Modernste 3D-Technik lässt Gesichter des Mittelalters lebendig werden

30.01.2024 10:39

Wie ähnlich sahen uns die Menschen im Mittelalter und welche Geschichten haben sie uns noch heute zu erzählen? Ein englisches Forschungsteam hat drei Gesichter mit modernster 3D-Technik rekonstruiert und ermöglicht so einen Blick rund 700 Jahre zurück in die Vergangenheit

Alles begann mit einem Missgeschick. Als Arbeiter im Jahr 1957 eine heruntergekommene mittelalterliche Krypta in der schottischen Ortschaft Whithorn abdichten sollten, stolperten die verblüfften Männer über drei Steinsärge. Der Fund sorgte für Aufsehen und in den folgenden zehn Jahren untersuchten Archäologinnen und Archäologen die Stätte.

Bis heute ist Whithorn als "Wiege des schottischen Christentums" eine der wichtigsten Ausgrabungsstätten des Landes und die Bestattungen in Whithorn von großer archäologischer Bedeutung. Forscherinnen und Forscher entdeckten im Laufe der Zeit weitere Gräber mit kunstvollen Artefakten und menschlichen Überresten – und kamen so den Geschichten der Bewohner der Region rund um das Kloster Whithorn Priory Stück für Stück auf die Spur.

Bei den Ausgrabungen fanden sich die Leichen von Geistlichen ebenso wie von wohlhabenden Spendern des mittelalterlichen Priorats. Unter diesen Überresten fanden sich auch die drei nun rekonstruierten Personen, an deren Skeletten bereits in den Jahren 2000 und 2009 Isotopenanalysen durchgeführt wurden, die erste Hinweise auf die Lebensumstände der Menschen des Mittelalters lieferten.

Mithilfe modernster Technik gelang es einem Forschungsteam der Universität Bradford und dem auf Gesichtsrekonstruktion spezialisierten Forscher Dr. Chris Rynn, digitale 3D-Rekonstruktionen der Gesichter dieser drei Personen zu erstellen. Die Arbeiten erfolgten im Rahmen des "Cold Case Whithorn Projects", einem Forschungsunternehmen, das sich auf die archäologische Stätte Whithorn konzentriert.

Ein Bischof, ein Kleriker und eine Pilgerin

Die drei Personen, deren Gesichter mithilfe archäologischer und forensischer wissenschaftlicher Techniken rekonstruiert wurden, waren nachweislich alle Bewohner der Grafschaft Wigtownshire und wurden so bestattet, dass sie nach Auffassung der Forschenden zu Lebzeiten einen hohen sozialen Status genossen. Die Gesichter stammen von einem Bischof, einem Kleriker mit Lippenspalte und einer Frau, die in der Anlage des Klosters auf einem Bett aus Muscheln begraben wurde.

Alle drei waren auf unterschiedliche Weise mit dem Klosterleben verbunden und wurden den Forschenden zufolge zwischen dem 12. und 14. Jahrhundert auf dem Friedhof des Klosters Whithorn Priory beigesetzt.

Durch Analysen war es sogar möglich, den Überresten des Bischofs eine konkrete, historisch festgehaltene Person zuordnen: Bischof Walter, der Anfang des 13. Jahrhunderts lebte und der vor seiner Bischofsweihe dem Lord of Galloway als Hausangestellter diente. Wie das National Museum Scotland (NMS) feststellte, war sein Grab das Beispiel für eine der "herausragendsten Bestattungen in Bezug auf Ort und Ausstattung".

Er wurde vollständig bekleidet begraben, mit Wertgegenständen, darunter ein mit Rubinen und Smaragden besetzter Goldring. Bischof Walters Skelett zeigte Anzeichen von Fettleibigkeit und einer reichhaltigen Fischdiät, während seine Zähne verrieten, dass er in Galloway aufgewachsen war.

Auch die Analysen der Überreste des Klerikers weisen auf ein Aufwachsen in Galloway hin. Unklar ist noch, welche Rolle der Mann innerhalb der Kirche übernahm. Er wurde neben hohen Mitgliedern der Gesellschaft begraben, jedoch fehlte es ihm an aufwändigen Grabbeigaben.

Beachtenswert war außerdem die Frau, die auf einem Bett aus Muscheln bestattet wurde. Laut Shirley Curtis-Summers, Bioarchäologin an der School of Archaeological and Forensic Sciences der University of Bradford, stand diese Art des Begräbnisses im Mittelalter im Zusammenhang mit Pilgerreisen. Aus diesem Grund ist eine mögliche Theorie, dass die Frau im Rahmen einer Pilgerreise das Kloster Whithorn besuchte und ihre Geschichte durch diese Art des Begräbnisses deutlich gemacht werden sollte.

Isotopenanalysen, 3D-Scans und Modellierungen

Um den Menschen, die vor 700 Jahren starben, ein Gesicht zu geben, erstellte Adrian Evans, archäologischer Wissenschaftler an der Universität von Bradford, 3D-Scans der Schädel. Diese 3D-Bilder verwendete der auf Gesichtsrekonstruktion spezialisierte Dr. Chris Rynn dann, um die Gesichter der drei Verstorbenen so realistisch wie möglich digital zu rekonstruieren.

"Dies beinhaltet die Verwendung von Weichgewebetiefen im Gesicht, individuell geformter Muskulatur, die zu jedem Schädel passt, sowie wissenschaftliche Methoden zur Schätzung der Gesichtsmerkmale wie Augen, Nase, Mund und Ohren anhand der Schädelmorphologie", sagt Dr. Chris Rynn in einer Erklärung der Universität Bradford.

Um mehr über die Ernährung und Gesundheit der in Whithorn begrabenen Menschen zu erfahren, führte Shirley Curtis-Summers, Archäologin an der University of Bradford, im Anschluss eine Isotopenanalyse der Bestatteten durch: "Dieses Projekt ist von enormer Bedeutung, denn obwohl wir nie die ganze Lebensgeschichte dieser Menschen aus dem Mittelalter werden erzählen können, so erlaubt es uns diese Art der Forschung dennoch, ihre Ernährung, Mobilität und jetzt sogar ihre Gesichter zu rekonstruieren, in ihre Vergangenheit einzutauchen und ihnen Auge in Auge ins Gesicht zu sehen."

Tatsächlich geben die moderne Technik und Forschungsmethoden den drei Verstorbenen so ein Gesicht – und die Gelegenheit, uns ihre Geschichten zu erzählen.

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