Brain on Fire war ein Buch, das ich unmittelbar vor meinem Abflug zum British Science Festival gelesen hatte. Es zeigt das Gehirn, seine Möglichkeiten und Gefahren an einem realen Menschen. In Feuer im Kopf (so der dämliche deutsche Titel) beschreibt die New Yorker Erfolgsjournalistin Susannah Cahalan ihre Wochen in geistiger Umnachtung.
Das Buch ist ein Pageturner, weil es exzellent geschrieben, recherchiert und brutal real ist. Der Horror entsteht durch die entwaffnende offene Erzählweise der Autorin. Es enthält zudem viele wissenschaftliche Fakten zur Gehirnforschung, die vor ihrem Fall auch in wissenschaftlichen Fachkreisen nicht bekannt waren. (Und siehe weiter unten, auch heute vielfach noch nicht sind)
Aber es ist auch ein Roman über eine erfolgreiche Frau, die nicht aufgibt, ein Stück gelebte Zeitgeschichte in der Neurologie und eine Liebesgeschichte.
Cahalan beschreibt ihr Leben. Das einer erfolgreichen, jungen, bildhübschen Journalistin, die bereits mit 24 Jahren eine der angesehensten investigativen Reporterinnen der ältesten Zeitung in New Yorks ist, der New York Post. Und ihr abruptes Abkehren von all diesen Eigenschaften zu „einer Susannah, die nicht ich bin“: unzuverlässig, mit schlechtem, rücksichtslosem Benehmen, vernachlässigtem Aussehen und mit unberechenbaren Anfällen, Krampfanfällen (Seizures), die über die Wochen hin zunehmen. Ihr komplett verändertes Verhalten wird schon bald von einigen hoch angesehen Doktoren begutachtet – auch von neurologischen Spezialisten.
Sie wird als Alkoholikerin beschimpft, Autismus ist eine andere falsche Diagnose, Genetischer Defekt, Bipolar, Schizoaffektive Störung, Epilepsie… der ganze Bogen, je nach dem Fachgebiet des behandelnden Arztes – während sich ihr Gesundheits- und Geisteszustand zunehmend verschlechtert.
Alle Untersuchungen zeigen keine Krankheitsursache – sie sei komplett gesund; auch das wird ihr mehr als einmal versichert. Erst, wie sich später herausstellt, kurz vor knapp gerät sie an einen Arzt, der sich mit einer Autoimmunerkrankung des Gehirns beschäftigt und sie daraufhin untersucht und heilt.
In 2009 war ihr Monat der Verrücktheit (Zitat Cahalan). So lang ist das noch nicht her. Bis zu ihrem Fall gab es nur 217 Patienten weltweit, bei denen eine Autoimmunerkrankung des Gehirns korrekt als Ursache für eine komplett veränderte Persönlichkeit festgestellt worden war. Ein Jahr später waren es bereits doppelt so viele und 2012 nach Erscheinen des Buches mehr als 1000 Betroffene.
Auch bei Cahalans Recherchen nach ihrer Genesung haben etliche der honorigen Fachärzte, die sie falsch diagnostiziert hatten, noch immer keinen blassen Schimmer von Autoimmunerkrankungen des Gehirns – obwohl der Fall in praktisch jeder bedeutenden Fachzeitschrift, so auch dem New England Journal of Medicine oder der New York Timesdurchdekliniert worden war.
Eine Brain Biopsie (Entnahme von Gehirngewebe eines lebenden Menschen) war bis 2009 an weniger als 10 Menschen weltweit durchgeführt worden. Geschätzte 90 Prozent der wie sie Erkrankten wurden noch falsch diagnostiziert. Den meisten Neurologen und Fachärzten war nicht bekannt oder bewusst, dass auch ein Gehirn sich selbst attackieren kann, wie der Rest des Körpers. Selbst heute, wenige Jahre später, liegt die Sterblichkeitsrate bei Autoimmunerkrankungen des Gehirns noch immer bei 7 Prozent. Die Ursache der Krankheit ist bis heute nicht erforscht.
Durch ihre Geschichte – zunächst als vielbeachteter Artikel in der New York Postund dann als Bestsellerbuch – hat Susannah Cahalan eine Revolution eingeleitet: Viele Menschen wurden seither gerettet, einige sprichwörtlich durch gerade noch rechtzeitige Behandlung, weil die behandelnden Ärzte selbst zwar nichts von dieser Gehirnkrankheit wussten, aber Angehörige den Zeitungsartikel gelesen hatten und auf einer Untersuchung auf Autoimmunerkrankung bestanden hatten – gerettet vor dem Tod, aber auch vor falschen Diagnosen und sinnlosem Wegsperren in Krankenhäusern und Anstalten.
Es gibt viel mehr als Verhalten und vererbte Gene, das unsere Kommunikation mit der Außenwelt beeinflusst. Viele Ursachen von verändertem oder gestörtem Verhalten sind bis heute nicht bekannt. Mit diesem Wissen besuchte ich das Ashton Brain Center (ABC) in Birmingham, ein renommiertes Fachzentrum zur Erforschung und Entwicklung des Gehirns von Kindern, und fragte den Direktor, Professor Paul Furlong, nach seiner Meinung zu Susannah Chalans Fall. Das Fachgebiet des Professors ist Epilepsie. Cahalan’s Buch und dessen Inhalt waren ihm unbekannt.
Und was denken Sie daran ?