Der Deutsche Tierschutzbund e. V. ist der größte Tierschutzdachverband in Deutschland und sogar in Europa. Ihm sind 16 Landesverbände und rund 740 örtliche Tierschutzvereine mit 550 vereinseigenen Tierheime angeschlossen. In Rahmen der „Top-Leaders“-Reihe sprach PETBOOK mit dem Präsidenten Thomas Schröder über die Lage des Tierschutzes in Deutschland sowie Wünsche und Ziele der Organisation.
PETBOOK: Herr Schröder, Sie haben damals als Campaigner und Pressereferent beim Deutschen Tierschutzbund angefangen. Wie kam es dazu?
Thomas Schröder: „Vor meiner Arbeit im Tierschutzbund bin ich in der Politik aktiv gewesen und war lange Zeit Mitarbeiter am Bundestag. Dabei war ich zuständig für einen Wahlkreis im ländlichen Raum, genauer für den Landkreis Wesermarsch. Das grenzt an Oldenburg, eine Hochburg der Massentierhaltung. Es ging also viel um Baurecht, Bestandsgrößen und Landwirtschaft. Das hat mich sehr fasziniert. Über diese Debatte bin ich in das Thema Tierschutz reingerutscht. 1998 war dann eine Stelle als Campaigner beim Deutschen Tierschutzbund ausgeschrieben, auf die ich mich beworben habe. Auch, weil ich nicht nach Berlin wollte, denn in dem Jahr zog der Bundestag von Bonn in die Hauptstadt.“
»Ich habe von meinen Eltern mitbekommen, dass man keinem Tier Schmerzen zufügt
Hatten Sie selbst damals schon ein Bewusstsein für den Schutz der Tiere?
„Ich kann sagen, dass ich schon immer ein Herz für Tiere hatte. Sozusagen von Geburt an, aber das kann man jetzt sehen, wie man möchte. Ich habe von Anfang an von beiden Elternteilen mitbekommen, dass man keinem Tier Schmerzen zufügt. In der Schule habe ich aber natürlich auch Klassenkameraden gehabt, die von einem Hof kamen und so auch erlebt, wie es dort zugeht. All das sind Erlebnisse, die mich geprägt haben. Ich selbst hatte als Kind aber kein Tier, weil meine Eltern gesagt haben, sie haben die Zeit dafür nicht. Insofern bin ich auch da direkt wieder mit dem Tierschutzgedanken konfrontiert worden.“
Welches Tier hätten Sie sich denn als Kind gewünscht?
„Ich fand Hunde immer spannend. Aber ein Hund ist eben ein Tier, das intensiver betreut werden muss. Meine Eltern, beide Unternehmer, hatten nicht die Zeit dafür. Ich hätte mich um den Hund kümmern müssen, und da haben mir meine Eltern klargemacht, dass ich besser noch ein bisschen warte. Und das habe ich tatsächlich gemacht. So kam bei uns erst vor 11 Jahren der erste Hund ins Haus. Das war damals nach einem Besuch im Tierheim Regen.“
„Dieser Pudelmischling Bärli, hat mich damals irgendwie gepackt“
War das damals spontan oder schon geplant?
„Na ja, also es war immer schon ein Thema. Ich hatte davor schon öfter gedacht, dass die Zeit für einen Hund reif wäre: jetzt hab‘ ich die Lust, kann das organisieren und hab das Familienumfeld, das mitziehen würde. Zunächst habe ich allerdings über viele Jahre bei meinem Tierheimbesuchen noch widerstanden. Aber dieser Pudelmischling Bärli, hat mich damals irgendwie gepackt und dann war es passiert. Bärli zog ein.“
Worauf achten Sie jetzt bei Ihrem eigenen Hund?
„Zum einen ist mein Tagesrhythmus deutlich auf den Hund ausgerichtet. Morgenspaziergang, mittags raus, abends raus – das ist das Mindeste. Dem Rhythmus des Hundes muss man sich anpassen. Der will eben nicht morgens bis zehn Uhr schlafen, sondern vielleicht um sieben schon raus. Das muss man akzeptieren als Hundehalter. Ich habe natürlich, weil ich beruflich viel unterwegs bin, noch eine Hundetagesmutter, die Bärli persönlich betreut.“
Sie hatten erwähnt, dass Sie durch die Landwirtschaft und Massentierhaltung mit dem Thema Tierschutz in Kontakt gekommen sind. Ist das ein Schwerpunkt Ihrer Arbeit beim Tierschutzbund?
„Ich glaube, das ist vor allem die öffentliche Wahrnehmung, die aber nicht meinem Tagesrhythmus am Schreibtisch entspricht. Als Deutscher Tierschutzbund sind wir als Erstes eine Tierschutzorganisation und ein Dachverband – und zwar für Tierheime. Insofern ist meine Arbeitszeit geteilt: Zum einen geht es um das Schicksal der Tierheime und damit auch um das der Heimtiere. Und zum anderen geht es um das Thema Landwirtschaft. Letzteres wird in der Öffentlichkeit stärker wahrgenommen, weil man dort natürlich auch die meisten politischen Debatten erlebt, in denen man über Gesetzesänderungen diskutiert.“
»Der Großteil der Versuchstiere erfüllt keinen konkreten oder absehbaren Nutzen
Sicherlich ist Tierschutz im landwirtschaftlichen Bereich auch meine Leidenschaft, aber diese ist nicht nur für die sogenannten ‚Nutztiere‘ vorhanden. Für die Millionen Tiere, die jährlich in Tierversuchen leiden und sterben, würde ich mir zum Beispiel wünschen, dass ein Thema wie Tierversuche ähnlich hoch auf der Tagesordnung steht, aber das ist noch nicht gelungen.
Warum nicht?
Bei Tierversuchen denken alle gleich an medizinische Forschung. Mein Kind muss doch seine Medikamente bekommen können, wenn es krank wird. Das sind so Debatten, die für Widerstand sorgen. Ich halte die allerdings für vorgeschoben, denn es geht bei Tierversuchen nicht nur um Medikamente oder die Erforschung von Krankheiten. Der Großteil der Versuchstiere muss für die reine Grundlagenforschung herhalten, ohne konkreten oder absehbaren Nutzen. Aber das ist der Kampf, den wir führen müssen, um auch solche Themen sichtbar zu machen. Bei der landwirtschaftlichen Tierhaltung ist das leichter.
Auch interessant: Peta-Vorsitzende Ingrid Newkirk: »Wofür wir als extrem gelten, wird künftig normal sein
„Bestimmte Haltungssysteme halte ich für absolut tierschutzwidrig.“
Ist denn die Nutztierhaltung, die wir in Deutschland haben, überhaupt noch mit dem Tierschutz vereinbar?
Es gibt verschiedene Haltungsformen, aber mit Bauernhofidylle haben die alle nichts zu tun. Bestimmte Haltungssysteme halte ich für absolut tierschutzwidrig. Ich mache das gerne am Beispiel der Schweine deutlich: 90 Prozent der Tiere leben auf engstem Raum in einem sogenannten geschlossenen System. Das heißt, in einem Stall ohne natürliches Licht, ohne natürliche Luftzufuhr und mit dem immer gleichen Klima. Die Tiere stehen auf einem Spaltenboden, auf dem sie unter sich koten und urinieren. Das ist so, als wenn Sie den ganzen Tag mit dem Kopf überm Urinal leben würden. Diese Systeme gehören abgeschafft, sie sind aber leider weitverbreitet.
Die Rinder haben es auch nicht besser. Viele stehen in ganzjähriger oder auch in saisonaler Anbindehaltung. Bei den Biobetrieben sind zum Beispiel oft bis zu acht Monate erlaubt. Das bedeutet, die Tiere stehen angebunden in einem ganz kleinen Areal – gerade mal so groß wie ein Kinderbett – und können sich kaum bewegen. Das sind tierschutzwidrige Systeme, die mit der Entwicklung der industriellen Tierhaltung verbunden sind. Also mit der Philosophie, möglichst viele Tiere, möglichst kostengünstig zu halten – wir wollen ja die Welt ernähren. Ich halte das für eine Fehlentwicklung, die wir dringend ändern müssen.
„Ein großes Problem ist die Selbstverständlichkeit, mit der die Politik den Tierschutz abtut“
Wie genau sollte die Politik das Ihrer Meinung nach umsetzen?
Wir brauchen nicht nur weniger Konsum, sondern auch weniger Produktion. Es ist wichtig, das als Gleichklang zu nehmen, denn es nutzt ja nichts, wenn wir weniger tierische Produkte essen, aber mehr Tiere für den Export „produzieren“. Nur wenn wir Konsum und Produktion verringern, haben wir eine Chance, den Tierschutz im Stall oder im System selbst unterzubringen. Wenn die Entwicklung allerdings so weitergeht wie jetzt, glaube ich nicht, dass es uns gelingen wird, von wirklich mehr Tierschutz in der landwirtschaftlichen Tierhaltung zu sprechen.
Wenn man die aktuellen Debatten und Probleme mitverfolgt, bekommt man den Eindruck, dass der Tierschutz in einer Krise steckt: Die Tierheime waren voll, die Preise für Energie und Tierarztkosten steigen. Viele sagen, sie seien am Ende ihrer Kräfte angelangt. Wie beurteilen Sie die Lage?
Also der praktische Tierschutz in der Fläche steckt definitiv in einer Krise. Die ist aber nicht selbst verschuldet – das möchte ich deutlich betonen. Ein großes Problem ist die Selbstverständlichkeit, mit der die Politik den Tierschutz abtut nach dem Motto: ‚Ihr kümmert euch schon, auch wenn ihr kein Geld habt. Ihr lasst das Tier niemals hängen‘. Diese Selbstverständlichkeit, die die politischen Vertreter bei Verhandlungen gerne an den Tag legen, hat zunehmend für Druck in den Tierheimen gesorgt, weil keine finanziellen Rücklagen mehr da sind.
So können wir in vielen Tierheimen baulich nicht auf den neuesten Stand kommen. Gleichzeitig sind wir mit immer neuen Auflagen und ordnungsrechtlichen Fragen im Tierschutz konfrontiert. So erhalten wir ständig neue Lasten und sind die Ausputzer staatlichen Versagens geworden. Vor dieser Situation haben wir lange gewarnt und die Entwicklung wird immer dramatischer.
»Bei Tierheimfragen werden wir von oben nach unten durchgeschoben
Welche Ansätze für den Tierschutz vermissen Sie aktuell in der Politik?
Es leben immer noch Tiere in privater Hand, die da nicht hingehören und die dann letztlich ins Tierheim abgeschoben werden. Das trifft besonders exotische Tiere. Da brauchen wir dringend rechtliche Regelungen, die festlegen, welche Tierarten überhaupt privat gehalten werden dürfen. Da geht es dann nicht nur um Schlangen- oder Echsenarten, sondern grundsätzlich um alle Tiere, die privat gehalten werden dürfen und dann auf einer sogenannten Positivliste aufgeführt werden. Das würde zumindest langfristig ein Stück Last von uns nehmen, da vor allem Tiere mit besonderen Betreuungsansprüchen weniger würden, die jetzt im Tierheim abgeschoben sind.
Bräuchte es da mehr Kooperation vonseiten der Politik?
Ja, was heißt Kooperation? Ich will mehr Verbindlichkeit. Das Problem ist, dass wir bei Tierheimfragen von oben nach unten durchgeschoben werden. Der Bund fühlt sich nicht verantwortlich, weil die Tierheime die kommunale Hoheit sind. Die Bundesländer sagen, sie seien auch nicht zuständig. Höchstens bei Fragen zu giftigen Tieren, weil diese die innere Sicherheit betreffen. Aber den Rest sollen wir Tierschützer direkt mit den Kommunen ausdiskutieren. Das heißt, jeder Tierschutzverein muss mit jedem Bürgermeister Verhandlungen darüber führen, wie Tierschutz vor Ort organisiert wird und welche Kostenerstattung das Tierheim dafür bekommt, dass es kommunale Pflichtaufgaben, wie die Betreuung von Fundtieren, übernimmt. Und dann hängt es auch immer davon ab, ob der Bürgermeister Tieren zugetan ist oder nicht.
Ich war letzte Woche in Homburg im Saarland. Das Tierheim dort ist, ehrlich gesagt, ziemlich heruntergekommen. Der Bau ist feucht und abgerutscht, also da ist alles schwierig momentan. Jetzt sagt der Bürgermeister in Homburg: ‚Naja, aber das Tierheim ist privates Gelände und damit euer Eigentum. Das müsst ihr schon renovieren, dafür zahle ich nicht.‘ Und das, obwohl das Tierheim Fundtiere im Auftrag der Kommune betreut. Und dafür zahlt Homburg pro Kopf Bevölkerung 0,39 Euro als Erstattung, während es in Dillingen in Saarbrücken 1,39 Euro sind. Warum ist denn die Katze in Dillingen mehr wert als in Homburg? Und warum müssen viele Tierheime sogar noch Spendengelder aus eigener Tasche obendrauf legen, damit sie die Aufgaben, die die Kommunen an sie abtreten, überhaupt stemmen können?
„Für den Tierschutz hätte ich gerne nur einmalig die Hälfte der Jahreseinnahme der Hundesteuer“
Was würden Sie sich aktuell für den Tierschutzbund wünschen?
Aktuell nehmen die Kommunen durch die vielen Hunde, die in der Coronazeit angeschafft wurden, 400 Millionen Euro Hundesteuer bundesweit ein. Davon kriegt der Tierschutzbund direkt nichts, denn das ist eine allgemeine Steuer, wo die Einnahmen nicht einem bestimmten Zweck zugutekommen können. Die Hundesteuer geht also in den großen kommunalen Topf. Da wird dann etwa die Renovierung der Amtszimmer, der Ausbau der Sporthalle oder der Dienstwagen mitfinanziert.
Für den Tierschutzbund hätte ich gerne nur einmalig die Hälfte der Jahreseinnahme der Hundesteuer. Ganz konkret sind das dann 200 Millionen Euro, ergänzt um Bundesmittel, um einen Sondertopf für Investitionen in Tierheimen zu finanzieren. Damit könnte man nachhaltig die bauliche Substanz verbessern, Klimafragen und energetische Fragen lösen. Momentan haben wir Arbeitsschutzauflagen, die für immer höhere Kosten sorgen, sowie veterinärmedizinische Auflagen, die immer mehr werden. Dazu kommen immer mehr Tiere, die länger in den Tierheimen bleiben. Das bedeutet, wir brauchen immer mehr und größere Zwinger, um den Tieren gerecht zu werden.
Müsste es vielleicht einfach mal böse krachen, damit in der Politik etwas passiert?
Ja, die Idee wäre einfach mal zwei Wochen zu streiken und alles dichtzumachen. Aber die Tiere kommen und sie brauchen Schutz. Das meine ich mit der emotionalen Erpressung, der wir als Tierschützer unterliegen. Trotzdem haben jetzt einige Tierheime, etwa das Tierheim des Hamburger Tierschutzvereins, ihre Fundtier-Verträge mit der Stadt gekündigt. Das bedeutet, die Kommunen müssen sich selbst um die Unterbringung gefundener Tiere kümmern – so besagt es das Fundrecht. Das sorgt interessanterweise dann doch für ein Nachdenken in den Rathäusern. Schließlich kann man Tiere kaum im Fundbüro verwahren. Da braucht es die Tierheime – und eine faire Kostenerstattung!
Was würden Sie jungen Tierschützerinnen mit auf den Weg geben?
Habt Mut und gebt nicht auf. Aus meinem damaligen Beruf in der Politik, habe ich gelernt: Wenn du dir selbst nicht mehr zuhören magst, fängt es an, sich beim Publikum zu setzen. Das bedeutet also, ich brauche Ausdauer. Ich brauche aber auch Mut und hier und da ein bisschen diplomatische Geduld. Und dann komme ich voran. Aber für den richtigen Durchbruch – dafür gilt es noch zu kämpfen!