfD exzellente Vorschläge zur Rentenpolitik, zur Energiewende oder zur Konjunkturbelebung machte (mir sind die bislang nicht aufgefallen), darf niemand vergessen: Eine Stimme für die AfD ist auch immer eine Stimme für Menschen, die Hass predigen oder den Holocaust für einen "Vogelschiss" der deutschen Geschichte halten. Und Faschisten hören in dieser Geschichte meist nicht auf, Faschisten zu sein.
Ist die Strategie der Nichtbeachtung bisher so gut aufgegangen?
Man darf aber angesichts von fast 20 Prozent Unterstützung für die AfD in aktuellen Umfragen auch die Frage stellen, ob diese Strategie der Nichtbeachtung so gut aufgegangen ist. Ich glaube, es gehört zur Aufgabe von Journalisten, mit allen Menschen zu sprechen, die in unserer Demokratie an die Macht wollen. Wir müssen für unsere Leserschaft herausfinden, mit welchen Menschen wir es zu tun haben, was sie mit der Macht anstellen möchten. Deswegen sollten wir auch Alice Weidel und ihrer Partei Fragen stellen, die wir jeder anderen Partei mit Ambitionen auf das Kanzleramt stellen: Was wollen Sie tun? Was können Sie anbieten?
Frau Weidel hatte also im Gespräch mit meinen Kollegen Veit Medick und Jan Rosenkranz Gelegenheit, sich zu erklären – etwa ob die AfD wichtige Themen wie Migration, Klimapolitik oder Abstiegssorgen nur anspricht, um Ängste zu schüren. Oder ob sie auch Lösungen vorzuschlagen hat.
Ich habe nach der Lektüre dieses Gesprächs einen klareren Eindruck, wie die Argumentationsmuster der AfD funktionieren. Und ich konnte von meinen Kollegen auch lernen, wie man diesen begegnen kann. Deshalb bin ich froh, dass wir dieses Gespräch geführt haben.
Aber bilden Sie sich bitte selbst Ihr Urteil, und lesen Sie auch, was Michel Friedman, jüdischer Publizist, über die Auswirkungen der AfD-Stärke auf unser Land und unsere Demokratie zu sagen hat. (Sein Essay erscheint ebenfalls am Donnerstag im aktuellen stern, morgen finden Sie es auf stern+).
Denn das dürfen wir ebenfalls nicht vergessen: Die Debatte, wie viel Macht eine rechtspopulistische Partei hat, ist angesichts unserer Geschichte keine normale Debatte. Weil sie niemals normal sein darf.
Herzlich Ihr
Gregor Peter Schmitz