Meeressaurier mit Giraffenhals wurde gezielt von Raubtieren enthauptet

22.06.2023 13:14

Prähistorische Meeressaurier passten sich ihren Lebensumständen an – lange Zeit mit Erfolg. Über Millionen von Jahren bewohnten sie die Meere der Welt. Doch ihr langer Hals war auch ihre größten Schwäche. Das haben Forscher aus Stuttgart nun belegt.

In der Zeit der Dinosaurier lebte eine ganze Reihe von urzeitlichen Meeresreptilien in den Gewässern unserer Erde. Dabei war ein Merkmal bemerkenswert: Viele dieser Lebewesen hatten einen extrem langen Hals – teilweise doppelt oder dreifach so lang wie ihr Rumpf. Über eine lange Zeit stellte sich diese Anpassung als evolutionärer Vorteil heraus. Meeresreptilien wie der Tanystropheus waren so offenbar in der Lage, auf Futtersuche ihre Beute zu überraschen – und das mit Erfolg. Die langhalsigen Meeresbewohner lebten knapp 175 Millionen Jahre, bis sie ausstarben. 

Meeressaurier: Tanystropheus wurde gezielt von Raubtieren enthauptet

Doch schon seit der Zeit von Charles Darwin spekulieren Forscherinnen und Forscher, dass der lange Hals auch eine gefährliche Angriffsfläche für die Tiere war. Belegt werden konnte dies allerdings nicht – bis jetzt. Wissenschaftler des Naturkundemuseums Stuttgart haben in einer neuen Studie zwei Fossilien von 242 Millionen Jahre alten Tanystropheus untersucht. Die Körper dieser sogenannten Giraffenhalssaurier waren vollständig vom Hals abgetrennt und weisen Bissspuren von Raubsauriern auf. 

Dies sei der erste eindeutige Beweis dafür, dass die verlängerten Hälse trotz ihres evolutionären Erfolgs bei Meeresreptilien verwundbar waren, so die Forscher in einer Pressemitteilung. Die ausführlichen Forschungsergebnisse veröffentlichten sie im Fachmagazin "Current Biology"

So erwartbar die Ergebnisse sind, für Wissenschaftler seien sie ein "wichtiges Puzzle-Stück im Hinblick auf die Evolution und Interaktion von Meeressauriern in ihren Ökosystemen." Denn fossile Belege für Räuber-Beute-Interaktionen seien sehr selten erhalten. Die Forschungsergebnisse untermauern die Interpretation vieler Wissenschaftler. 

Der Paläontologe Stephan Spiekman, Experte für triassische Reptilien, erklärte: "Von den verschiedenen Formen der Meeresreptilien war der Giraffenhalssaurier Tanystropheus vielleicht eines der bizarrsten Beispiele: Er hatte einen Hals, der dreimal so lang war wie sein Rumpf, aber nur 13 extrem verlängerte Wirbel." Dies habe seinen Hals besonders lang, schlank und steif gemacht. Er habe wahrscheinlich dazu gedient, Beute aus dem Hinterhalt zu fangen. 

Untersuchte Exemplare lebten vor 242 Millionen Jahren zwischen der heutigen Schweiz und Italien

Die untersuchten Exemplare hätten vor 242 Millionen Jahren in einem flachen Meer zwischen der heutigen Schweiz und Italien gelebt, erklärten die Forscher. Eines davon sei knapp 1,5 Meter groß gewesen und habe sich vermutlich von Garnelen und anderen Wirbellosen ernährt. Sein Artgenosse sei knapp sechs Meter lang gewesen und fraß Fische und auch Tintenfische. 

"Unser wichtigstes Forschungsergebnis ist der direkte Nachweis der Enthauptung von ausgestorbenen langhalsigen Meeresreptilien durch Raubtiere", so Spiekman. Auch das Vorhandensein von Bissspuren sei bemerkenswert. "Darüber hinaus zeigt uns das wiederholte Auftreten von abgetrennten Hälsen, dass der verlängerte Hals tatsächlich eine funktionelle Schwachstelle der Tiere war", so der Forscher weiter. 

Die Untersuchung habe gezeigt, dass beide Exemplare gezielt gejagt worden seien. Sowohl der Knochenbruch als auch der Charakter der Bissspuren legen demnach nahe, dass die Hälse mit einem einzigen Biss abgetrennt worden seien. Bei beiden Tieren seien Hals und Kopf nahezu perfekt erhalten, von den Körpern fehle jedoch jede Spur, was die Schlussfolgerung zuließe, dass sich das angreifende Raubtier wohl von ihnen ernährt habe, während es den mageren Hals zurückließ. 

Die kleinere Tanystropheus-Art könnte aufgrund ihrer geringer Größe verschiedenen Raubfischen oder auch anderen Meeresreptilien zum Opfer gefallen sein. Anders sieht es bei der größeren untersuchten Art aus. 

"Forschung zeigt, dass die Evolution ein Spiel mit Kompromissen ist"

Nur ein sehr großes Meeresreptil sei in der Lage gewesen, einem vier Meter langen Tanystropheus den Hals abzubeißen. Ein Vorfahre der Plesiosaurier, Nothosaurus giganteus, ist hier einer der Hauptverdächtigen", erklärte Eudald Mujal, Paläontologe am Stuttgarter Naturkundemuseum. 

Tanystropheus war laut Einschätzung der Forscher evolutionär recht erfolgreich, lebte mindestens zehn Millionen Jahre lang und kam in Europa, dem Nahen Osten, China, Nordamerika und möglicherweise auch in Südamerika vor.

"Unsere Forschung zeigt, dass die Evolution im weitesten Sinne ein Spiel mit Kompromissen ist. Der Vorteil eines langen Halses scheint jedoch das Risiko, von einem Raubtier angegriffen zu werden, aufgewogen zu haben", erklärte Spiekman. 

 

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