Bei Tiktok viral zu gehen, bedeutet schnell Millionen Menschen zu erreichen. Für kleinere Firmen kann ein zu schneller Erfolg dort allerdings nicht nur ein Segen sein. Vor allem, wenn sie direkt über Tiktok verkaufen.
Ein kleiner Clip ist oft genug. Wer beim Video-Netzwerk Tiktok einen besonders lustigen, spannenden oder anderweitig bewegenden Clip hochlädt, kann über Nacht Abermillionen Views anhäufen. Für eine Firma bedeutet ein solcher viraler Erfolg eines Produktes oft Unmengen neuer Kunden. Doch das kann ganz eigene Probleme mit sich bringen.
"Es war schlicht physisch nicht möglich, gemeinsam mit meinem Ehemann die Bestellungen abzuarbeiten und dabei noch eine Familie am Laufen zu halten", berichtet Jessica Slone gegenüber dem "Insider". Slone betreibt die Bad Addiction Boutique – und wurde völlig aus dem Nichts von einem Viral-Hit mitgerissen. Ein Pullover mit mit verschiedenen Motiven von Gläser mit eingelegten Gurken wurde auf Tiktok plötzlich zum heißbegehrten Produkt. Und mehr als 42.000 Kunden wollten plötzlich den 44 Dollar teuren Sweater kaufen.
Tiktok als Shopping-App
Verkauft hatte sie die Pullover nicht über eine Drittplattform, sondern direkt bei Tiktok. Die dafür genutzte Shop-Funktion ist in Deutschland bisher nicht verfügbar. Seit 2021 in Großbritannien und Indonesien im Testlauf, wurde sie Mitte September auch in den USA eingeführt. Echte Konkurrenz müssen Amazon und Co. aktuell aber wohl noch nicht befürchten. Eine erste Analye von "Bloomberg" fand, dass der Shop nicht nur schwer zu navigieren sei, sondern war auch vom Angebot etwas enttäuscht. Vor allem günstige Waren aus China seien dort zu finden, so das Wirtschafts-Magazin. Aber eben auch das ein oder andere Kleinod, das dann über den berüchtigten Tiktok-Algorhitmus plötzlich zum Hit wird.
Das kann vor allem wegen der strengen Vorgaben schnell zur Herausforderung werden. Wer einen Shop über die Video-App betreiben will, verpflichtet sich damit auch, nach höchstens drei Geschäftstagen zu liefern. Keine leichte Aufgabe, wenn man bislang nur kleinere Mengen verkaufte. "Wir verkaufen jeden Tag so viele, dass wir Tag und Nacht wach bleiben müssen, nur um jeden beliefern zu können", staunt auch Ashley Martinez, die ebenfalls von der Gurkenwelle mitgerissen wurde. Und auch die Nachtschichten setzen natürlich voraus, dass überhaupt genug Inventar vorhanden ist.
Wir hatten mehr als 1000 Bestellungen am Tag. Das ist an sich großartig – aber man muss erstmal an einem Tag so viel produzieren können", klagt etwa Lindzi Shanks, die Mitgründerin eines Marshmallow-Herstellers. "Sonst stauen sich die Bestellungen einfach nur noch auf."
Risiko Viralerfolg
Die notwendigen Kapazitäten für Produktion und Versand aufzubauen, birgt aber wieder ein eigenes Risiko. Zur Natur der Viraltrends gehört eben auch, dass diese jederzeit wieder vorbei sein können – und man auf den teuer eingekauften zusätzlichen Kapazitäten einfach sitzen bleibt. "Wenn es gerade mal gut läuft, kann das ja immer eine Anomalie sein", erklärt Michael Herling, der über die Plattform selbstgenähte Kappen verkauft. "Oder es ist nur ein Ausrutscher und nächste Woche wird der wieder behoben."
An den Gurken-Shirts von Slones Bad Addiction Boutique lässt sich das wunderbar beobachten: Während manche Clips über 30 Millionen Aufrufe haben, sind es bei anderen wenige Tausend. Auch Süßigkeiten-Händlerin Hira Tariq kann das bestätigen. "Manchmal poste ich ein Video und die Bestellungen gehen durch die Decke. Aber dann folgen auch immer wieder Perioden, in denen gar nichts geht. Es geht rauf und runter."
Nicht irgendein Online-Shop
Bei den Vorgaben orientiert sich Tiktok klar an den großen Online-Vorbildern wie Amazon, die ebenfalls auf eine schnelle Lieferung pochen. Grundsätzlich ist das aus Tiktoks Sicht nachvollziehbar. Schließlich erwarten die Kunden im Onlinehandel mittlerweile eine möglichst schnelle Lieferung. Probiert man eine neue Verkaufsplattform aus und erwischt einen Verkäufer, der nicht oder langsam liefert, nutzt man diese vielleicht nicht mehr.
Allerdings ist Tiktok eben nicht nur ein Online-Shop – und kann anders als andere Verkaufs-Plattformen urplötzlich Millionen potenzielle Kunden auf einen kaum bekannten Händler loslassen. Zumindest zu Anfang gibt es sogar einen Schutz-Mechanismus dafür. Neue Händler müssen sich erst einmal für eine Periode von 30 bis 60 Tagen beweisen, die Plattform grenzt in diesem Zeitrahmen ihre Sichtbarkeit etwas ein, beschränkt die maximale Anzahl täglicher Bestellungen. Halten sich die Neuhändler in der Zeit an die Regeln und liefern rechtzeitig aus, wird die Beschränkung allerdings wieder aufgehoben.