Der 1. April sollte der Stichtag sein – jeder, der vormals bei Twitter ein blaues Häkchen hatte und jetzt nicht zahlen will, soll es verlieren. Bisher geschah nichts. Vielleicht liegt das auch daran, dass es niemanden kümmert.
Twitter schreibt nach der Übernahme durch Elon Musk tiefrote Zahlen – der Schuldenberg, den der US-Milliardär mitbrachte, ist gigantisch. Um die Finanzen zu retten, ließ sich der neue Firmeneigentümer einiges einfallen: pausierte Mietzahlungen, Massenentlassungen, ignorierte Rechnungen, Firmen-Flohmarkt. Aber das Großreinemachen beschränkt sich nicht nur auf die Büros und Mitarbeiter des Unternehmens, sondern auch auf die Plattform selbst. In den Augen von Musk ist besonders das ehemals begehrte blaue Häkchen eine vielversprechende Stellschraube, mit der sich viel Geld verdienen lässt. In der Theorie.
Schon länger kündigte Musk an, dass Nutzer:innen mit einem "alten" blauen Haken, den man seinerzeit nur dann erhielt, wenn es sich bei dem Konto um das einer prominenten Person, einer Firma oder eines Menschen öffentlichen Interesses handelte, dieses Privileg entziehen werde. Stichtag: 1. April 2023 – kein Scherz.
Wer nach diesem historischen Datum noch immer ein blaues Häkchen sein Eigen nennen will, muss "Twitter Blue" kaufen. Dabei handelt es sich um ein Abo-Modell des Unternehmens, das verschiedene Vorteile bündelt. Wer zwischen 8,33 und 9,52 Euro im Monat zahlt, bekommt neben der Markierung mit dem Häkchen viele Funktionen und Privilegien, die Nutzern mit einem kostenfreien Konto nicht zur Verfügung stehen.
Bislang hat Elon Musk keine Häkchen entfernt – aber jede Menge Kritik geerntet
Doch passiert ist bisher nichts. Die alten blauen Häkchen sind auch am 2. April noch immer da, wo sie immer waren. Einen Grund dafür nannte Musk bisher nicht – vielleicht ist er technischer Natur. Oder aber es liegt daran, dass sich offenbar niemand dafür interessiert, wenn die hochheilige Markierung verschwindet. Das zumindest zeigen zahllose Tweets großer Namen, die nach eigenen Angaben nicht bereit sind, für das Abo zu bezahlen.
So sind sich zum Beispiel LeBron James, William Shatner, Karl Urban, Ice T und Chrissy Teigen sehr einig, dass sie – obwohl alle sich das wohl leisten könnten – keinen Cent für den Haken in die Hand nehmen werden.
Gleiches hört man auch von Unternehmen, zum Beispiel der renommierten "New York Times". Der "CNN"-Reporter Oliver Darcy sprach dazu mit dem Medienkonzern und ein Sprecher sagte: "Wir haben nicht vor, die monatliche Gebühr für die Verifizierung unserer institutionellen Twitter-Konten zu bezahlen." Die "Los Angeles Times", "Buzzfeed", "Politico", "Vox Media", "Washington Post" und "CNN" ebenso.
Das hat einen bestimmten Grund: Da sich jeder das blaue Häkchen kaufen kann, der in der Lage ist, Zahlungsinformationen zu hinterlegen, verliert die Markierung zwangsläufig ihre Bedeutung. Galt sie vormals als Garant, dass es sich bei einem Prominenten tatsächlich um diese Person handelte und Nachrichten eines Unternehmens wirklich aus dessen Feder stammt, ist Fälschern und Nachahmern auf Twitter mit dem Blue-Abo Tür und Tor geöffnet. Ein Beispiel ist der inzwischen gelöschte Account "punicaDE", auf den nicht wenige Menschen und Medien reingefallen sind.
Musk rächt sich an der "New York Times"
Musk, der bekannt für seine Impulsivität ist, hat offenbar ein Problem damit, dass seine Strategie nicht ausschließlich von Jubel begleitet wird. Besonders die "New York Times" bekommt das zu spüren. Nachdem ein Musk-Fan ein Meme bastelte, auf dem zu sehen ist, dass die "New York Times" nicht bereit ist, für Twitter zu bezahlen, schrieb Musk: "Gut, dann nehmen wir ihnen den Haken eben weg." Gesagt, getan. Der größte Twitter-Account der Zeitung ist nun Häkchen-frei. Kleinere Konten, etwa "NYTimesTech", behielten den Status bislang.
Doch das reichte Musk nicht. Er schoss nach und schrieb später: "Die wahre Tragödie der 'New York Times' ist, dass ihre Propaganda nicht einmal interessant ist. Außerdem ist ihr Feed das Twitter-Äquivalent zur Diarrhöe. Er ist unleserlich. Sie hätten viel mehr echte Follower, wenn sie nur ihre Top-Artikel veröffentlichen würden. Das Gleiche gilt für alle Publikationen."
Die "New York Times", wie fast alle großen Medien, kuratiert die Inhalte des Twitter-Kontos nicht, sondern lässt automatisch alle Artikel einlaufen, die auf der Webseite veröffentlicht werden.
Selbst das Weiße Haus will nicht für Twitter zahlen
Wann alle anderen bislang verifizierten Konten folgen und ebenfalls ihren Haken verlieren, ist unbekannt. Am Stichtag war es zumindest noch nicht soweit. Im Hintergrund scheint Twitter ohnehin an Ausnahmen zu arbeiten. Es heißt, dass die 10.000 meist-gefolgten Firmen zum Beispiel keine kostenpflichtige Verifizierung zahlen müssen, um sich auf Twitter einen offiziellen Anstrich zu geben.
Vermutlich wäre der Schwund in diesem Bereich ebenfalls recht groß: Musk kündigte an, für die Verifizierung eines Firmenkontos bis zu 1000 US-Dollar monatlich nehmen zu wollen. Selbst das Weiße Haus sagte gegenüber "Axios", dass man nicht gewillt sei, da mitzumachen. Aus bekanntem Grund: Die neuen Häkchen seien lediglich eine Art Rechnungsbeleg, aber kein Nachweis für die Echtheit eines Kontos.