Senioren und Hilfsmittel: Wie Angehörige überzeugen können

15.06.2022 12:40

Am Anfang und in der Mitte unseres Lebens denkt niemand an physische Einschränkungen. Doch es kann schon jenseits der Vierziger passieren, dass die Gelenke beim Erwachen schmerzen, das Treppensteigen problematisch wird und das motorische Gleichgewicht aufgrund einer eingeschränkten Sehstärke abnimmt.

Ein bis zwei Jahrzehnte später benötigen viele Senioren Hilfe bei der Bewältigung ihres Alltags. Das Bewegen der Finger wird schmerzhaft, was selbstständiges Kochen erschwert. Das Tragen der Einkaufstüten sorgt für Schmerzen im Rückenbereich und bei zu schnellen Bewegungen kann es zu Zerrungen und Blockaden der Wirbel kommen. Lässt das Sehvermögen nach, wird der Gang auf unbekanntem Terrain unsicher. Die Belastungsfähigkeit des Körpers sinkt und viele Arbeiten und Handgriffe, die bis dahin selbstverständlich waren, bereiten auf einmal Probleme.

Um die Selbstständigkeit von Senioren bis ins hohe Alter zu erhalten, gibt es viele Hilfsmittel. Beispielsweise Gehhilfen wie Rollatoren, Treppenlifte oder Umbauarbeiten, die das Wohnen altersgerecht gestalten. Oftmals muss viel Überzeugungsarbeit geleistet werden, bis Senioren eine mögliche Hilfe akzeptieren und in ihren Alltag integrieren. Warum ist das so, wenn es ihnen doch Erleichterung und mehr Lebensqualität schenkt?

Einbußen der natürlichen Selbstständigkeit machen Angst

Wenn der Körper nicht mehr kann, was bisher selbstverständlich war, löst diese Erkenntnis Ängste aus. Der Mensch spürt, dass die Blüte des Lebens vorüber ist und der Verfall des Körpers einsetzt. Das ist umso beängstigender, wenn der Betreffende geistig fit ist und plötzlich nicht mehr kann, wie er gemäß seiner Vorstellung will. Kamen Begrenzungen bis dahin aus der Umwelt, schränken körperliche Probleme auf ganz andere Weise ein.

Jede mechanische Hilfe im Alter macht einem Menschen deutlich, dass es zu Ende geht. Alles beginnt sich darum zu drehen, in welcher Verfassung der eigene Körper am nächsten Tag sein wird und was noch möglich ist. Viele Senioren verzichten so lange es geht auf einen Rollator oder den Einbau eines Treppenliftes. Ab diesem Moment scheint das Schicksal besiegelt.

Wenn Angehörige der Meinung sind, dass Hilfsmittel das Leben der Eltern oder Großeltern erleichtern könnten, müssen sie sich diesem Thema zuerst von der psychischen Seite nähern. Einen Gehstock oder Rollator als Lösung für unsicheres Gehen zu empfehlen, kann auf massiven Widerstand stoßen. Veränderungen im Alter machen Angst, da sie Gewohnheiten entgegenstehen, die psychischen Halt und Orientierung bieten.

Deshalb kann es zu Meinungsverschiedenheiten kommen, obwohl die Empfehlung nur gut gemeint ist. Angehörige sollten sich in dieser Situation klarmachen, dass das Thema Tod kommuniziert werden muss, das sich mit dem eintretenden Verfall des Körpers ankündigt. Ist die Tatsache des Alterns akzeptiert, werden unterstützende Maßnahmen dankbar angenommen.

Allerdings darf der Senior niemals zu diesen Hilfsmitteln gedrängt werden, solange er den Sinn der Maßnahme nicht am eigenen Leib erfährt. In diesem Fall wird es zu Streitigkeiten in der Familie kommen und ältere Menschen fühlen sich bevormundet. Die Einsicht, dass die Zeit gekommen ist, in der die physische Eigenständigkeit abnimmt, muss erst reifen. Ist das geschehen, werden Hilfsmittel als Chance auf mehr Lebensqualität erfahren. Bis dahin geht es ausschließlich um die Angst vor dem körperlichen Verfall.

Sicherer Gang durch Rollator und Gehhilfe

Wie überall im Leben lassen sich Menschen am besten durch eine eigene Erfahrung überzeugen. Viele Senioren verbinden mit einem Rollator eine körperliche Gebrechlichkeit, die öffentlich erkennbar ist. Es ist normal, im Alter langsamer und gebeugter zu laufen. Doch für die Benutzung eines Rollators müssen viele Senioren erst den Gedanken verarbeiten, dass ihnen die physischen Einschränkungen jetzt auf den ersten Blick anzusehen sind.

In diesem Fall ist es hilfreich, einen Spazierstock zu schenken, der nur Sammlerwert hat. So kann auf spielerische Weise erfahren werden, ob und wie diese Stütze die Einschränkungen im Laufen ausgleichen kann. Es ist wichtig, solch ein Hilfsmittel nicht mit der Aussage anzupreisen, dass es dem Betreffenden helfen wird. Der Verlust der Kontrolle über den eigenen Körper macht Angst und lässt sich nicht durch die Nutzung eines Rollators oder Gehstocks ersetzen.

Macht man dem Senior jedoch deutlich, dass auch die Nutzung einer Laufhilfe Kontrolle und Fähigkeiten voraussetzt, kommt man leichter ans Ziel. Hierbei wird an die Eigenverantwortlichkeit appelliert und deutlich gemacht, dass der Senior Besitz von der Gehhilfe ergreift und diese dirigiert. Solch ein Gedanke hilft, den Grund für ein technisches Hilfsmittel aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Aus der passiven Verordnung wird eine aktive Annahme und Handhabung eines Gerätes, das die eigenen Fähigkeiten unterstützt. Es lohnt sich, die Perspektive ein klein wenig zu verändern, um der Psyche des Betroffenen Hilfestellung für eine positive Veränderung zu geben.

Baumaßnahmen für eine altersgerechte Wohnung über die Pflegekasse finanzieren

Der Einbau eines Treppenliftes wird weniger psychologischen Widerstand hervorrufen. Allerdings wird nicht jeder Senior von den Kosten der notwendigen Baumaßnahmen erfreut sein. Auch der Umbau des Bades, um eine ebenerdige Dusche zu installieren, gehört zu möglichen Veränderungen innerhalb der eigenen vier Wände. Beim Einsatz von Rollstühlen kann das Verbreitern von Türen notwendig sein.

Die meisten Menschen wollen das Alter in ihrem gewohnten Zuhause verbringen. Betreutes Wohnen oder der Umzug in ein Altersheim sind für viele Senioren keine Option. Deshalb sind bauliche Umstrukturierungen nötig, die sogar von der Pflegekasse bezahlt werden, sofern eine Pflegestufe vorliegt.

Mit dieser Argumentation haben Angehörige einen Trumpf in der Hand, denn die eigenen Ersparnisse müssen nicht angerührt werden. Die Pflegekasse gewährt für notwendige Umbaumaßnahmen in jede Pflegestufe bis zu 4000 Euro. Der Antrag und die Kostenabrechnung gehen direkt an die Pflegekasse, sodass unbürokratisch geholfen wird. Auch die Pflegestufe 1, für die keinerlei Pflegegeld und Pflegesachleistungen ausgezahlt werden, ist in diese Regelung eingeschlossen.

Mit dieser finanziellen Hilfe ist es möglich, einen Umzug in eine altersgerechte Wohnung zu vermeiden. Das obere Stockwerk ist wieder erreichbar. Die selbstständige Benutzung der Dusche ist weiterhin möglich und es braucht keinen Pflegedienst und damit fremde Menschen, die sich um die Körperhygiene des Seniors kümmern. Das Verbreitern der Türen dauert zwar seine Zeit und ist mit Handwerkerlärm verbunden. Doch am Schluss zählt die Möglichkeit, in seinem Zuhause bleiben und den Alltag weiterhin selbstständig bewältigen zu können.

Zuerst die psychischen Barrieren abbauen

Wer einen Angehörigen zur Nutzung von Hilfsmitteln für den Alltag überzeugen will, muss eine positive Erfahrung schaffen. Ein Gehstock oder ein Rollator sollte zuerst ausprobiert werden, um herauszufinden, ob sich der Betreffende durch die Nutzung wirklich sicherer fühlt. Damit bleibt die Entscheidungsfreiheit in den Händen des Seniors, was die Situation schneller zum Ziel bringt.

Ältere Menschen empfinden viele Hilfsangebote als einschränkend und fürchten um ihre Selbstständigkeit. Deshalb zögern sie notwendige Entscheidungen lieber hinaus, als sich den Tatsachen zu stellen. Druck und Erklärungsmodelle seitens der Familie wirken in diesem Moment kontraproduktiv. Es geht um Gefühle, die sich nicht durch rationale Argumente unterdrücken lassen.

Wer von äußeren Hilfsmitteln abhängig wird, muss die Zeit haben, sich an diese Situation zu gewöhnen und sie zu akzeptieren. Ohne eigene Einsicht in den unumkehrbaren Verlauf des physischen Verfalls werden Gehhilfen nur ein notwendiges Übel sein. Diese Erfahrung erzeugt Ablehnung und Widerstand, die sich ihrerseits auf die Gesundheit des Seniors auswirken. Alles sollte im Einvernehmen geschehen. Die Erkenntnis, dass sich der Sinn des Lebens verändert, weil es im letzten Drittel vorwiegend um die Erhaltung der Gesundheit geht, braucht Zeit. Deshalb ist es hilfreich, mit den Eltern und Großeltern über diese Hilfsmittel bereits zu einem Zeitpunkt zu sprechen, zu dem diese noch rüstig und unabhängig sind.

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