Wieder Proteste gegen Till Lindemann, nun gegen seine Solo-Tour. Für Konzertbesucher und Protestler in Leipzig ist das alles schon fast Routine.
Endlich wieder ein Till-Lindemann-Bericht! Und es fängt auch alles an wie immer: Eine Konzertarena in Leipzig. Auf der einen Seite die Gegner: Junge Frauen mit scharf geschnittenem Pony, Männer mit buntem Nagellack, jemand schlurft an einen Baum und schließt sein Fahrrad daran ab.
"Keine Konzerte für Täter", ruft eine Frau. Sie steht auf einer Bühne, die sich schüchtern an die Außenwand der Arena schmiegt.
Auf der anderen Seite die Konzertbesucher: Frauen, die aussehen, als wären sie gerade vom Motorrad gestiegen. Männer, die aussehen, als spielten sie gerne E-Gitarre in einem holzvertäfelten Partykeller. Es ist 18 Uhr. Lindemann beginnt erst um 21 Uhr, aber die Schlangen an den vier Eingängen ziehen sich jeweils schon hundert Meter lang. Das sind Rammstein-Fans eben auch: Menschen, die immer genau wissen, wo ihr Zahnarztbonusheft liegt, Menschen, die drei Stunden vorher zu einem Rock-Konzert kommen. Keine Rebellen. Aber jetzt werden sie so behandelt, vor allem von den dutzenden Reportern und Kamerateams, die auch da sind und fragen:
"Warum seid ihr hier?"
"Was sagt ihr zu den Vorwürfen?"
12.000 Menschen wollen Till Lindemann in Leipzig sehen
Alles schon hundertmal gesehen, alles so wie immer also, seit dem Sänger Till Lindemann im Sommer vorgeworfen wurde, Frauen missbraucht zu haben. Nur eine Sache ist doch anders an diesem Abend: Till Lindemann ist zum ersten Mal allein, ohne seine Band Rammstein. Er tourt mit seinem Soloalbum "Zunge", die Songs heißen "Lecker" oder "Nass". Der 60-Jährige kokettiert auch auf dem neuen Album mit seiner gewohnten Rolle: die des altlüsternen Sex-Grobians. Aufgenommen hat Lindemann das Album bevor etliche Frauen Anklage gegen ihn erhoben, auch bevor die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen ihn anstieß und sie dann zwei Monate später einstellte. Man kann also keine Reaktionen von ihm zwischen den Zeilen finden, auf die Anschuldigungen.
Dafür aber umso mehr Reaktionen beim Tourauftakt in Leipzig. 12.000 Menschen wollen Lindemann sehen. Das Stadion im Leipziger Westen ist ausverkauft, die Stimmung bei den aus dem ganzen Umland angereisten Fans ist prächtig und man will das eigentlich kaum mehr schreiben, weil es ja sowieso schon von Klischees nur so wimmelt, aber es ist nunmal wirklich so: Dort, wo sich die Rammstein-Fans sammeln, riecht die Luft nach Bier.
Bei den Rammstein-Gegnern duftet es nach Kuchen, den man für einen Soli-Betrag erwerben kann. Von ihnen sind etwa 700 Menschen gekommen. Und obwohl die "Omas gegen Rechts" im Vorfeld ankündigten, man wolle den Rammstein-Fans einen möglichst ungemütlichem Empfang bereiten, ist es eigentlich eine sehr freundliche Stimmung in Leipzig, fast ein kleines linkes Volksfest. Auf der Bühne wird gesungen und das Publikum klatscht.
"Wir sind hier, weil wir den Frauen zeigen wollen: Wir glauben euch"
Dabei ist ja noch etwas anders, als bei den vorigen Protesten gegen Konzerte mit Till Lindemann, wie sie im Sommer allerorts stattfanden: Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen den Sänger eingestellt. Ändert das die Sicht der Protestierenden?
"Entgegen der landläufigen Meinung kommt das nicht einem Freispruch gleich", sagt eine Person vom "Fem Streik-Bündnis", einer feministischen Gruppe aus Leipzig. Es bedeute nur, dass die Staatsanwaltschaft keine Taten beweisen könne. "Wir sind hier, weil wir den Frauen zeigen wollen: Wir glauben euch", sagt die Rednerin und die Umstehenden applaudieren.
Dann zerreissen Jubelschreie von der anderen Seite die Luft. Die Türen sind jetzt geöffnet, die Lindemann-Fans rennen in die Arena. Es geht zu wie vorm Spatenstich des Oktoberfestes. Journalisten sind drinnen nicht gern gesehen. Mehrere Medien bekamen keine Akkreditierung für das Konzert, also keinen Zutritt in den Medienbereich. Auch Fotografen der dpa wurden nicht zugelassen.
Daher muss man die Nacht wohl draußen ausklingen lassen. Dort schwingen die Protestierenden immer noch Reden. Man wolle auch gegen kommende Konzerte protestieren, kündigen sie an. Die Auftritte Lindemanns nicht unwidersprochen lassen. Aber dann doch eine Geste der Versöhnung. Nicht gegenüber Till Lindemann, aber gegenüber seinen Fans. Die Protestierenden fordern, dass alle Konzerte des Sängers abgesagt werden. Aber es soll sichergestellt werden, dass die Besucher das Geld für ihre Tickets zurückerstattet bekommen. Und zwar vollständig!
Und was denken Sie daran ?