Warum geschulte Katzenstreichler im Tierheim so wichtig sind

06.10.2023 12:06

Im Tierheim Berlin kümmern sich neben den Tierpflegerinnen und Tierpflegern auch sogenannte Katzenstreichlerinnen und Katzenstreichler um noch nicht vermittelte Katzen. Gerade Straßenkatzen, aber auch ausgesetzte Haustiere können scheu und teilweise traumatisiert sein – mit einer kuscheligen Wohnungskatze haben sie wenig gemein. PETBOOK war vor Ort, um mehr über die ehrenamtliche Arbeit in den Katzenhäusern zu erfahren.

„Du bist ja eine Süße. Und so mutig“, sagt Petra S. zu einem grau-weißen Kitten. Die 69-Jährige zieht ein neongrünes Federspielzeug nur wenige Zentimeter vor der Babykatze über den Boden. Diese traut sich langsam näher und springt dann plötzlich los, um das Spielzeug zu erwischen. Hinter einem Kratzbaum kommt eine weitere Babykatze schüchtern zum Vorschein. Sie traut sich nicht so recht, es ihrem Geschwisterchen gleichzutun und mit Petra S. zu spielen. Zwei weitere Jungtiere raufen währenddessen in einem Katzentunnel miteinander. Es wird deutlich, wie unterschiedlich die Kleinen sind – längst nicht alle wollen gestreichelt werden. Aber das müssen sie auch gar nicht, denn Petra S. ist als eine der ehrenamtlichen Katzenstreichler im Tierheim Berlin vor Ort, um scheue oder verängstigte Katzen langsam an den menschlichen Kontakt zu gewöhnen.

Katzenhäuser im Tierheim Berlin

Es ist ein heißer Tag im Spätsommer mit blauem Himmel und strahlendem Sonnenschein. Ein leichter Wind lässt die Blätter der Bäume auf dem Gelände des Tierheims Berlin sachte rascheln. Aus Fontänen vor einem der Hundehäuser plätschert leise das Wasser herab, in regelmäßigen Abständen ertönt lautes Gebell. 

 

Wenige Meter weiter, vor einem der Katzenhäuser, ist es still. Ehrenamt-Koordinatorin Andrea Sicks – seit 12 Jahren im Tierheim Berlin – öffnet die Tür zur Reha- und Mutterkatzenstation. Der Blick fällt auf einen langen, hellen Flur, irgendwo spielt leise ein Radio. Bevor es weitergeht, müssen die klassischen blauen Schuhüberzieher angezogen werden – denn der Nachwuchs der Mutterkatzen hat noch kein entwickeltes Immunsystem. Daher gilt es, die Kleinen vor Keimen aus der Außenwelt zu schützen.

Der Weg über den Flur des Mutter-Kind-Hauses führt vorbei an einer Menge verschiedener Dinge: Behälter voller Katzenstreu, Mülltonnen, Besen, Decken, Verbandswägen und vieles mehr. Durch Glaswände und -türen kann man als Besucher in die „Katzenboxen“ hineinsehen. Ein Blick hinein offenbart nicht sofort den Anblick einer oder mehrerer Katzen. Stattdessen sind Kratzbäume, Katzentoiletten, Näpfe, Decken und Rückzugsorte für die Tiere zu sehen. In manchen Boxen haben sich alle Katzen zurückgezogen, in anderen spielen Kitten miteinander oder laufen ihrer Mutter hinterher.  

Auf der Mutter-Kind-Station sind viele Kitten – einige von ihnen anfangs sehr scheu

Petra S., kommt seit vier Jahren einmal pro Woche ins Tierheim Berlin, um sich als Katzenstreichlerin um noch nicht vermittelte Katzen zu kümmern. Aktuell ist sie für die Tiere im Mutter-Kind-Haus zuständig. Zum Teil leistet sie auch den Katzen im Reha-Haus Gesellschaft, die sich dort von Operationen oder Verletzungen erholen. Bei den Katzen auf der Mutterkatzenstation handelt es sich oft um wilde Straßenkatzen oder Streuner, die eingefangen wurden, weil sie verletzt oder krank waren, und sich dann als schwanger herausstellten.

„Diese Katzen bleiben und bekommen ihren Nachwuchs hier. Da die Mütter oft sehr scheu sind und sich in der Regel nicht anfassen lassen, sind auch die jungen Katzen sehr scheu“, erklärt die Rentnerin, als wir uns gemeinsam in der Küche niederlassen. Neben dem Tisch liegt ein Boxer, der uns mit großen Augen beobachtet – ein Hund von einer der Tierpflegerinnen. Petra S. ergänzt: „Die Katzen, die sich nicht anfassen lassen, sind nur schwer vermittelbar. Deswegen sind Menschen wichtig, die sich mit ihnen beschäftigen und sie so an uns Menschen gewöhnen.“

Petra S. versucht, sich den zunächst scheuen Katzen ganz langsam anzunähern, erklärt sie weiter. „Ich rede viel mit ihnen und versuche, sie anzufassen. Manchmal wollen sie das nicht, da muss man dann ganz langsam sein.“ Lassen die Jungkatzen die Berührung zu, bekommen sie dann viele Streicheleinheiten – aber immer nur so viel, wie es ihnen recht ist. Auch durch das Spielen gewöhnen sich die Katzen an die Anwesenheit des Menschen und lernen, dass dieser ihnen nichts Böses tut. „Irgendwann merken sie, dass gestreichelt werden doch ganz nett ist“, erklärt Petra S. mit einem Lachen.

„Mit viel Geduld und Liebe zeigen sie den Katzen, dass Menschen gar nicht so blöd sind“

„Jede Katze hier bei uns bringt ihre eigene Geschichte mit. Viele haben keine guten Erfahrungen gemacht. Einige möchten sich am Anfang gar nicht anfassen – geschweige denn streicheln – lassen. Sie brauchen viel Zeit, um wieder Vertrauen zu Menschen aufzubauen“, erklärt auch Ehrenamts-Koordinatorin Andrea Sicks im Gespräch mit PETBOOK.

Ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind für das Tierheim auch deshalb so wichtig, weil sie die nötige Zeit mitbringen. Während die Pflegerinnen und Pfleger mit anderen Dingen beschäftigt sind – Vermittlungsgespräche führen, Katzen zum Tierarzt bringen und vieles mehr – kümmern sich die Ehrenamtlichen intensiv um die einzelnen Tiere.

„Mit viel Zeit, Geduld und Liebe schaffen sie es, auch den scheuesten Katzen zu zeigen, dass Menschen gar nicht so blöd sind“, berichtet Andrea Sicks.

Katzenstreichlerinnen sind eine wichtige Stütze im Tierheim

Katzenstreichlerinnen und damit die ehrenamtliche Mithilfe in den Katzenhäusern, gibt es schon sehr lange im Tierheim Berlin – mindestens seit dem Umzug zum heutigen Standort im Jahr 2001. Mittlerweile handelt es sich dabei um ein gekoppeltes Ehrenamt, so Andrea Sicks. Sie ist eine von drei Koordinatorinnen des Ehrenamts. Denn nur zum Katzenstreicheln kann man in der Regel nicht ins Berliner Tierheim kommen. Zu den Aufgaben der Ehrenamtlichen gehört es auch, die Festangestellten bei der Versorgung der Tiere zu unterstützen.

Bei den Katzen sind im Berliner Tierheim aktuell ungefähr 150 Ehrenamtliche aktiv. Von den helfenden Händen könne die Einrichtung gar nicht genug haben. Deshalb finden in Abständen von vier bis sechs Wochen Schulungen für neue Ehrenamts-Anwärter statt, die sich vorher online beworben haben. Wichtig ist vor allem, dass Ehrenamtliche eine Regelmäßigkeit gewährleisten können und einmal pro Woche da sind. „Um eine gewisse Bindung zwischen Katze und Mensch aufbauen zu können und damit man sich kennenlernen kann“, so die Ehrenamts-Koordinatorin weiter.

Tierheim Berlin wie viele Einrichtungen am Limit ihrer Kapazitäten

Viele Interessierte, die auf der Suche nach einer Katze ins Tierheim kommen, sehen vor allem einen bestimmten Typ Katze, erzählt Andrea Sicks im Gespräch mit PETBOOK. „Das sind die Katzen, die sich aus ihren Verstecken heraus trauen, die auf den Menschen zukommen und sich auch kurz anfassen lassen.“ Doch wer sich als Katze dauerhaft nicht blicken lässt, wartet natürlich auch länger im Tierheim auf sein neues Zuhause.

Die Wirkung der Katzenstreichlerinnen im Tierheim ist nicht nur für die Katzen „enorm“, weil sie ihnen den Aufenthalt im Tierheim verschönern. Auch für das Tierheim Berlin sind sie von großer Bedeutung. Gerade in diesen angespannten Zeiten, in denen das Tierheim wie viele andere Tierheime in Deutschland an seine Kapazitätsgrenzen stößt. „Für das Tierheim bedeuten schneller vermittelbare Katzen Platz für neue Tiere, die unsere Hilfe und Pflege brauchen“, so Andrea Sicks.

„Ich glaube, ich schütte unheimlich viele Glückshormone aus“

Auf die Frage, warum sie als Katzenstreichlerin tätig ist, hat Petra S. eine eindeutige Antwort: „Weil ich Katzen gerne habe. Es macht mir Spaß, mit ihnen zu spielen.“ Sie selbst hatte früher ebenfalls Katzen und auch einen Hund, einen Beagle. Aktuell habe sie für ein eigenes Haustier aber keine Zeit. Deshalb stellt ihre Tätigkeit als Katzenstreichlerin im Berliner Tierheim für sie einen „schönen Kompromiss“ dar. „Ich glaube, ich schütte unheimlich viele Glückshormone aus“, so die Rentnerin lachend. „Es ist so schön, zu sehen, dass das, was ich mache, bei den Katzen wirkt. Auch die älteren Katzen fassen zunehmend Vertrauen und verängstigte Katzen werden allmählich immer verschmuster.“

Petra S. hat selbst auch schon mal eine Katze aus dem Tierschutz adoptiert, die sehr scheu war. Im Gespräch berichtet sie, dass sich das Tier am Anfang gar nicht habe anfassen lassen, sondern völlig verschreckt unter dem Bett saß. Doch auch bei ihrer Katze habe sich mit viel Geduld und Zeit eine positive Entwicklung beobachten lassen – und irgendwann „war das Eis gebrochen“.

Katzenstreichlerin Petra S. freut sich über jede vermittelte Katze

Die Tätigkeit als Katzenstreichlerin dient in erster Linie dazu, besonders scheuen Tieren zu helfen, Vertrauen zu fassen und ihnen damit eine größere Chance zu geben, ein neues Zuhause zu finden. Bei manchen Katzen kann es aber auch etwas länger dauern, bis sie vermittelt werden können. Petra S. berichtet von einer Situation, die immer wieder passiert: Sie ist auf dem Weg zu einer Katze, die schon länger im Tierheim lebt, freut sich auf sie. Als sie vor dem Gehege steht, ist die Katze weg, vermittelt. Ein Moment, in dem sich Freude und Traurigkeit vermischen: „Ich freue mich für die Kleine, aber gleichzeitig vermisse ich sie auch ein bisschen.“ Doch mit einem Strahlen fügt sie hinzu: „Die schönste Belohnung für meine Arbeit ist jedes Mal, wenn eine unserer Katzen ein liebevolles neues Zuhause findet.“

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