Nordpol-Expedition muss zu verzweifelten Maßnahmen greifen

20.06.2022 12:25

Wie weit würde man gehen, um sich seine ehrgeizigsten Träume zu erfüllen? Die Geschichte ist voller Beispiele von Menschen, die nicht nur sich selbst, sondern auch anderen alles abverlangt haben, nur um ihren Namen in Geschichtsbüchern zu sehen.

Als ein solcher Mensch ist auf jeden Fall der norwegische Polarforscher Fridtjof Wedel-Jarlsberg Nansen (1861-1930) in Erinnerung geblieben.

Nansen hatte es sich zum Ziel gesetzt, als Erster den geografischen Nordpol zu erreichen. Der geografische Nordpol ist der nördlichste Punkt der Erde und der nördliche Schnittpunkt der Erdachse mit der Erdoberfläche. 

Der Polarforscher Nansen plante, diesen Punkt zu erreichen, indem er sich in einem Expeditionsschiff mit dem Eis der Arktis mittreiben ließ. Ab einem gewissen Punkt war im arktischen Eis mit dem Schiff kein Weiterkommen möglich. Aber theoretisch könnte man sich langsam mit den Eismassen Richtung Norden mitbewegen.

Nansen überzeugte den norwegischen Staat, öffentliche Einrichtungen und private Geldgeber von seinem Vorhaben und konnte mit deren Hilfe seine Expedition finanzieren. Er ließ dafür ein eigenes, kleines und besonders widerstandsfähiges Schiff bauen, das er „Fram“ (auf Deutsch: „Vorwärts“) nannte.

Ein gewagtes Unterfangen

Die Fram verließ Christiania (wie Norwegens Hauptstadt Oslo früher hieß) am 24. Juni 1893. Nansen und seine zwölf Begleiter fuhren das Schiff zu den Neusibirischen Inseln im östlichen Arktischen Ozean und ließen es dort im Packeis einfrieren.

Doch dann passierte lange Zeit gar nichts. Der erhoffte Drift der Eismassen, der die Fram hätte mit sich nehmen sollen, war viel zu langsam. Außerdem ließ sich die Richtung der Bewegung nicht beeinflussen.

Nach 18 langen Monaten des Wartens im arktischen Eis schrieb Nansen einen Abschiedsbrief an seine Frau und verließ im März 1895 zusammen mit seinem Mitstreiter Fredrik Hjalmar Johansen das Schiff, um den Nordpol auf Skiern und mit Hundeschlitten zu erreichen.

Mit dem Schlitten durch die eisige Weite

Vor den beiden Männern und ihren Hunden lag eine Strecke von 660 Kilometern. Sie mussten bei Temperaturen um die -40 °C reisen. Zuerst kamen sie gut voran, doch das Gelände wurde zusehends uneben und schwer zu durchqueren.

Die beiden verloren ihre Kräfte und wurden immer mutloser. Nansen schrieb in sein Tagebuch: „Alle meine Finger sind zerstört. Die Handschuhe sind steifgefroren … Es wird schlimmer und schlimmer … Gott weiß, was aus uns wird.“

Schließlich sah Nansen ein, dass ihre Vorräte nicht reichen würden, um den Nordpol zu erreichen und den Rückweg zu bewältigen. Er beschloss, nicht mehr Richtung Pol weiterzugehen und stattdessen Kap Fligely auf Franz-Josef-Land anzusteuern.

Überleben

Unterwegs mussten sie zu verzweifelten Maßnahmen greifen, um nicht zu verhungern. Die Nahrung war so knapp geworden, dass sie immer wieder einen ihrer Schlittenhunde töten mussten.

Das Hundefleisch verfütterten sie an die übrigen Hunde, das Blut der Tiere nutzten sie, um damit für sich selbst einen Brei anzurühren. Unterwegs überlebten die Abenteurer nur knapp den Angriff eines Eisbären, der ihrer Spur gefolgt war.

Von den ursprünglich 28 Hunden waren nur noch zwei übrig, als sie die Eiskante erreichten. Offenes Wasser trennte sie von Festland. Nansen und Johansen bauten aus ihren Schlitten zwei Kajaks und einen Katamaran, töteten ihre letzten beiden Hunde und setzten über.

Sie waren jedoch noch lange nicht in Sicherheit. Für die Wintermonate mussten sie sich einen Unterschlupf bauen und darin 8 Monate lang ausharren, bevor sie weiterziehen konnten. Sie hatten genug Wild zum Jagen, aber gegen die zermürbende Langeweile blieben ihnen nur ein Segelalmanach und Navigationstabellen als Lesestoff.

Nachdem die beiden einander die ganze Zeit über mit „Herr Johansen“ und „Professor Nansen“ angesprochen hatten, bot Nansen seinem Kameraden am Neujahrstag 1896 schließlich das „Du“ an.

Ein unerwartetes Wiedersehen

Es sollte noch weitere 6 Monate dauern, bis die beiden Männer endlich auf einen anderen Menschen trafen. Es war der britische Polarforscher Frederick George Jackson, der sich einst vergeblich auf eine Teilnahme an Nansens Reise beworben hatte. Jetzt war er mit seiner eigenen Expedition am Kap Flora unterwegs.

So begegneten sich am Ende der Welt im Eis zwei alte Bekannte. Nach einem Moment betretenen Schweigens erkannte Jackson sein Gegenüber unter dem langen Bart und den verfilzten Haaren. „Sie sind Nansen, nicht wahr?“, fragte er. Dieser antwortete: „Ja, ich bin Nansen.“

Jackson sorgte dafür, dass die beiden Abenteurer sicher zurück nach Norwegen gelangten. Die karge Zeit unterwegs im Eis hatte ihre Spuren hinterlassen. Johansen schrieb in sein Tagebuch, dass Nansen von seiner überheblichen Art zu Beginn der Expedition abgekommen sei und jetzt einen beherrschten und rücksichtsvollen Umgang pflege.

Die Fram hatte es unterdessen durch die kompetente Führung ihres Kapitäns Otto Sverdrup geschafft, sich aus dem Packeis heraus ins offene Meer zu manövrieren und gelangte wohlbehalten zurück nach Norwegen.

Zurück im Heimathafen

Die Forscher hatten den Nordpol nicht erreicht, galten aber dennoch als Helden. Als das Schiff – wieder mit Nansen und Johansen an Bord – am 9. September 1896 in den Hafen Christianias einlief, wurde die Mannschaft von einer jubelnden Menschenmenge willkommen geheißen.

Doch während Fridtjof Nansen und seine Familie als Gäste des Königs in dessen Schloss wohnen durften, wurde Hjalmar Johansen bei den Feierlichkeiten völlig übergangen.

Er schrieb in sein Tagebuch: „Nach alledem ist die Wirklichkeit nicht so wunderbar, wie sie mir noch inmitten unseres harten Daseins erschien.“

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