Früher nannte man sie „Zappelphilipp“: Kinder, die kaum zur Ruhe kommen, sich nur schwer konzentrieren können und deren Verhalten von spontanen Impulsen geprägt ist. „ADHS“ lautet die Diagnose heute oft. ADHS ist die häufigste psychiatrische Störung im Kindes- und Jugendalter.
Was ist ADHS?
ADHS ist die Abkürzung für Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung. Viele kennen die Krankheit auch unter dem Begriff Zappelphilipp-Syndrom. Der berühmteste Zappel-Philipp kommt wohl im Kinderbuch Struwwelpeter des Arztes und Psychiaters Heinrich Hoffmann aus dem Jahr 1845 vor – der Junge, der nicht still sitzen will. Auch der Hans-Guck-in-die Luft aus diesem Buch, der mit seinen Gedanken stets woanders ist, wird oft mit ADHS in Verbindung gebracht. Andere Namen sind Hyperkinetische Störung oder Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS), wenn die Hyperaktivität fehlt. Dies ist zum Beispiel eher bei Mädchen der Fall, die verträumt und unaufmerksam sind.
Kennzeichnend für Kinder mit ADHS sind Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, impulsive Verhaltensweisen und starke Unruhe. Allerdings hat nicht jedes Kind, das Probleme in einem dieser drei Bereiche hat, umgehend ADHS, sondern die Schwierigkeiten können auch im Lauf einer normalen Kindesentwicklung auftreten. Ausschlaggebend sind das Ausmaß und die Stärke der Auffälligkeiten. Vielleicht ist Ihr Kind auch nur ein kleiner Wirbelwind.
Wie viele Kinder tatsächlich betroffen sind, ist unklar. Ärzte schätzen aber, dass weltweit (und in Deutschland) rund fünf Prozent aller Kinder und Jugendlichen zwischen 6 und 18 Jahren ADHS haben. Diese Zahl entspricht etwa 500.000 Kindern und Jugendlichen. Jungen sind drei- bis sechsmal häufiger betroffen als Mädchen. Dies könnte allerdings auch damit zusammenhängen, dass bei Mädchen oft der starke Bewegungsdrang – die Hyperaktivität – fehlt und die Krankheit so seltener diagnostiziert wird. Bei manchen verschwindet ADHS während der Pubertät, aber nicht bei allen Betroffenen. Etwa zwei Millionen Menschen leiden auch als Erwachsene noch unter Verhaltensauffälligkeiten.
Was sind die Ursachen von ADHS?
Anders als viele annehmen ist ADHS keine Mode- oder Zivilisationskrankheit, die ihre Wurzeln in falscher Erziehung, Ernährung oder häufiger Mediennutzung hat. Aber: Manche dieser Faktoren können den Verlauf der Erkrankung beeinflussen. ADHS gilt heute als eine ernstzunehmende Störung, die schwerwiegende psychische, berufliche und soziale Folgen für die Kinder und Jugendlichen haben kann.
Mediziner vermuten, dass komplexe Veränderungen in den Funktionsweisen des Gehirns für die Entstehung von ADHS verantwortlich sind. Eine Rolle spielt ein veränderter Botenstoffwechsel im Gehirn (Neurotransmitter), etwa bei den Botenstoffen Serotonin, Noradrenalin und Dopamin. Diese sind wichtig für Aufmerksamkeit, Antrieb, Motivation und Impulskontrolle. Diese Störungen beeinträchtigen die Informationsverarbeitung, Reaktionszeiten und die Kontrolle von Motorik, Aufmerksamkeit und Impulsen.
Genetische Faktoren spielen für die Erkrankung eine entscheidende Rolle. Oft leiden Eltern, Geschwister oder andere Verwandte ebenfalls an ADHS. Ist ein Elternteil von der hyperkinetischen Störung betroffen, haben Kinder ebenfalls ein erhöhtes Risiko zu erkranken.
Es gibt aber noch andere Risikofaktoren wie Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen. So können eine frühe Geburt, ein Sauerstoffmangel bei der Geburt, Alkohol, Nikotin und andere Drogen in der Schwangerschaft zur Entstehung von ADHS beitragen.
Die Ausprägung und Intensität der ADHS-Symptome werden durch die Umwelt mit beeinflusst. Psychosoziale Faktoren wie das Aufwachsen mit nur einem Elternteil, beengte Wohnverhältnisse, inkonsequente Erziehung oder häufige Kritik und Bestrafungen wirken als Begleitfaktoren bei der Entstehung von ADHS. Das auffällige Verhalten der Kinder löst negative Reaktionen in der Umgebung aus, die wiederum bei den Kindern oppositionelles Verhalten, Aggressivität, Ängste und Depression fördern.
Insgesamt lässt sich sagen: Kinder mit ADHS haben Probleme im Alltag – in der Familie, Schule, bei sozialen Kontakten mit anderen Kindern und später im Beruf, mit Freunden und Partnern. Die Erkrankung kann bis ins Erwachsenenalter bestehen bleiben.
Was sind die ADHS-Symptome?
Das auffällige Verhalten tritt oft schon früh in Erscheinung, in der Regel in den ersten fünf Lebensjahren. Meist sind die Verhaltensauffälligkeiten in mehreren Bereichen des Lebens zu beobachten, zum Beispiel im Kindergarten und in der Familie. Sie können in den verschiedenen Lebensbereichen aber unterschiedlich stark ausgeprägt sein.
Die wichtigsten ADHS-Symptome beziehen sich auf drei Kernbereiche:
1. Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen
2. Hyperaktivität
3. Impulsivität
Meist treten die ADHS-Symptome verstärkt in Situationen auf, in denen von Kindern und Jugendlichen eine längere Aufmerksamkeit gefragt ist, etwa im Unterricht, bei den Hausaufgaben oder wenn Sie beim Essen am Familientisch länger sitzen sollen. Je nach Alter können die ADHS-Symptome unterschiedlich sein.
Wie erkennt der Arzt ADHS?
Die ADHS-Diagnostik gehört in die Hände eines erfahrenen Kinderarztes oder Kinder- und Jugendpsychiaters. Manche Mediziner kritisieren, dass die Diagnose ADHS zu schnell und zu häufig gestellt werde. Denn nicht jedes quirlige, lebhafte Kind hat gleich ADHS.
ADHS liegt vor, wenn das unaufmerksame und impulsive Verhalten mit oder ohne Hyperaktivität deutlich ausgeprägt ist, nicht dem Alter und Entwicklungsstand des Kindes entspricht und im Alltag (Familie, soziale Kontakte mit anderen Kindern) zu Problemen führt. Typisch sind auch Leistungseinbußen in der Schule und später im Beruf. Diese Auffälligkeiten sollten länger als sechs Monate bestehen. Die Symptome von Hyperaktivität, Impulsivität und Unaufmerksamkeit sollten schon vor dem siebten Lebensjahr vorhanden gewesen sein und in zwei verschiedenen Lebensbereichen auftreten, etwa in der Schule und in der Familie.
Mediziner unterscheiden drei Typen:
1. Überwiegend unaufmerksamer Typ: Hyperaktivität und Impulsivität sind wenig ausgeprägt
2. Mischtyp: alle drei Hauptsymptome sind gleich stark ausgeprägt
3. Überwiegend hyperaktiv-impulsiver Typ: Aufmerksamkeitsstörung ist wenig ausgeprägt.
>> ADHS-Diagnose – so geht der Arzt vor
Wie wird ADHS behandelt?
Die Ziele der ADHS-Therapie sind, die Symptome zu verringern, eine altersgemäße und soziale Entwicklung und Integration zu gewährleisten, die Beziehung zwischen Eltern und Kind zu verbessern und ein stabiles Selbstwertgefühl zu erreichen. Die Therapie soll sich außerdem auf den Schul- oder Berufserfolg positiv auswirken. Die ADHS-Therapie stützt sich auf ein multimodales Behandlungskonzept – also auf mehrere Bausteine.
Wie kann ich ADHS vorbeugen?
ADHS kann man nicht vorbeugen. Die Erbanlagen spielen eine große Rolle bei der Entstehung der Störung im Gehirn. Allerdings gibt es bestimmte Risikofaktoren, die zur Entstehung von ADHS beitragen können. Dazu zählen beispielsweise der Drogenkonsum in der Schwangerschaft sowie die Verhältnisse und Umstände, in denen Ihr Kind aufwächst. Diese können Sie selbst beeinflussen. Das gilt auch für Ihren Erziehungsstil. Mangelnde Konsequenz, häufige Kritik und Bestrafungen können ADHS fördern. Wichtig sind auch eine frühzeitige Diagnose und die richtigen Therapien – so lassen sich die Folgen von ADHS mildern oder ganz vermeiden.
Wie sind die Heilungschancen bei ADHS?
Die Prognose bei ADHS lässt sich bislang nicht vorhersagen. Wichtig ist, dass ADHS rechtzeitig erkannt und behandelt wird, sonst können schwerwiegende Probleme in Schule, Beruf und Sozialleben auftreten.
Mit dem Älterwerden verändern sich die ADHS-Symptome. Bei Kindern mit ADHS sind vor allem ihre Hyperaktivität und Impulsivität auffällig, Jugendliche mit ADHS sind dagegen oft eher verträumt und unaufmerksam. Die Hyperaktivität sinkt bei Erwachsenen meist weiter. Bei vielen Betroffenen verschwindet die Erkrankung noch vor dem Erwachsenenalter, aber bei zwei bis drei Prozent bleibt ADHS bestehen.
Zu den Folgen zählen mangelnde Leistungsfähigkeit, geringer Erfolg in Schule und Beruf, geringes Selbstwertgefühl, soziale Probleme wie mangelnde Freundschaften, schlechte Integration in die Gesellschaft, sozialer Rückzug oder Störungen in der Partnerschaft. Außerdem können Tics, das Tourette-Syndrom, Depressionen und Drogenprobleme bis hin zu erhöhter Suizidgefahr auftreten. Erwachsene mit ADHS sind häufiger in Unfälle verwickelt, weil sie Handlungen nicht planen und Gefahren nicht richtig einschätzen können.
Für eine gute Prognose der Kinder müssen Eltern, Erzieher, Lehrer, Selbsthilfegruppen, Kinder- und Jugendärzte, Neuropädiater, sozialpädiatrische Zentren, Kinder- und Jugendpsychiater, Kinder- und Jugendpsychotherapeuten und Heilmittelerbringer eng zusammenarbeiten.
Quellen:
- Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft ADHS der Kinder- und Jugendärzte e.V., Aktualisierte Fassung Januar 2007, mit Update des Kapitels „Medikamentöse Therapie“, März 2014
- Arbeitsgemeinschaft ADHS der Kinder- und Jugendärzte, www.ag-adhs.de (Abruf: 20.11.2017)
- Neurologen und Psychiater im Netz, www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org (Abruf: 20.11.2017)
- Bertelsmann Stiftung „Faktencheck Gesundheit“, 2014
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