Kaum stellt die Ampel-Regierung Ideen für eine Zuwanderungsreform vor, mahnt CDU-Chef Friedrich Merz an, konsequenter abzuschieben. 300.000 Menschen seien ausreisepflichtig, sagt er. Das stimmt. Und auch wieder nicht.
In der Oppositionsarbeit ist selten die feine Klinge das Instrument der Wahl, sondern meist der grobe Prügel. CDU-Chef Friedrich Merz mahnt per Zeitungsinterview in gewohnt strengem Ton die Ampel-Regierung an: "Da muss sich etwas ändern", sagte er mit Blick auf "Rückführungsoffensive". Die wurde von der Ampel-Koalition vor einem Jahr angekündigt und hat zum Ziel, Abschiebungen konsequenter umzusetzen. Anlass für Merz' Verweis ist der neue rot-grüne-gelbe Zuwanderungsplan. Der Oppositionsführer nämlich glaubt, dass der Bevölkerung ein Mehr an Einwanderung nur dann akzeptieren würde, wenn gleichzeitig Menschen ohne Bleiberecht Deutschland schnell verlassen würden.
Dauerbrenner "Konsequente Abschiebung"
Merz' Pochen auf "konsequente" Abschiebung ist ein Dauerbrenner konservativer Parteirhetorik, vor allem Straftäter und Gefährder sind im Visier von CDU und CSU. Um die mutmaßliche Dramatik des Problems zu verdeutlichen, nennt er natürlich auch Zahlen: 300.000 Menschen seien aktuell zur Ausreise verpflichtet, würden aber hier leben, so der Fraktionschef. Daran ist nichts falsch, aber gleichzeitig ist es ein Beispiel dafür, wie sich mit der Wahrheit ein falsches Bild erzeugen (und Stimmung machen) lässt.
Um genau zu sein, sind es laut Ausländerzentralregister 301.524 Menschen, die bis Ende Juni kein Bleiberecht hatten und Deutschland eigentlich verlassen müssten. Eigentlich. Denn in der Praxis stehen den Rückführungen zahlreiche Hürden im Weg, Folge: von den 300.000 Menschen können 250.000 nicht mal eben abgeschoben werden, denn sie haben ein Bleiberecht. Sind also, anders als der Unionsfraktionschef behauptet, offiziell ausreisepflichtig, de facto aber geduldet. Nur der Rest, genauer 54.243 Menschen, leben aktuell ohne entsprechende Papiere im Land, müssten Deutschland also tatsächlich bald verlassen.
Ausreisepflichtige keine homogene Gruppe
Bei einem Blick auf die Details wird deutlich, warum zwischen Ausreisepflichtigen und tatsächlich Abgeschobenen eine große Lücke klafft:
- Zum einen ist die Gruppe von Menschen ohne Papiere keine einheitliche Gruppe. Die Hälfte hat einen Asylantrag gestellt und wurde abgelehnt. Die andere Hälfte sind Menschen die zum Beispiel ihr Visum überzogen haben, deren Aufenthaltserlaubnis erloschen ist oder deren Freizügigkeitsrecht aberkannt wurde.
- Die Duldung liegt auch am gut funktionierenden Rechtsstaat. Stellt eine Migrantin einen Asylantrag, der abgelehnt wird, ist, wie bei jedem anderen Behördenvorgang Widerspruch und die Anfechtung durch ein Gericht möglich. In der Vergangenheit haben immer wieder kurzfristig abgelehnte Abschiebungen Schlagzeilen gemacht, bei denen die Betroffenen schon in Flugzeug saßen, das dann nicht starten konnte. Nicht wenige Rechtsanwälte haben sich darauf spezialisiert, die Bürokratie für sich und ihre Mandaten zu nutzen.
- Ein häufiges Problem sind fehlende Ausweispapiere. Sie sorgen oft dafür, dass Flüchtlinge Deutschland nicht verlassen können, weil etwa die Staatszugehörigkeit unbekannt ist und erst geklärt werden muss. Und selbst wenn die Herkunft klar ist, heißt das nicht, dass das Heimatland auch bereit ist, den oder die Abzuschiebenden auch wieder aufzunehmen. Vor allem dann nicht, wenn es sich dabei um Gefährder oder Straftäter handelt, blocken die Herkunftsstaaten oft ab. Folge: Es gibt keinen Ort, an den Ausreisepflichtige legal hinkönnen.
- Für etliche Staaten gilt zudem ein Abschiebestopp, so für Syrien und Afghanistan.
Nicht mal nach Griechenland wird abgeschoben
- Manchmal erschweren auch die EU-Richtlinien Rückführungen. Offiziell müssen Flüchtlinge in dem Land Asyl beantragen, in dem sie zum ersten Mal EU-Boden betreten haben. Oft sind Mittelmeerländer wie Griechenland und Italien. Wer dann aber in Deutschland noch einen Asylantrag stellt, wird automatisch abgelehnt und muss zurück in den Staat, in dem er den ersten Antrag gestellt hat. Dagegen aber wird auch geklagt, und manchmal erfolgreich. So hatten einige Gerichte zuletzt Abschiebungen nach Griechenland untersagt, weil dort die Versorgungslage zu schlecht sei.