Ein Ehepaar lebte zusammen mit ihrem 7-jährigen Sohn und dessen Opa gemeinsam in einem Haus. Lange Jahre war der Großvater eine große Hilfe. Er kümmerte sich nicht nur liebevoll um den Kleinen, sondern hielt auch mit seinem handwerklichen Geschick das Haus in Schuss und erledigte all die Kleinigkeiten, die dort anfallen. Er hat der Familie das Leben erleichtert, wo er nur konnte.
Leider blieb auch er von den Zeichen der Zeit nicht verschont. Seine Augen und Ohren wurden schlechter, er konnte nicht mehr richtig laufen und auch mit dem Essen hatte er mittlerweile Probleme. Wenn er vor dem Fernseher saß, lief dieser immer auf voller Lautstärke. Beim Mittag fiel ihm nicht nur das Essen von der Gabel, sondern gelegentlich auch das Besteck aus der Hand oder das Glas vom Tisch. Ein paar gingen dabei auch zu Bruch. Wenn sie mit ihm reden wollten, hatte er Probleme, sie zu verstehen und er war in seinen Antworten oft etwas langsam.
Irgendwann wurde es den ungeduldigen Eheleuten zu viel. Sie stellten dem alten Mann billiges Plastikgeschirr hin, das er nicht kaputtmachen konnte. Sie schickten ihn vom Fernseher fort in sein kleines Zimmer, wo er mit Kopfhörer fernsehen sollte. Und sie fanden nicht einmal mehr etwas Zeit dafür, sich mit ihm zu unterhalten. Wenn er mit ihnen reden wollte, schoben sie ihn beiseite und sagten: „Jetzt nicht.“ Um ihn zu beschäftigen, gaben sie ihm alte Rätselhefte und ab und zu etwas billige Schokolade. Die sollte er aber möglichst in seinem Zimmer essen, damit das gute Sofa keine Flecken bekommt. Kurz: Weil der alte Mann nicht mehr richtig funktionierte, wurde er ihnen zum lästigen Übel.
Eines Tages räumte die Frau das Zimmer des kleinen Sohnes auf. Dabei entdeckte sie einen Schuhkarton, der voll war mit benutzen Sachen: Einweg-Plastikbesteck, das der Kleine offensichtlich aus der Schulkantine mitgenommen hatte. Alte Zeitschriften, die schon völlig abgegriffen waren. Klebrige alte Bonbons, die wohl eine Weile in seinen Hosentaschen waren. Auch einen billigen Kopfhörer, den er selbst nicht mehr wollte, weil er nicht mehr richtig funktionierte, hatte er hineingelegt. Die Mutter hielt das alles für Abfall und nahm den Karton mit. Sie legte ihn erstmal im Flur ab, um ihn dann später wegzuwerfen.
Als der Junge aus der Schule nach Hause kam, sah er den Karton. Er fragte die Mutter voller Empörung, warum der hier beim Müll steht. "Wieso", fragte sie ihn, "was willst du denn sonst damit tun?" Seine Antwort war für sie wie ein Schnitt ins Herz: "Na die Sachen hebe ich für dich und Papa auf. Die könnt ihr dann benutzen, wenn ihr alt seid und nicht mehr richtig könnt."
Die Frau fing bitterlich an zu weinen. Erst jetzt, durch die unbedarften Handlungen ihres Kindes, sah sie, wie schlecht und respektlos sie ihren Vater behandelt hatte. Der Junge hatte nur getan, was sie ihm vorlebten. Sofort lief sie in das Zimmer des Opas, holte ihn heraus und setzte sich bei Kaffee und Kuchen mit ihm an den Tisch. Sie unterhielten sich stundenlang. Durch das Zuhören erfuhr sie Dinge aus seinem Leben, die sie noch nicht wusste, weil sie sich nie zuvor Zeit für ihn genommen hat. Der Großvater war endlich wieder ein Mittelpunkt der Familie.
Wie oft wird ein Mensch im Alltag beiseite geschoben, bloß weil er das Tempo nicht mehr mithalten kann? Dabei haben wir den älteren Menschen so viel zu verdanken und können noch so viel von ihnen lernen, wenn wir uns nur die Zeit dafür nehmen.