Mit Milli Vanilli feierte Fab Morvan weltweite Erfolge – bis zum Absturz Anfang der Neunziger. Im Interview blickt Morvan auf seine Karriere zurück und spricht über sein Verhältnis zu Musikproduzent Frank Farian.
Von Alexander Nebe
Das Pop-Projekt Milli Vanilli feiert in diesem Jahr das 35. Jubiläum: Mit welchen Gefühlen hören Sie die großen Hits von damals?
Für viele Jahre war es fast unmöglich oder zumindest sehr schmerzhaft für mich, die alten Videos zu sehen und die Songs zu hören. Zu tief waren die seelischen Wunden, die Rob und mir durch den Skandal von 1990 zugefügt wurden.
Seit wann ist das für Sie wieder möglich?
Vor ungefähr 15 Jahren kamen Promoter auf mich zu und fragten mich, ob ich Lust hätte, Milli Vanilli-Klassiker wie "Girl you know it's true" live auf der Bühne zu performen. Zuerst habe ich abgelehnt – dann die Songs aber für mich wiederentdeckt, ihnen meinen stimmlichen Stempel aufgedrückt und so in meine eigenen verwandelt. Für den Heilungsprozess war das ein sehr wichtiger Faktor.
Gab es Momente, in denen Sie den Riesenerfolg zwischen 1988 und 1990 uneingeschränkt genießen konnten, obwohl ein Damoklesschwert über Ihnen schwebte?
Anfangs gab es die sicherlich, denn wir waren damals aushungert nach Liebe! Rob wurde adoptiert, lebte vorher vier Jahre in einem Waisenhaus und ich habe zu Hause unter anderem durch die kriselnde Ehe meiner Eltern auch nicht viel Liebe erhalten. Und plötzlich wurden wir von Null auf Hundert in das Leben eines Pop-Stars katapultiert! Die Fans kreischten unsere Namen, wir wohnten in teuren Hotels, besuchten die exklusivsten Partys. Natürlich war das toll, sehr verführerisch und wir haben es
Wie sind Sie und Rob mit dem extremen Druck umgegangen, der auf Ihnen lastete?
Mit der Zeit haben wir uns immer mehr in wilde Partys, Alkohol und Drogen geflüchtet. Das war für uns wie Medizin, die uns für ein paar Stunden Betäubung bot und die Last auf unseren Schultern ein wenig nahm.
Wann haben Rob und Sie zum ersten Mal realisiert, dass Sie in einer Falle steckten?
Als wir unseren Vertrag mit Frank Farian unterschrieben, hatten wir keine Manager und Anwälte an unserer Seite. Und der Vertrag war komplett auf Deutsch. Ich konnte die Sprache damals noch nicht gut genug, um alle Details zu verstehen. Es war natürlich ein Schock, als man uns erklärte, dass wir zwar die Gesichter von Milli Vanilli sein sollten, aber nicht singen durften. Da war die Falle jedoch bereits zugeschnappt.
Warum haben Sie nicht sofort die Notbremse gezogen?
Wir waren jung, brauchten die Gage, die damals für uns eine ganze Menge Geld war und es ging zunächst ja auch nur um einen Song. Niemand konnte ahnen, dass Welthit auf Welthit folgen sollte. Und so wurden wir immer tiefer in das Lügenkonstrukt hineingesogen. Zudem waren wir unglaublich naiv, klammerten uns fest an dem Glauben, dass uns Frank vielleicht doch noch selbst singen lassen würde.
Wie war Ihr Verhältnis zu Frank Farian?
Am Anfang waren wir von seinem Erfolg und den vielen Gold- und Platinschallplatten in seinem Büro sehr beeindruckt. Wir spürten, dass dieser Mann der Schlüssel für unsere große Chance sein könnte und sahen in Frank zunächst sogar eine Vaterfigur. Leider mussten wir schnell feststellen, dass er ein bösartiger "Vater" war, der vor allem eines wollte: uns für das Erreichen seiner Ziele zu benutzen! Frank war charismatisch aber auch sehr cholerisch, knallhart, gnadenlos! In jedem Moment machte er uns klar, dass wir den Mund zu halten und zu funktionieren haben.
Hat Farian sich jemals bei Ihnen entschuldigt?
Ich habe zu ihm seit drei Jahrzehnten keinen Kontakt mehr und bin mir sicher, dass er sich bis heute Rob oder mir gegenüber gar keiner Schuld bewusst ist. Er glaubt, alles richtig gemacht zu haben. Warum sollte er also?
Hegen Sie ihm gegenüber noch bittere Gefühle?
Nein, das habe ich inzwischen hinter mir gelassen. Ich habe viele Jahre gebraucht, bis ich mich seelisch erholt hatte. Und auch wenn es mir wirklich sehr schwer fiel, so musste ich lernen, dass ich ihm vergeben muss, damit ich mit meinem Leben weitermachen und mein Selbstbewusstsein neu aufbauen kann.
Beim Skandal 1990 waren Sie die alleinigen Prügelknaben…
Die Medien haben uns verurteilt, an den Pranger gestellt – und alle anderen Beteiligten wie Frank, US-Produzent Clive Davis und der Rest des Teams haben sich in die Büsche geschlagen. Damals war zudem das von den Medien verbreitete Narrativ, dass die Fans uns nun hassen würden. Das war für uns ganz besonders schmerzhaft.
Wie tief hat Sie der Tod von Rob im Jahr 1998 getroffen?
Rob war für mich wie ein Bruder und ein Seelenverwandter. Und deshalb fühlte es sich für mich so an, als wäre ein Teil von mir ebenfalls gestorben.
Haben Sie sich Vorwürfe gemacht, dass Sie ihm nicht helfen konnten?
Am Anfang – nachdem ich meine Drogensucht erfolgreich besiegte – hatte ich es mir so sehr gewünscht, dass ich ihn dazu inspirieren konnte, ebenfalls wieder Musik zu machen. Aber er hatte all seine Hoffnungen verloren, war tief verletzt und sah keine Zukunft mehr für sich. Rob war ein gebrochener Mann und starb an einem gebrochenen Herzen.
Wie sind Sie aus dem emotionalen Tief nach dem Ende von Milli Vanilli wieder herausgekommen?
Es war für mich eine sehr lange Reise, um der positiv denkende und an das Gute glaubende Mann zu werden, der ich heute bin. Ich habe viele tolle Menschen getroffen, die mich inspiriert haben, hart an mir zu arbeiten. Musik hat mein Leben gerettet! Trotz allem was passiert ist, wollte ich der Musik unbedingt treu bleiben, weil die mich glücklich macht. Rob dagegen hatte sich selbst verloren, hing weiterhin mit den falschen Leuten ab und kam trotz diverser Entzugsversuche einfach nicht von den Drogen und seinem selbstzerstörerischen Lebensstil los.
Wäre der Skandal um Milli Vanilli heute, mehr als 30 Jahre später, immer noch ein Skandal?
Ich glaube nicht! Wir wurden damals für unser Lipsynching gekreuzigt – heute wirst du auf Instagram und TikTok dafür gefeiert. Die Zeiten haben sich total verändert! Es gibt heute viele Artists, die zwar toll aussehen – aber nur mäßig bis gar nicht singen können. Doch durch moderne Software ist alles möglich, heute gibt es einen Vocal-Specialist-Editor, und sofort klingen alle wie Engel. Playback singen – es ist allgemeine Praxis. Selbst anerkannte Musikjournalisten bescheinigen mir deshalb heute, dass es abscheulich war, was damals mit uns gemacht wurde.
Der Skandal um Milli Vanilli
Die beiden Tänzer Fab Morvan und Rob Pilatus wurden 1988 von Musikproduzent Farnk Farian als Duo Milli Vanilli gecastet. Selbst gesungen haben die beiden jedoch nie. Sie bewegten ihre Lippen zu Playback, den Gesang lieferte unter anderem US-Musiker Charles Shaw. Erste Zweifel gab es, als im Sommer 1989 bei einem Konzert in Bristol, Connecticut die Playback-Maschine versagte. Als Morvan und Pilatus darauf bestanden, selbst zu singen, ließ Farian im Herbst 1990 die Bombe platzen: Er offenbarte, dass er die beiden Tänzer nur wegen ihres Aussehens angeheuert hatte. Dass sie singen sollen, war nie der Plan. Der "Washington Post" sagte Farian: "Es war fantastische neue Musik, die Leute waren glücklich, wo ist das Problem?" Vor allem in den USA war der Betrug ein riesiger Skandal. Milli Vanilli mussten ihren Grammy zurückgeben und Fans zerstörten ihre Alben.
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