Warum Zugvögel schrumpfen

12.12.2019 14:11

Dass Tiere im Verlauf der Klimaerwärmung kleiner werden – auf dieses skurrile Phänomen gibt es schon länger Hinweise. So besagt etwa die Bergmannsche Regel, dass Artgenossen in nördlicheren Verbreitungsgebieten größer sind als in südlicheren (und wärmeren). Auf diese Weise optimieren die Tiere ihren Energiebedarf. Denn größere Körper haben, bezogen auf ihr Körpervolumen, geringere Wärmeverluste als kleinere.

Makabre Datengrundlage

Forscher der Universität Michigan konnten nun in einer Studie erstmals zeigen, dass diese Regel auch auf Zugvögel zutrifft. Dafür nutzten sie eine weltweit einmalige, etwas makabre Datengrundlage: Die Körper von 70.716 Zugvögeln, die zwischen 1978 und 2016 gegen die Fensterscheiben von Gebäuden geflogen und gestorben waren, vor allem Tausende von Grasmücken, Drosseln und Sperlingen. Sie alle füllten über die Jahrzehnte die Schränke eines Archivs der Universität und wurden nun in mühevoller Kleinarbeit vermessen.

Das Resultat: Bei allen 52 Arten war die Körpergröße über die Jahrzehnte geschrumpft. Der sogenannte Laufknochen des Fußes, der als verlässliches Maß gilt, war im Schnitt um 2,4 Prozent kürzer geworden. Die Veränderung der Größe von insgesamt nur wenigen Millimetern ist zwar mit bloßem Auge kaum wahrnehmbar – schon gar nicht von ornithologischen Laien. Aber sie ist signifikant, wie die Wissenschaftler betonen.

„Wir hatten dank früherer Studien gute Gründe anzunehmen, dass steigende Temperaturen zu einer kleineren Körpergröße führen würden. Aber was uns schockierte, war, wie konsistent die Ergebnisse waren“, sagte der Hauptautor der Studie, der Biologe Brian Week. „Ich war absolut überrascht, dass alle dieser Arten so ähnlich reagieren.“ Week und seine Kollegen konnten sogar zeigen, dass die Tiere mit ihrer Körpergröße direkt auf die Temperatur reagierten. So schrumpften die Tiere besonders stark nach Phasen einer besonders raschen Erwärmung innerhalb der vier untersuchten Dekaden.  

Kleinerer Körper, längere Flügel

Eine andere Veränderung gab den Forschern zunächst Rätsel auf: Die Flügellänge hatte bei fast allen Arten zugenommen. Und zwar besonders bei denen, die die größten Verluste bei der Körpergröße verzeichneten. Die Forscher erklären diesen Zuwachs als Kompensationsmaßnahme. Denn bei Zugvögeln zählt jedes Gramm Fett als Brennstoffvorrat für den oft Tausende Kilometer langen Zug in die Brutreviere oder in die Überwinterungsgebiete. Steht nun wegen der geringeren Körpergröße weniger Brennstoff zur Verfügung, gleichen die Tiere das durch größere Flügel aus, die den Vögeln ein energiesparendes Fliegen ermöglichen.

Genauer gesagt: den verbliebenen Vögeln. Denn es werden immer weniger. Einer erst wenige Wochen alten US-Studie zufolge hat Nordamerika in den vergangenen 50 Jahren ein Drittel seiner Vögel verloren. Allein in den vergangen zehn Jahren nahm die Größe und Dichte der nächtlichen Zugvogelschwärme um 14 Prozent ab. Als Ursache für den dramatischen Rückgang - nicht nur in Nordamerika - nehmen die Forscher den Verlust von Lebensräumen durch Landwirtschaft und Verstädterung und Futtermangel durch den Einsatz von Pestiziden an.

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