Neue Hinweise auf Übertragbarkeit von Alzheimer: Wie aussagekräftig ist die Studie?

05.02.2024 11:04

Zellen in einem an Alzheimer erkrankten Gehirn. Es zeigt sich unter anderem eine krankhafte Konzentration der Beta-Amyloid-Proteine, die zu braunen Plaques verklumpen, sich zwischen Neuronen ansammeln und die Zellfunktion stören

Forschende haben neue Hinweise, dass die Alzheimer-Krankheit durch einen medizinischen Eingriff, der heute nicht mehr angewendet wird, übertragen worden sein könnte. Wie aussagekräftig ist die Studie aus Großbritannien? 

Alzheimer ist die mit Abstand häufigste Demenzform weltweit - allein in Deutschland sind Schätzungen zufolge rund eine Million Menschen erkrankt. Bisher waren zwei Formen der Krankheit bekannt, bei der Nervenzellen im Gehirn absterben: Gängig ist die altersbedingte, sogenannte sporadische Variante. Weniger häufig tritt eine genetisch bedingte Form auf. Britische Mediziner berichten in einer Veröffentlichung nun von einem extrem seltenen dritten Typus, der durch eine medizinische Behandlung ausgelöst sein könnte, die allerdings seit fast 40 Jahren nicht mehr angewendet wird.

Die Gruppe um John Collinge von der Londoner National Prion Clinic (NPC) stützt sich bei der These auf Fallberichte von acht Menschen, die in ihrer Kindheit mit Wachstumshormonen therapiert wurden, die aus der Hirnanhangdrüse (Hypophyse) Verstorbener gewonnen worden waren. Die Behandelten entwickelten einige Jahrzehnte später, auffällig jung, Alzheimer-Symptome. "Die Alzheimer-Krankheit sollte nun als potenziell übertragbare Störung anerkannt werden", folgert das Team im renommierten Fachjournal "Nature Medicine".

Historisch überholt: Die Behandlung mit Wachstumshormonen aus der Hypophyse von Toten

Die Gewinnung von Wachstumshormonen aus der Hypophyse Verstorbener wurde von 1959 bis 1985 auf der ganzen Welt angewendet. In Großbritannien wurden im entsprechenden Zeitraum 1848 Personen therapiert. Als 1985 publik wurde, dass einige der behandelten Minderjährigen auffällig früh die tödliche Creutzfeld-Jakob-Krankheit (CJD) entwickelten, endete die Prozedur. Durch die neuen Hinweise der Forscher könnte sich abzeichnen, dass damalige Präparate auch den Keim für eine spätere Alzheimer-Erkrankung legten.

Das Forschungsteam um John Collinge vom Institut für Prion Diseases in London hatte zuvor schon die 80 Fälle der Creutzfeld-Jakob-Krankheit in Großbritannien untersucht. 2015 berichteten sie bereits über Indizien für eine Übertragung von Alzheimer, als sie in den Gehirnproben von Personen, die als Heranwachsende die Hormontherapie erhalten hatten und später an CJD verstorben waren, Amyloid-β-Proteine nachweisen konnten. Daraufhin holten die Forschenden die noch im Archiv lagernden Chargen der damals verwendeten Hormonpräparate erneut hervor. Sie fanden darin messbare Mengen von fehlgefalteten Amyloid-β- und Tau-Proteinen. Diese gehören zur Gruppe sogenannter Prione: Dies sind fehlgefaltete, infektiöse Proteine, die Krankheiten von Mensch zu Menschen übertragen können. Versuche mit speziellen Mausmodellen ergaben, dass diese historischen Proben immer noch pathologische, ja alzheimertypische Prozesse in Modelltieren anstoßen konnten.  

In ihrer aktuellen Studie berichten Collinge und sein Team von acht Personen, die als Minderjährige mit Wachstumshormonen behandelt wurden, allerdings nicht an Creutzfeld-Jakob erkrankten. Fünf von ihnen wiesen im Alter von 38 bis 55 Jahren Symptome auf, die mit einer früh beginnenden Demenz übereinstimmen und diagnostische Kriterien für Alzheimer erfüllen. Blutuntersuchungen bestätigten in zwei Fällen die Alzheimerdiagnose. Eine der übrigen drei Personen zeigte Symptome einer leichten geistigen Beeinträchtigung, eine andere hatte nur subjektiv empfundene kognitive Symptome. Die dritte war symptomlos. Während des Untersuchungszeitraums verstarben drei der acht Personen. Die Obduktion ergab in einem Gehirn klare Anzeichen für eine Alzheimererkrankung.

Wichtige Pilotstudie, aber weitere Studien nötig

Den Autorinnen und Autoren zufolge sprechen die Ergebnisse deutlich dafür, dass die Alzheimer-Erkrankung aufgrund einer medizinischen Behandlung übertragen werden kann. Fachleute sprechen in einem solchen Fall von einer iatrogenen Übertragung. Doch wie aussagekräftig ist das Studienergebnis, das sich auf fünf Fälle stützt? Ist die These einer iatrogenen Übertragung gerechtfertigt oder mehr als verfrüht? Eine solche Übertragung durch ärztliche Behandlungen wäre potenziell auch durch unzureichend aufbereitete neurochirurgische Instrumente oder kontaminierte EEG-Nadeln möglich.

Dr. Michael Beekes, Leiter der Forschungsgruppe Prionen und Prionoide am Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin spricht gegenüber dem Science Media Center von einer "wichtigen Pilotstudie". Allerdings schränkt er die Aussagekraft aufgrund der geringen Zahl von fünf Fällen ein. Zudem hätten zwei der fünf Betroffenen seit ihrer Kindheit geistige Beeinträchtigungen aufgewiesen, die mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für das Eintreten der degenerativen Alzheimer-Erkrankung einhergehen.

Wünschenswert seien laut Beekes daher weitere Studien, "um die weitreichenden Schlussfolgerungen des Autorenteams zu überprüfen". Der Experte: "Aus meiner Sicht erscheint es verfrüht, das klinische Syndrom der Patienten bereits aufgrund der aktuell berichteten Daten als iatrogene – das heißt durch ärztliche Behandlung verursachte – Alzheimerkrankheit zu bezeichnen und die Alzheimerkrankheit somit als übertragbar anzusehen."

Vorsichtig äußert sich auch der nicht an der Studie beteiligte deutsche Neurowissenschaftler Mathias Jucker vom Hertie-Institut für klinische Hirnforschung der Universität Tübingen und dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Sollte der Zusammenhang sich weiter bestätigen, wäre die Entdeckung "ein unglaublich bedeutsames Resultat". Es wäre unter anderem der Beweis für die seit langem diskutierte Annahme, dass fehlgefaltete Formen des Proteins Beta-Amyloid die Erkrankung verursachen können - und nicht nur ein Nebenprodukt des Absterbens von Hirnzellen sind. 
 

Infektiöse Eiweiße, sogenannte Prione, wurden auch in der Vergangenheit als Auslöser diskutiert 

Die Entdeckung infektiöser Proteine, sogenannte Prione, als neuartige Krankheitserreger hatten dem Wissenschaftler Stanley Ben Prusiner 1997 einen Nobelpreis für Physiologie oder Medizin beschert. Die neue Publikation aus Großbritannien stützt die bereits in der Vergangenheit diskutierte These, dass es sich bei Alzheimer um eine Prionenerkrankung handeln könnte. Ein finaler Beweis ist dies aufgrund der mäßigen Datenlage noch nicht. Verfrühte Schlussfolgerungen scheinen nach Meinung der Experten hierzulande nicht angebracht. Allerdings gelten Alzheimer - wie auch Parkinson - unter Fachleuten eh bereits als Prionen-ähnliche Erkrankungen, weil fehlgefaltete Proteine am Krankheitsprozess beteiligt sind.

So viel Aufsehen die These von der Übertragbarkeit durch krankhafte, fehlgefaltete Eiweiße derzeit erregt: Klar ist, so betonen alle Fachleute, dass von erkrankten Menschen im Alltagskontakt kein Übertragungsrisiko ausgeht. Das betrifft auch das medizinische Personal, das die Betroffenen pflegt. Es wäre dramatisch, wenn Erkrankte aufgrund des Medienechos an Zuwendung einbüßten. Denn Alzheimer-Betroffene profitieren vor allem auch von Ansprache und Zuwendung. Die britischen Forscher beschreiben im Grunde mit der veralteten Therapie einen extremen Sonderfall. Wachstumshormone werden heute sowieso auf anderem Wege, nämlich biotechnologisch hergestellt. Dass Alzheimerkeime bei einer solchen Hormontherapie übertragen werden, ist daher ausgeschlossen. 

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