Von frühester Kindheit an träumte unser Autor davon, Bauer zu werden. Er hat großes Verständnis für die Wut der Landwirte. Aber ihre Forderungen hält er für kompletten Unsinn.
Liebe Bäuerinnen, liebe Bauern,
ich habe Euch immer beneidet. Ich bin in einem kleinen hessischen Dorf aufgewachsen, in dem es viele schöne Bauernhöfe gab. Nur unsere Familie hatte keinen. Wie ungerecht! Wir waren die Zugezogenen. Aber ich wollte doch auch Bauer sein! Also habe ich mir von klein auf immer wieder neue Adoptivbauern gesucht und bin von Hof zu Hof gepilgert. Jahrelang. Kleinbauern, Großbauern – ich habe alles gesehen.
Ich bin von morgens bis abends auf Heuböden, in Kuh- und Schweineställen herumgeturnt. Ich habe auf dem Plumpsklo begeistert direkt in die Jauchegrube gepinkelt und mir den Hintern mit dem kratzigen Quelle-Katalog vom vorangegangenen Jahr abgeputzt. Ich habe Kühe mit beißend riechender Silage gefüttert und mich zur Belohnung dann ein bisschen vor dem gefährlichen Zuchtbullen mit den schönen Stirnlocken gegruselt.
Ich bin morgens um fünf Uhr bei drei Grad auf dem offenen Traktor mit zwei Anhängern voller Rüben zur Zuckerfabrik in Friedberg mitgefahren – Abenteuer! Wenn ein Schwein am Misthaufen mit dem Bolzenschussgerät erschossen wurde, schien mir das sehr grausam, aber auch sehr spannend. Wenn ich Trecker fahren durfte, war es das Größte. Ich kannte die Besitzverhältnisse im Umland unseres Bauerndorfes besser als das zuständige Katasteramt. Und mein größtes Bedauern war immer, dass ich dort niemals auch nur einen klitzekleinen Hektar Land erben würde – anders als all meine Freunde von damals. Wenn ich heute tief in mich hineinhöre, wäre ich noch immer am liebsten Bauer. Leider habe ich es nur bis zum dilettierenden Kleingärtner geschafft. (Kennt Ihr vielleicht ein gutes Hausmittel gegen Birnengitterrost?)
Das Sterben der Höfe
Natürlich weiß ich, wie schlecht es Euch geht. Neulich bin ich mal in das hessische Dorf zurückgekehrt, wo ich alle Höfe und Felder kannte. Ich war bei meinen Kumpels und Adoptivbauern von damals. Aber da waren nirgendwo mehr Misthaufen. Da quiekten nirgendwo mehr Schweine in den Ställen. (Wisst Ihr eigentlich, dass Schweine sehr genau zuhören, wenn man ihnen vor dem Füttern etwas vorsingt?)
Von dem guten Dutzend Bauern in dem Dorf bewirtschaftet heute nur noch ein einziger seinen Hof. Alle anderen haben aufgegeben. Ich war auch bei meinem Lieblingsbauern, der inzwischen sehr alt ist. Er sitzt den ganzen Tag an seinem Wohnzimmer-Fenster mit Blick auf die Kreuzung vor der Dorfkirche, wo früher reger Trecker- und Mähdrescherverkehr herrschte. Aber die Kreuzung ist jetzt einfach tot. Es ist unglaublich traurig.
Mir ist klar, dass es so nicht weiter geht. Eure Situation ist rundum beschissen. Und ich kann Eure Wut verstehen. Ich fühle sie nämlich auch. Protestiert gern und ausgiebig und mit allen Mitteln, die Euch der zivile Ungehorsam bietet. Aber lauft doch bitte nicht irgendwelchen Rattenfängern hinterher, die Euch Scheinlösungen vorgaukeln. Und protestiert doch bitte für ein anständiges Anliegen und nicht für so einen Mist wie billigen Diesel! Das ist unter Eurem Niveau.
Ihr braucht doch etwas ganz anderes als ein paar Liter verbilligten Kraftstoff. Von diesen albernen Diesel-Subventionen profitieren doch sowieso nur wieder die gut verdienenden Großbetriebe. Und von denen müssen wir weg. Es ist doch gerade das stetige Wachstum und die unablässige Konzentration der Betriebe, die alles kaputt gemacht haben. Wir brauchen doch eine echte Agrarwende, die zu einer diversifizierten und nachhaltigen Landwirtschaft führt. Damit es Euch allen wieder besser geht. Und wenn es Euch besser geht, dann geht es auch uns besser. Und den Tieren sowieso.
Landwirtschaft ist kompliziert. Mit den Billigrezepten von populistischen Rattenfängern kann man ihre Zukunft nicht sichern. Und mit ein paar Trottel-Subventionen auf Diesel auch nicht. Deswegen ist es Unsinn, gegen die Kürzungen von Dieselsubventionen zu protestieren.
Agrarwende statt Billig-Diesel
Ihr braucht etwas ganz grundlegend anderes. Und Ihr braucht viel mehr. Aber Eure brennende Wut gegen die aktuelle und auch die vorangehende Regierung, die ist vollkommen berechtigt. Und ich teile sie. Denn seit 2020 liegen ganz konkrete Vorschläge für den Umbau der Landwirtschaft auf dem Tisch, die explizit von der Politik angefordert wurden.
So hatte Angela Merkel nach den monatelangen Bauernprotesten im Sommer 2020 ein Experten-Gremium eingesetzt, das Wege zur dringend notwendigen Agrarwende erarbeiten sollte. Diese "Zukunftskommission Landwirtschaft" stellte dann im Sommer 2021 ihren Abschlussbericht vor. Der ist eine regelrechte Blaupause für nachhaltige Landwirtschaft. Man bräuchte die darin enthaltenen Vorschläge nur noch beherzt umzusetzen. Passiert aber nicht. Stattdessen erbärmliche Flickschusterei.
Es gibt zahlreiche konkrete Forderungen zur Transformation der Landwirtschaft, die in gesamtgesellschaftlichen, demokratischen Prozessen ausdiskutiert wurden und seit Jahren unter den verantwortlichen Politikern und Beamten zirkulieren. So wurde auch das Experten-Gremium unter dem ehemaligen Landwirtschaftsminister Joachim Borchert, die so genannte "Borchert-Kommission", schon 2019 eingesetzt. In diesem Gremium erarbeiteten Bauern- und Umweltverbände zusammen mit Experten aus Wissenschaft und Verwaltung ganz konkrete Empfehlungen für den Umbau der Landwirtschaft zum Wohle der Nutztiere. 2020 veröffentlichte diese Kommission dann ihr Abschlusspapier. Seitdem vergilbt es in irgendeiner Schublade. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir zog es in den ersten Monaten der Ampelkoalition wohl einmal kurz interessiert aus der Schublade, legte es dann aber bald wieder zurück. Seitdem vergilbt es weiter. Im Sommer 2023 warf die Kommission dann entnervt hin. Es ist zum Irrewerden.
Liebe Bäuerinnen und Bauern, ich sehe das so: Die aktuellen Subventionen sind allesamt Mist. Sie stützen eine Landwirtschaft, die uns allen nicht gut tut. Euch nicht, uns nicht, der Umwelt nicht, den Tieren nicht. Deswegen macht es keinen Sinn, für den Erhalt dieser unsinnigen Subventionen zu protestieren.
Die Wahrheit ist: Ihr braucht ganz andere Subventionen. Und davon mehr. Sehr viel mehr als die paar 1000 Euro für Diesel. Dafür müsst Ihr protestieren. Eure Lage ist verheerend. Unsere Landwirtschaft ist eine Katastrophe. Sie ist eine einzige Zumutung für Euch, für unsere Umwelt und die Tiere. So kann es nicht weiter gehen. Aber protestiert doch bitte nicht unter Eurem Niveau. Bleibt Demokraten und lauft keinen populistischen Rattenfängern hinterher.
Es gibt keine einfachen Lösungen. Das wisst Ihr selbst. Ihr habt schließlich aus eigenem Antrieb genügend Initiativen gegründet, die kluge Strategiepapiere erarbeitet haben, für deren Umsetzung man auf die Straße gehen könnte. So ist es beispielsweise jungen Bauern und Naturschützern 2021 gelungen, sich trotz vieler Gegensätze tapfer zusammenzuraufen: Der "Bund der Deutschen Landjugend e.V." und die "Jugend im Bund für Umwelt und Naturschutz e.V." haben zusammen eine "Gemeinsame Vision zur Zukunft der Landwirtschaft" erarbeitet. Ihr 10-Punkte-Plan beinhaltet genügend Stoff für viele hübsche Demo-Plakate.
Auch die "Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft" hat einen Katalog mit zwölf Kernforderungen erarbeitet, die weit über die simple Parole "Billiger Diesel!" hinausgeht.
Liebe Bäuerinnen und Bauern, schmeißt Eure bescheuerten Ampel-Galgen weg, schreibt die Forderungen der jungen und alten Experten auf Eure Plakate und viele werden sich Euch anschließen. Ich jedenfalls wäre dabei. Aber nicht für Diesel.