Berner Sennenhund „Leo“ (10) sitzt nach dem Unfall noch im Transporter. Der Rüde steht unter Schock
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von: A. ZU CASTELL-RÜDENHAUSEN UND H. STEGMÜLLERveröffentlicht am
Stuttgart – Völlig verstört sitzt Rüde „Leo“ (10) auf dem Beifahrersitz des Transporters, will nicht heraus. Der Berner Sennenhund trauert: Minuten zuvor ist sein Herrchen mit dem Fahrzeug tödlich verunglückt.
Krankenwagen und Polizei konnten am Unfallort nur noch den Tod des Fahrers feststellen
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Hundepsychologe Thomas Riepe (53)
Foto: privat
Gegen 18 Uhr war Fliesenleger Holger G. (48) mit seinem Vierbeiner in einem Renault Master nach Dettingen (Ba.-Wü.) unterwegs. Er fuhr zu schnell, verlor in einer Rechtskurve die Kontrolle, krachte in die Leitplanken. Weil der Handwerker nicht angeschnallt war, wurde er aus dem Seitenfenster geschleudert, stürzte 20 Meter eine Böschung hinunter – tot.
„Leo“ überlebte, aber stand unter Schock. Thomas Riepe (53) vom Berufsverband der Hundepsychologen: „Der Hund durchlebt eine akute Belastungsreaktion. Sein Stresssytem ist überfordert und kollabiert und das Tier weiß nicht, was es tut. Es herrscht Alarmstufe Rot. Der Hund hat nach dieser Unfallsituation Angst vor Hektik, dem Lärm, den Lichtern und fremden Menschen. Er ist in einer extremen Erregungslage. Alles, was auf ihn einströmt, macht ihm Angst – er ist in einem Starrzustand.“
Um 18.27 Uhr wurde Jürgen Völker (58) von der Tierambulanz Mittlerer Neckar gerufen. „Als ich da ankam, saß der Hund wie versteinert auf dem Beifahrersitz. Er knurrte, zeigte mir die Zähne.“
Jürgen Völker (58) von der Tierambulanz Mittlerer Neckar
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Der Tierretter beruhigte ihn, konnte ihm eine Zuziehleine anlegen: „Damit wollte ich ihn in mein Spezialfahrzeug bringen.“ Doch „Leo“ wehrte sich, wollte immer wieder zurück zum Auto seines Herrchens. „In so einer Situation reagieren Hunde ähnlich wie Kinder“, sagt Hundepsychologin Carola Baum (54). „Besonders wenn die Bindung zwischen Tier und Mensch stark ist, kann es sein, dass ein Hund seinem Herrchen nicht von der Seite weicht.“
Nach einer halben Stunde betrat „Leo“ schließlich den Tiertransporter, ließ sich zu seiner Familie fahren. Holger G. hinterließ Ehefrau, fünf Töchter und einen Stiefsohn.
Auf alle Beteiligten kommt eine schwere Zeit zu. Für Menschen gibt es Hilfe, Stellen, an die sich die Hinterbliebenen wenden können. Doch was bedeutet der Verlust des Herrchens für einen kleinen Hund?
Der Fahrer wurde die Böschung hinunter geschleudert und konnte von den Rettungskräften nur noch tot geborgen werden
Foto: SDMG
Hundepsychologe Thomas Riepe: „Dass sein Herrchen nicht bei ihm ist, verwirrt ihn. Denn das einzige, woran er sich orientieren kann, ist seine Bezugsperson und die macht nichts. Seine Bezugsperson ist weg, nicht ansprechbar, dem Hund fehlt der Orientierungspunkt. Der Hund hat ein Trauma.“
Wie bei Menschen auch komme es jetzt auf den Hund an, wie lange er traumatisiert sei, meint der Experte. Man könne nicht sagen, wie lange oder ob er es überhaupt verwinden könne: „Irgendwann wird er sich daran gewöhnen, dass seine Bezugsperson weg ist. Doch er kann länger darunter leiden. Denn anders als bei Menschen, kann er das Trauma nicht durch Gespräche aufarbeiten. Jetzt ist es wichtig, dass er zuhause ist und eine vertraute Umgebung und Menschen hat. Der Hund braucht jetzt Ruhe und Sicherheit.“
Aber kann ein Hund überhaupt um einen Menschen trauern? Das geht, meint Hundepsychologin Carola Baum (54) aus Berlin zu BILD: „Ein Hund kann natürlich trauern. In so einer Situation reagieren Hunde oft ähnlich wie Kinder. Besonders wenn die Bindung zwischen Tier und Mensch sehr stark ist, kann es sein, dass ein Hund seinem Herrchen nicht von der Seite weicht.“
Ganz hoffnungslos sei die Situation für Hündchen Leo jedoch nicht, sagt die Psychologin: „Der große Vorteil ist, dass der Hund noch eine Bezugsperson hat. Hunde kommen mit einer solchen Situation schneller zurecht, da sie im Hier und Jetzt leben. Trotzdem geht so ein Vorfall nicht spurlos an ihm vorbei. Jetzt hofft er noch, dass das Herrchen zurückkommt. Das kann zwei Tage dauern, aber auch Monate. In dieser Zeit sollte sein Frauchen für ihn da sein, ihm viel Abwechslung bieten und sich viel Zeit nehmen und mit ihm schöne Dinge unternehmen. Es ist natürlich, dass er sein Herrchen sehr vermisst.“