Polizei beschlagnahmt Handy wegen nur eines Klicks – sind Likes strafbar?

22.06.2022 12:01

Auf Twitter beklagt ein Nutzer die Beschlagnahmung seines Smartphones. Er hatte mutmaßlich einen Beitrag mit einem Like markiert, der getötete Polizisten verunglimpfte. Der stern klärt auf, ob ein "Like" strafbar sein kann.

In den frühen Morgenstunden des 20. Juni startete die Polizei bundesweite Durchsuchungen, die sich gegen die Verfasser mutmaßlicher Hassbotschaften im Internet richteten. Die Generalstaatsanwaltschaft meldet: Strafprozessuale Maßnahmen in 15 Bundesländern, 75 angetroffene Tatverdächtige – Datenträger wie Smartphones, Laptops oder Festplatten sichergestellt. Die Maßnahmen basieren auf Ermittlungen, die das Landeskriminalamt (LKA) Rheinland-Pfalz nach der Tötung zweier Polizeibeamter Ende Januar aufgenommen hatte.

Ende Januar wurden zwei Beamte, eine 24-jährige Polizeianwärterin und ihr Kollege, ein 29 Jahre alter Oberkommissar, bei einer Verkehrskontrolle auf einer Kreisstraße in der Pfalz in der Nähe der Kreisstadt Kusel erschossen. Die Ermittlungen zu dem Fall dauern an, parallel nahmen die Behörden Hassbotschaften über die verstorbenen Personen ins Visier.

309 strafrechtlich relevante "Likes"

Eine erste Bilanz: Die Landeszentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZeT) untersuchte 767 Hinweise, stufte 536 Posts als strafrechtlich relevant ein. Insgesamt führte dies zu 164 eingeleiteten Ermittlungsverfahren. Überraschend kommt hinzu, dass 309 strafrechtlich relevante sogenannte "Likes", also Klicks auf den "Gefällt mir"-Button, festgestellt worden sind.

Ein Betroffener meldet sich bei Twitter und zeigt das Schreiben der Polizei: Weil er sich durch einen mutmaßlichen Klick auf "Gefällt mir" unter einer Hassbotschaft "die Aussage des Ursprungsverfassers zu eigen gemacht habe", habe er sich der "Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener gemäß Paragraph 189 Strafgesetzbuch" strafbar gemacht.

1 Like = 1 Beschlagnahmung

Im Mittelpunkt dieses speziellen Verfahrens steht ein Tweet des Nutzers "MulletProof", der am 4. Februar 2022 den Tweet "Schweigeminute für Bullen? [...] Ich trauere, wenn Unschuldige sterben, nicht wenn die Killer selbst mal dran glauben müssen." veröffentlicht haben soll. Der Account, von dem diese Aussage stammen soll, ist inzwischen nicht länger öffentlich einsehbar. Der Beschuldigte gibt an, den Account nicht zu kennen und sich daran nicht erinnern zu können. Die Polizei habe seiner Meinung nach "nichts relevantes gefunden", dennoch sein Smartphone beschlagnahmt. Ein Termin vor Gericht wird wohl folgen.

Ein Strafverfahren und eine Durchsuchung wegen eines einfachen, möglicherweise beiläufigen Klicks stellt quasi ein Novum dar, ist in dieser Ausprägung der Strafverfolgung in jedem Fall höchst ungewöhnlich. Viele Social-Media-Nutzende stellen sich aktuell die Frage, wie "gefährlich" ein Like eigentlich werden kann. Der stern sprach mit dem ermittelnden Generalstaatsanwalt Dr. Jürgen Brauer und dem Rechtsanwalt Christian Solmecke über den Fall.

Laut Christian Solmecke, Internet-Spezialist der Kölner Kanzlei WBS Law, sind tatsächlich immer mehr strafrechtliche Verfolgungen von "Gefällt mir"-Klicks festzustellen. "Es ist aber noch nicht höchstrichterlich geklärt, ob reines "Liken" wirklich strafbar sein kann. Im Gesetz selbst steht dazu nichts, aber Gesetze können ausgelegt, also interpretiert werden", erklärt Solmecke. Der Anwalt führt weiter aus: "Die Argumentation dahinter ist, dass sich der "Likende“ einen strafbaren Kommentar zu eigen macht, weil er zum Ausdruck bringt, dass er sich der Aussage anschließt und sie unterstützt. Dadurch könnte der Likende so bestraft werden, als hätte er die Aussage selbst kundgetan."

Ein "Gefällt mir" ist öffentliche Zustimmung

Auf die Frage, weshalb die Polizei das Smartphone mitgenommen hat, entgegnet der Rechtsexperte: "Gegenstände können gemäß Paragraph 94 der Strafprozessordnung (StPO) durch Sicherstellung oder Beschlagnahme in amtliche Verwahrung genommen werden, sofern sie als Beweismittel von Bedeutung sein können. Hier sind Gegenstände wie PC, Handy, iPad und Co. von Wichtigkeit, um Beweise gegen die Beschuldigten sicherzustellen. Unter anderem dank dieser Beweise kann später womöglich nachgewiesen werden, dass die Beschuldigten auch die Täter waren."

Generalstaatsanwalt Dr. Jürgen Brauer erklärt dem stern: "Nicht jeder Like ist strafrechtlich relevant. Ein Strafbarkeit nach Paragraph 140 Nr. 2 StGB (Billigen einer Straftat) kommt aber in Betracht, wenn ein Post, der den Mord an zwei Polizisten gut heißt und lobt, öffentlich zustimmend kommentiert wird. Das kann eben auch durch "liken" (Daumen hoch o.Ä.) geschehen, weil sich der Nutzer damit die Aussage zu eigen macht, sich hinter den Täter stellt und die Wirkung des Posts verstärkt."

Ermittlungen gehen weiter, Kritik von Böhmermann angekommen

Die besondere Härte der Polizei in der Verfolgung der Hassbotschaften über die getöteten Kollegen werfen bei einigen insofern Fragen auf, da erst vor wenigen Wochen ein Selbstversuch des ZDF Magazin Royale aufdeckte, dass Anzeigen auf zahlreichen Polizeirevieren des Landes ins Leere laufen. Jan Böhmermann und sein Team zeigten, dass das Melden von Hass im Internet für Privatpersonen ausgesprochen schwierig werden kann und im schlechtesten Fall schon beim Erstkontakt mit der Polizei versandet. Im Zuge der Berichterstattung kündigten viele Reviere interne Ermittlungen an, um die Situation zu verbessern. 

Sowohl Rechtsanwalt Christian Solmecke als auch Generalstaatsanwalt Dr. Jürgen Brauer widersprechen der Theorie in den sozialen Netzen, dass die Polizei nur so hart durchgreife, weil sich der Hass gegen "die eigenen Leute" richte. Hass, so Dr. Brauer, werde immer verfolgt, wenn es möglich ist. Er erklärt außerdem: "Wegen der besonderen Öffentlichkeitswirkung der Morde und der widerlichen Reaktionen im Netz bestand ein hohes Interesse an einer nachdrücklichen und wirksamen Strafverfolgung. Sie wurde daher mit Nachdruck betrieben. Der Aktionstag sollte auch dazu dienen, potentielle Nachahmer zum Nach/Umdenken zu bewegen und von entsprechenden Straftaten abzuhalten. Grundsätzlich sollten aber alle Straftaten mit Nachdruck verfolgt werden. Dass das nicht immer gelingt, ist leider wahr und bedauerlich."

Christian Solmecke stellt zudem fest, dass "sich insbesondere die Polizei in den vergangenen Jahren vielfach besonderem Hass ausgesetzt sieht."

Die Ermittlungen zu den Hassbotschaften über die verstorbenen Beamten gehen indes weiter. "Wir werden alles daran setzen, auch die anderen Verfasser zu identifizieren, damit auch sie für ihre Äußerungen belangt werden können", so LKA-Vizepräsident Achim Füssel in einer Mitteilung des rheinland-pfälzischen Innenministeriums.

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