Grünen-Politiker Volker Beck: Wir schauen beim Zahlen nicht genau hin

13.10.2023 12:36

Volker Beck sagt, niemand wisse, wie viele deutsche Hilfsgelder an Hamas-Anhänger fließen. Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft fordert die Bundesregierung auf, jetzt reinen Tisch zu machen.

Volker Beck wirkt aufgebracht. Schon als Bundestagsabgeordneter (1994-2017) hat sich der Grünen-Politiker für die Belange Israels eingesetzt, er saß der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe vor. Inzwischen ist Beck Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Im Gespräch mit dem stern kritisiert er die Politik seiner Parteifreundin Annalena Baerbock und spricht über deutsche Hilfsgelder, die im Nährboden des Hamas-Terrors versickern.

Herr Beck, deutsche Hilfsgelder an die Palästinenser sind ausgesetzt und stehen aktuell auf dem Prüfstand. Sie fordern das schon länger. Nun bekräftigt Außenministerin Annalena Baerbock, Ihre grüne Parteifreundin, in einem ZDF-Interview: "Natürlich machen wir keine Terrorfinanzierung." Hat sie damit unrecht?
Das sind Strohmannargumente. Niemand hat behauptet, dass wir Terror direkt finanzieren. Die Raketen, Messer und Gewehre der Hamas wurden sicherlich nicht mit deutschem Steuergeld bezahlt. Aber wie viel Geld geht an Hamas-Anhänger? Inwiefern stärken wir Organisationen, die zum Vorfeld der Hamas oder anderer Terrororganisationen gehören? Es ist schon länger bekannt, dass dort Terror blüht und wir beim Zahlen nicht genau hinschauen. Das ist mir ein Dorn im Auge.

"Es muss jetzt mal alles auf den Tisch. Was zahlen an wen wofür?"

Nicht genau hinschauen – wie meinen Sie das?
Es muss jetzt mal alles auf den Tisch! Was zahlen wir an wen wofür? Was zahlen wir an die Palästinensische Autonomiebehörde unter der Führung von Mahmoud Abbas, was an das palästinensische Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNRWA, was an welche NGOs? Da gibt es überhaupt keinen Überblick. Meine Gespräche im Bereich der Bundesregierung haben bei mir den Eindruck verstärkt: Selbst dort kann man über die Förderpraxis der anderen Ressorts kaum etwas sagen. Um es freundlich auszudrücken.

Die Bundesregierung betont, es flössen zum Beispiel keine direkten Budgethilfen an die Palästinensische Autonomiebehörde.
Das ist ein jesuitisches Argument. In der Vergangenheit haben wir zum Beispiel die Polizeiausbildung in den palästinensischen Gebieten finanziert, etwa eine Polizeischule in Jericho. Sie wurde mit deutschen Steuermitteln gebaut und meines Wissens floss auch Geld in den Unterhalt.

Aber wie finanziert jemand, der eine Polizeischule bauen lässt oder etwa auch ein Krankenhaus, indirekt den Terror?
Eine Verwaltung hat nur einen Haushalt. Wenn wir etwa Medikamente zahlen oder Krankenhausbetten, weil das unschuldig ist, dann haben wir dadurch natürlich den Haushalt der Autonomiebehörde insgesamt entlastet und Spielräume für Anderes geschaffen.

"Wenn gefangene Terroristen nach 20 Jahren rauskommen, sind das Millionäre"

Worauf spielen Sie an?
Der Autonomiebehörde beziehungsweise Abbas‘ Organisation, der PLO, untersteht ein Fonds, mit dem Hinterbliebene von Attentätern finanziert und gefangene Terroristen in israelischen Gefängnissen unterstützt werden. Wenn die nach 20 Jahren rauskommen, sind das Millionäre. Das ist eine unmittelbare Terrorismusförderung der Autonomiebehörde.

Die Praxis dieser sogenannten Märtyrerrente ist schon lange bekannt. Daran hat sich nach Jahren der finanziellen Unterstützung aus dem Westen nichts geändert?
Nichts. Und anders als in Deutschland, ist das etwa im US-Kongress regelmäßig Thema. Als Abbas darauf angesprochen wurde, entgegnete er, dass er eher auf alles Geld von außen verzichten würde, als diese Leistungen zu streichen.

"Da kippt man Geld oben rein und die entscheiden, was sie damit machen. Jeder zehnte Euro dafür kommt aus Berlin." 

Ein nicht unerheblicher Teil der Hilfsgelder fließt an das palästinensische Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNRWA. Ihm wird immer wieder eine Nähe zur Hamas vorgeworfen.
Die UN hat gut 13.000 Angestellte im Gazastreifen. Da waren in der Vergangenheit auch Leute mit Hamas-Parteibuch dabei. Als ich noch Bundestagsabgeordneter war, erzählten mir die UNRWA-Mitarbeiter, dass sie gar nicht umhinkönnen, Leute aus dem Hamas-Umfeld zu integrieren, weil sie sonst gar nicht agieren dürften. Seither hat sich erkennbar nichts an den politischen Verhältnissen in Gaza getan. Wieso also sollte sich die Zusammensetzung der UNRWA geändert haben? Das Problem an dieser Organisation ist auch, dass man dort nicht projektbezogen finanzieren kann. Da kippt man Geld oben rein und die entscheiden, was sie damit machen. Jeder zehnte Euro dafür kommt aus Berlin. An Schulen der UNRWA und auch der Autonomiebehörde gab es immer wieder Beschwerden über problematisches Lehrpersonal oder Lehrbücher, in denen etwa die palästinensischen Attentäter der Olympischen Spiele 1972 in München als Helden gefeiert werden.

Selbst projektbezogene Förderungen aus Deutschland stehen unter Verdacht. Israel hat acht NGOs, an die einst deutsche und europäische Hilfsgelder gingen, als Terrororganisation eingestuft.
So viel dazu, dass angeblich genau hingeschaut wird. Es gibt einen Bericht aus offenen Quellen – keine Geheimdienste, kein Geraune – der zeigt, dass diese Organisationen von oben bis unten durchsetzt sind mit Mitgliedern der PLFP. Das ist eine marxistisch-leninistische Organisation, absolut säkular, nicht islamistisch, aber trotzdem vollkommen terroristisch. Das Bundesinnenministerium ist von der Argumentation der Israelis überzeugt, das Auswärtige Amt nicht. Es würde die NGOs am liebsten wieder finanzieren. In Jerusalem müsste man die Wieder-Förderung dieser Organisationen als einen Angriff auf Israels nationale Sicherheit verstehen.

"Wenn Deutschland Geld gibt, dann gibt es Voraussetzungen: Absage an Antisemitismus, keine Verbindung zu Terrorismus."

Aber was ist dann die Lösung? Alle humanitären Hilfsmaßnahmen streichen?
Nein. Aber wir müssen sorgfältiger hinschauen. Und mein Verdacht ist, dass wir vor Ort einen erheblichen Teil falsch ausgegeben haben. Es muss klar sein: Wenn Deutschland Geld gibt, dann gibt es Voraussetzungen: Absage an Antisemitismus, keine Verbindung zu Terrorismus und Akzeptanz des jüdischen und demokratischen Staates Israel. Wird das verletzt, wird nicht gezahlt.Und: Auch humanitäre Hilfe für Gaza und das Westjordanland darf es nicht ohne ein "Go" aus Jerusalem geben. 

Ist jetzt denn die Zeit für eine langwierige Prüfung? Die Lage in Gaza wird immer dramatischer. Israel hat den Menschen dort Wasser und Strom abgedreht, agiert mit zunehmenden Bombenangriffen und bereitet eine Bodenoffensive vor. Die Zivilisten brauchen Hilfe. Und zwar sofort.
Hilfsgüter kommen dort gerade praktisch sowieso nicht rein. Aber klar, es braucht Hilfe. Dort leben zwei Millionen Menschen, wahrscheinlich überwiegenden keine Freunde Israels, aber eben auch nicht zwingend Hamas-Anhänger oder Terroristen. Viele von ihnen würden dem Himmel danken, wenn sie da rauskämen. Wer jetzt humanitär etwas tun will, muss die Initiative des US-Präsidenten Joe Biden für einen humanitären Korridor unterstützen, die Ägypter dazu bekommen, die Grenze nach Gaza aufzumachen und den UNHCR (den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, Anm. d. Red.) anrufen, um Flüchtlingslager auf der Sinai-Halbinsel zu bauen. Denn Israel muss zum Schutz seiner Bevölkerung die Hamas im Gaza nachhaltig terroristisch handlungsunfähig machen.

Wird es denn je möglich sein, Gelder in palästinensische Gebiete zu schicken, ohne dass etwas davon im Nährboden des Terrors versickern könnte?
Es braucht auch bei der Hilfe eine Zeitenwende: Man muss es notfalls selbst machen. Oder an Werke und Organisationen geben, die einen deutschen, europäischen oder amerikanischen Hintergrund haben. Wir müssen umdenken und den Menschen gegebenenfalls unmittelbar helfen. Ohne einen palästinensischen Mittler mit Terrorverbindungen.

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