Singles sind auf der Suche nach romantischer Verliebtheit, Schmetterlingen und sprühenden Funken – dabei ist der Weg zum wahren Liebesglück ein ganz anderer. Und führt über den Kopf statt den Bauch.
arah war sieben Jahre lang Single. Im Sommer 2010 lernt sie bei der Arbeit Felix kennen, einen der „nettesten Menschen der Welt“, wie sie bald von ihm sagt, aber Interesse an ihm als Mann hat sie nicht. Optisch ist er nicht ihr Typ, außerdem ist er ziemlich klein, sie hat andere Vorstellungen. Doch sie arbeiten über Wochen zusammen, er zeigt irgendwann ziemlich deutlich sein Interesse an ihr, sie sind sich einig über zentrale Fragen, haben die gleichen Ziele, den gleichen Humor. Sarah mag Felix – und als er sie irgendwann küsst, macht sie mit.
Ein paar Wochen später werden sie ein Paar – es ist unkompliziert mit ihm, er ist zuverlässig, sie verstehen sich. „Ich war so lange Single“, sagt Sarah, „und ich dachte mir einfach: Es stört mich nichts Gravierendes, wir verstehen uns so gut, ich sollte das jetzt einfach mal machen.“ Und bis heute hat sie es nicht bereut.
Vernunftehen machen glücklich
Aber darf eine Beziehung so anfangen? So nüchtern, überlegt, ohne Schmetterlinge-im-Bauch-Moment? Ja. Sie darf nicht nur – sie hat sogar die größeren Erfolgsaussichten als eine Liebe, die auf romantischer Verliebtheit gründet. Und sie ist die Chance für die vielen Singles, die regelmäßig an ihren zu hohen Ansprüchen und Vorstellungen davon scheitern, wie eine vermeintlich perfekte Liebe zu sein hat: „Eine warmherzige Zuneigung reicht für eine glückliche Beziehung völlig aus“, sagt Paartherapeutin Ingrid Strobel, „Rauschhaftes Verliebtsein bildet nicht die Basis für eine langfristige Partnerschaft.“ Viel wichtiger seien gemeinsame Ziele, ähnliche Werte und Moralvorstellungen.
Und Vernunft. Die braucht es, um sich auf eine Beziehung mit jemandem einzulassen, der kein wohliges Sehnen hervorruft. Genau dieser Perspektivwechsel von der Romanze zur Realität kann sich lohnen. Vom Paar- und Psychotherapeuten Arnold Retzer stammt die vor fünf Jahren erschienene und viel diskutierte „Streitschrift für mehr Realismus in der Liebe“. In „Lob der Vernunftehe“ konstatiert er: „Vernünftige Vorstellungen, Erwartungen und Verhaltensweisen führen zu einer guten ehelichen Lebensqualität.“
Und die ist es nämlich, die uns dauerhaft glücklich macht und erfüllt. Nicht das wahnsinnig aufregende Auf und Ab, das Gefühlskarussell aus Enttäuschungen und Höhenflügen – so spannend das sein mag. Nein, der Schlüssel zum Liebesglück heißt Vernunft –, weil, wie Arnold Retzer sagt, eine Vernunftbeziehung „realistisch, lebbar und erfolgreich ist“.
Die romantische Liebe ist ein Mythos
Doch es ist die romantische Liebe, die erotische Anziehung, die medial wie gesellschaftlich gefeiert wird. Die „FAZ“ nannte den Mythos von der romantischen Liebe gar den „Leitstern unserer Zeit“, eine „Pseudoreligion“ – was nicht übertrieben ist. Prominente wie Nichtprominente inszenieren ihre Hochzeiten bis zur Perfektion, lassen sich für ihre Liebe bewundern und tragen sie zur Schau. Denn Romantik läuft gut: Die VOX-Sendung „4 Hochzeiten und eine Traumreise“ etwa erreicht zweistellige Marktanteile in der jungen Zielgruppe. Der am häufigsten verwendete Hashtag auf Instagram lautete 2014 „#love“. Insgesamt sind mehr als 700 Millionen Bilder damit abrufbar. Darauf zu sehen: glückliche Paare, Verlobungsringe, Sonnenuntergänge hinter zwei Händen, die ein Herz bilden. Alles Versuche, nachzuahmen, was Filme, Lieder, Romane inszenieren.
„Millionen Menschen verschwenden riesige Mengen Energie, indem sie verzweifelt versuchen, die Realität ihres Lebens mit dem unrealistischen Mythos der romantischen Liebe in Einklang zu bringen“, schreibt der Psychiater M. Scott Peck. Auch Soziologin Eva Illouz verweist auf das Problem der überhöhten Erwartungen an das Liebesleben – als Ursache für Trennungen oder gar nicht zustande kommende Beziehungen. Dabei stehen gesunde Beziehungen soziologischen Theorien zufolge auf mehreren Säulen: Erotik, gemeinschaftliche Partnerschaft und solide Freundschaft sind gleichermaßen wichtig – haben aber in der Gesellschaft nicht den gleichen Stellenwert.
Beim ersten Date soll schon alles stimmen
So suchen immer mehr Singles mit den Werkzeugen der Vernunft nach einem Partner: Sie lassen sich von Online-Partnervermittlungen „matchen“ und per Persönlichkeitstests und Algorithmen vermeintlich ideale Partner vorschlagen. Unlängst heirateten sogar im Rahmen der Sat.1- Sendung „Hochzeit auf den ersten Blick“ Menschen, die sich vorher überhaupt nicht kannten und die Beziehungsexperten füreinander bestimmt hatten. Kommt es dann aber zu einem Date (beziehungsweise der Hochzeitsreise), wollen sie es alle doch: das irrationale Kribbeln.
Wenn es ausbleibt, werden selbst hohe Übereinstimmungswerte in den Wind geschlagen. Dann ist es egal, ob rational alles passt – etwa der ähnliche Bildungshintergrund, die gemeinsamen Vorlieben. Es soll immer „klick“ machen. Wo bleiben bloß die Schmetterlinge? Mehr als 70 Prozent aller deutschen Männer und Frauen glauben an Liebe auf den ersten Blick – die sie dann auch erwarten. Paartherapeuten halten aber nicht viel davon: „Viele Singles denken schon beim ersten Date: Warum spüre ich denn jetzt nichts? Was ist los?“, sagt Ingrid Strobel, die bei Sat.1 mithalf, die Hochzeitskandidaten auszusuchen. „Dabei sollte man erst mal den Boden bereiten für gemeinsame schöne Momente, die sich dann hoffentlich summieren – und das Paar ans Ziel der Liebe bringen.“ In der Sendung gelang das von vier Paaren einem einzigen.
Auch Sarah kommen kurz nach dem unspektakulär-pragmatischen Start ihrer Beziehung zu Felix Zweifel. Eine Freundin sagt zu ihr: „Wenn der Alltag kommt, brauchst du dann nicht wenigstens eine Erinnerung an das magische Kribbeln vom Anfang?“ Nein. Weil es kein unsanftes Erwachen gibt, wenn „Verliebtheitshormone“ nachlassen. Weil die freundschaftliche Liebe als Beziehungsstil, so belegt es der Soziologe John Alan Lee in einer Längsschnittstudie, dauerhaft genauso glücklich macht wie altruistische und romantische Liebe.
„Zunächst war es eine riesengroße Überwindung“
Gewiss, klassischerweise beginnen Beziehungen mit erotischer Anziehung – wer Glück hat, überführt diese dann nach zwei bis vier Jahren in eine Partnerschaft mit freundschaftlicher Liebe. Dafür, dass es eben auch andersrum funktioniert, ist Susanne Wendel das Paradebeispiel.
Die heute 42-Jährige tat sich 2011 mit Frank-Thomas zusammen – aus reiner Pragmatik: „Mir war nie einer gut genug, aber dann war ich plötzlich Ende dreißig und wollte noch ein Kind.“ Da habe sie sich gesagt: „Gut, ich nehme jetzt einen, der da ist.“ Das war ihr guter Freund Frank-Thomas. Er wollte das Gleiche und ließ sich ein auf den Plan „wir versuchen es jetzt einfach mal“ – samt Verlobung. „Es gab weit und breit keine Funken oder Schmetterlinge“, erzählt Susanne Wendel. „Zunächst war das wirklich eine riesengroße Überwindung.“ Das mag befremdlich klingen, für die beiden jedoch war es der Weg zum heute perfekten Lebensglück. Mittlerweile sind sie Eltern eines Sohnes und „total happy“. Über ihre Geschichte haben die beiden ein Buch geschrieben, das heißt, natürlich, „Wie wär‘s mit uns Beiden?“ (Horizon).
Wahre Liebe ist ein Akt des Willens
Doch eine solche Beziehung aufzubauen – das dauert. „Man muss am Haus der Liebe bauen, das frustriert auch mal“, sagt Paarberaterin Ingrid Strobel. „Man sollte flexibel sein, Empathie aufbringen, geduldig und diszipliniert sein.“ Besonders wichtig seien der „unbedingte Wille, sich auf den Partner einzulassen, und das Bewusstsein, dass Liebe nicht vom Himmel fällt“.
Susanne Wendel brauchte zweieinhalb Jahre, um festzustellen, dass zwischen ihr und ihrem Mann echte Liebe gewachsen war. „Da gab es nicht den einen Moment, in dem das passierte, sondern viele schöne Erlebnisse, die uns zusammengeschweißt haben.“ Der Psychiater M. Scott Peck konstatiert: „Wahre Liebe ist ein Akt des Willens, nicht der Emotion. Wer sich bewusst entscheidet, zu lieben, liebt wirklich.“
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