Skelett untersucht: Warum eine Frau aus dem Mittelalter Lapislazuli an den Zähnen hatte

18.01.2019 13:58

Als zwei Wissenschaftlerinnen Zähne eines Skeletss untersuchten, das von einem mittelalterlichen Klosterfriedhof stammte, wollten sie eigentlich etwas über die Ernährung der Menschen erfahren. Doch sie stießen auf eine viel spannendere Entdeckung.

Als die Wissenschaftlerinnen Anita Radini und Christina Warinner einen mittelalterlichen Zahn unters Mikroskop legten, ging es ihnen eigentlich um etwas völlig anderes. Der Zahn stammte aus einer archäologischen Grabung in Dalheim, nahe Paderborn, bei der ein mittelalterlicher Klosterfriedhof untersucht worden war. Er gehörte zum Skelett einer Frau, die wohl irgendwann zwischen 997 und 1162 dort im Kloster gelebt und gearbeitet hatte. Radini schabte nun winzige Mengen Zahnstein ab, um darin nach Hinweisen auf die Ernährung der Menschen damals zu suchen. Stärkepartikel waren, was sie finden wollte. Doch sie stieß auf etwas Überraschendes.

Radini, Archäologin an der Universität von York, und Warinner, Mikrobiologin am Max-Planck-Institut, fanden Spuren von Lapislazuli im Zahnstein der Frau. Die meisten von uns kennen Lapislazuli als leuchtend blauen Schmuckstein an Ketten, Ringen oder Ohrschmuck. Schon damals handelte es sich um ein extrem wertvolles Produkt, das seinen Weg aus einer ganz bestimmten Region in Afghanistan bis nach Dalheim gefunden hatte. Fast 6000 Kilometer weit war es über die Seidenstraße nach Deutschland transportiert worden. Globalisierung ist also gar nichts so Modernes.

Der schöne Stein wurde im frühen Mittelalter aber nicht nur zu Schmuck verarbeitet, sondern – fein gemahlen – als Pigment verwendet. Unter anderem wurde es, dann unter dem Namen Ultramarin, für die beeindruckende Buchkunst der damaligen Zeit genutzt. Und genau das ist der Aspekt, der für Aufruhr sorgte, nachdem die Entdeckung der beiden Forscherinnen bekannt wurde. Denn eigentlich ging man davon aus, dass nahezu ausschließlich Männer – gebildete Mönche – in den Schreibstuben der Klöster die wertvollen Manuskripte anfertigten.

Einige Experten, die die Wissenschaftlerinnen kontaktierten, äußerten sofort Zweifel, dass diese Frau, bei der es sich vermutlich um eine Nonne gehandelt hatte, wirklich eine Schreiberin war, die beim Illustrieren der prächtigen Bücher mit der kostbaren Substanz arbeiten durfte. Schließlich wurde Ultramarin damals 1:1 mit Gold aufgewogen, ein einziges Gramm war ein kleines Vermögen wert. Und die leuchtend blaue Farbe wurde nur für wichtige religiöse Motive, wie etwa den Mantel der Jungfrau Maria, verwendet. Radini berichtet, dass ein Experte die Vermutung äußerte, die Frau sei wohl eher beim Putzen der Schreibstube in Kontakt mit dem blauen Pigment gekommen. Hat sie also eher gescheuert als geschrieben?

Auch andere Theorien wurden geprüft: Hatte die Nonne vielleicht häufig ein religiöses Buch geküsst, und dabei das Pigment aufgenommen? Dabei handelt es sich aber um eine Praxis, die erst 300 Jahre später in Mode kam. Oder hat sie Lapislazuli als Medizin eingenommen? In alten griechischen und islamischen Texten wird eine entsprechende Behandlung erwähnt. Allerdings stammen die Spuren, die in den Zähnen der Nonne gefunden wurden, explizit von fein zu Pigment zermahlenem Lapis, wie es eigentlich nur für die Malerei oder Buchproduktion verwendet wurde.

Die Wissenschaftlerinnen kamen zu einem klaren Ergebnis. Entweder hatte die Nonne im Kloster das Pigment hergestellt. Oder sie war tatsächlich Buchkünstlerin und hatte das Ultramarin an den Zähnen, da sie hierfür häufig ihren Pinsel in Form lecken musste. Letzteres untermauern weitere Quellen, die sich aus der damaligen Zeit finden: In einem Männerkloster, nur rund 60 Kilometer von Dalheim entfernt, fand sich etwa eine Abrechnung aus dem Jahr 1168, in der eine "Schwester N." mit der Produktion eines luxuriösen Manuskripts beauftragt wurde, das sie aus teuren Materialien wie Pergament, Leder und Seide herstellen sollte.

Auch, wenn die meisten mittelalterlichen Bücher, deren Schreiber sie mit ihren Namen signierten, aus Männerhänden stammen – ganz offensichtlich hatten also auch Frauen eine wichtige Rolle in der Herstellung der wertvollen Schriften. Sie haben es offenbar nur nicht jedem auf die Nase gebunden.

Quelle