Prof. Sauerbruch: Der Arzt, der Hitler die Frau ausspannte

18.02.2019 19:33

Professor Ferdinand Sauerbruch († 1951) war ein gefeierter Chirurg, der ein große Nähe zum NS-Regime pflegte. Die zweite „Charité“-Staffel, die am Dienstag startet (ARD, 20.15 Uhr), beschäftigt sich auch mit seinem Leben

Er liebte Bier und Schweinebraten. Er kam immer zu spät – nur nicht in den OP. Er war 57 Mal für den Nobelpreis nominiert und operierte am Ende mit einer Hirnkrankheit.

Doch: Wer war Arzt-Genie Ferdinand Sauerbruch (1875 - 1951) wirklich?
Halb-Gott in weiß oder manisch-depressiver Chaot?

Die zweite Staffel der Kult-Serie „Charité“ (Erzählzeit 1943 bis 1945) zeigt ihn als gütiges Arbeitstier, der die Nazis innerlich hasste. Verblüffend dargestellt von Ulrich Nöthen (59).

Verblüffende Ähnlichkeit: Ulrich Noethen (59, „Das Tagebuch der Anne Frank“) ist brillant als Professor Ferdinand Sauerbruch

Er spannte Nazi-Bestie Hitler die Freundin (Erna Hanfstaengl, 1885–1981) aus – und hielt Hitler für den größten Kriminellen, den die Welt je gesehen hat.

Wer das neue, spannende Buch „Ferdinand Sauerbruch und die Charité – Operationen gegen Hitler“ (von Christian Hardinghaus, Europa Verlag) über den weltbekannten Arzt liest: Er war kein Nazi!

Das neue Buch über den weltbekannten Arzt mit Tagebuch-Aufzeichnungen seiner engsten Mitarbeiter:„Ferdinand Sauerbruch und die Charité – Operationen gegen Hitler“ von Christian Hardinghaus (Europa Verlag)

Sein Markenzeichen: Nickelbrille, lange Nase, hohe Stirn, hell-braune Augen, ergrauter Schnurrbart, groß und ein Macho.

Sein Genie: Es gibt Gemälde, auf denen er den Brustkorb öffnet und 10 Assistenzärzte nur staunen, wie schnell er operierte – wie ein Dirigent mit 2 Taktstöcken. Auf seinem Höhepunkt war er mit 60. Sauerbruch hatte Tausende von Krankheitsbildern in seinem Kopf gespeichert und entschied blitzschnell was zu tun ist. 1935, Hitler war 2 Jahre an der Macht, war die Charité das modernste Krankenhaus Deutschlands: 1427 Betten, 1682 Mitarbeiter, 13 Kliniken, 60 Ärzte. Sauerbruch operierte mit desinfizierten bloßen Fingern und ohne Handschuhe und Haube, aber an 12 bis 20 OP-Tischen täglich (von 7 Uhr früh bis 21 Uhr abends).

Was er hasst? Fehler! Die ärmsten Ärzte? Die Anästhesisten, die die Patienten betäubten. Im OP ist er ein Diktator, nur wenn seine zweite Frau Margot mit operiert, wird er ruhig.

Wie ist er privat? Ein ungerechter Berserker im OP – in seiner Villa hütete er zugelaufene Hunde und Katzen. Im Feierabend, ohne weißen Kittel, wird er zum Lamm. Er scherzt, lächelt, ist ausgelassen, feiert gelungene OPs. Er raucht Zigarre und trinkt gerne – aber nie vor einer OP. Er interessiert sich für Klatsch, weil er nie allein ist, immer sind Menschen um ihn herum. Er klönt mit dem Pförtner, mit dem Chauffeur und der Putzfrau, was leider zu einer notorischen Unpünktlichkeit führt. Er duzt fast jeden und ist süchtig nach Anerkennung, Beifall und Aufmerksamkeit. Er braucht ständig Zuspruch. Er spielt Trompete, fährt Ski und reitet – sogar einen Affen und ein Waschbären hält er sich.

Er kann Tage in völliger Euphorie arbeiten, fast ohne Schlaf – aber dann ziehen ihn Depressionen hinab. Sein Kollege Karl Bonhoeffer (1868-1948) Chef der Nervenklinik (Vater von den Nazis ermordeten Priesters) diagnostiziert eine Exogene Depression.

Seine Persönlichkeit: Genie und Chaot!

Wie war sein Verhältnis zu Nazi-Bestie Adolf Hitler? Vor dem Münchener Putsch stellt sich Hitler persönlich bei ihm vor (1923). Er will ihn für die Revolution gewinnen. Sauerbruch lehnt ab und hält Hitler für einen „Halb-gebildeten Vorstadt Barbier“. Es gibt Gerüchte, der Arzt habe Hitler behandelt. Doch die stimmt nicht.

2001 wurde ein geheimer CIA-Bericht veröffentlicht in dem Sauerbruch zitiert wird: Er halte Hitler für einen Grenzfall zwischen Genie und Wahnsinn. Er könnte der verrückteste Kriminelle aller Zeiten werden, den die Welt je gesehen hat. Sauerbruch: „Der Führer ist wahnsinnig geworden!“

Dennoch, so schreibt Hardinghaus in seinem Buch, hat Hitler Prof. Sauerbruch versprochen: „Solange ich lebe – wird dir nichts passieren!“

In München gab es ein Play-Girl Erna Hanfstaengl, auf die alle Männer scharf waren. Hitler wollte sich Verloben – aber sie nicht. Sie begann eine Sex-Affäre mit Sauerbruch.

Er war im preußischen Staatsrat („Ich wurde nie zu einer Sitzung gerufen!“) – aber er war nie Mitglied der Nazi-Partei, wie 7,5 Millionen Deutsche. Hitler besuchte mehrmals die Charité – aber Prof. Sauerbruch war nie da, er versteckte sich und flüchtete zu Schwerkranken.

Die ARD-Serie wurde nicht im Original-Hörsaal in Berlin gedreht, sondern in Prag

Er kannte Hitler-Attentäter Stauffenberg (ein Freund seines Sohnes) und stellte seine Villa für ein geheimes Treffen der Attentäter vom 20. Juli zur Verfügung: Stauffenberg, Olbricht und Beck – die alle später ermordet wurden.

Sauerbruch war auch Leibarzt des Reichs-Präsidenten Hindenburg (87): Wer weiht ihn ein in Hitlers mörderischen Putsch gegen SA-Chef Röhm?

Als sich Hitler im Führerbunker erschießt (30. April 1945) operiert der Arzt im Bunker über den Ruinen der Charité. Er dachte an Immigration, aber fühlte sich verpflichtet als Arzt für sein Vaterland da zu sein. Im Endkampf um Berlin operierte er noch mindestens 2700 Kriegs-Verletzte – bis die rote Armee seinen Bunker stürmte.

Sein Geheimnis? Sauerbruch leidet unter Konzentrationsschwäche, Vergesslichkeit – vermutlich Demenz.

1948 ist er im 73. Lebensjahr. Es passieren immer öfter Fehler (er vergisst, Organe zusammenzunähen), unter seinem Messer sterben Patienten. Man zwingt ihn zur Rente am 6. Dezember 1949. Der Held der Chirurgie schläft am Vorabend seines 76. Geburtstages ein – Schlaganfall. Er hat ein Ehrengrab in Berlin-Wannsee.

Sauerbruch – wie nah stand er den Nazis?

Er war schon zu Lebzeiten eine Legende, umgeben von der Aura des Genies. Aber wie nah stand Ferdinand Sauerbruch den Nazis?

„Er hat sich auf eine schwer verständliche, bisweilen sogar unerträgliche Weise mit den jeweiligen politischen Machthabern arrangiert“, sagt Prof. Wolfgang Uwe Eckart (67) vom Institut für Geschichte und Ethik der Medizin an der Uni Heidelberg. Eckart schrieb eine Biografie über Sauerbruch, er weiß: Trotz der Nähe zum Regime setzte sich der Chirurg für zahlreiche NS-Verfolgte ein. Beispiel Rudolf Nissen: Dem jüdischen Chirurgen (1896–1981) vermittelte er nach der „Arisierung“ der Charité einen Lehrstuhl in Istanbul.

Ausgezeichnet: Sauerbruch (l.) 1937 mit Adolf Hitler (3. v. l.). Der Chirurg hatte gerade den Deutschen Nationalpreis verliehen bekommen

Sauerbruchs politische Grundeinstellung „war deutsch-national und entsprach der antidemokratischen Gesinnung der Zeit“, so Eckart. „Aber er war kein uneingeschränkter Befürworter nationalistischer Ideologie, trat nicht der NSDAP bei und verweigerte sich dem Antisemitismus.“ Und doch rührte er die Nazi-Werbetrommel.

In einem „Offenen Brief an die Ärzteschaft der Welt“ bejubelte Ferdinand Sauerbruch im September 1933 die nationale Wiedergeburt Deutschlands.

Im November 1933 beteiligte er sich am „Bekenntnis“ der deutschen Professoren „zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat“. Und Sauerbruch diente dem NS-System nicht nur durch Propaganda.
Von 1933 bis 1945 war er medizinischer Gutachter im Reichsforschungsrat. In der Funktion bewilligte er Menschenversuche zum Beispiel in Konzentrationslagern. „Unklar bleibt, ob er wusste, dass die Objekte der Versuche nach den Humanexperimenten getötet wurden“, so Eckart.

Szene aus „Charité“: Den kriegsversehrten Claus Schenk Graf von Stauffenberg (Pierre Kiwitt, r.) führt Prof. Sauerbruch (Ulrich Noethen, l.) seinen Studenten vor

Auch die grausamen Forschungen des SS-Arztes Karl Gebhardt im Frauen-KZ Ravensbrück genehmigte Sauerbruch. Etliche Frauen starben. Später war es Gebhardt, der schützend seine Hand über Sauerbruch hielt, als der wegen seiner Mitwisserschaft über das Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 verfolgt wurde.
Im Nürnberger Ärzteprozess 1947 schwieg Sauerbruch. Sein Anwalt trug vor: Kritik an den Humanexperimenten zu üben sei für „Herrn Geheimrat Sauerbruch aus Gründen des Taktes und seiner militärischen Dienststellung unmöglich gewesen“.

Quelle