New York gilt als das Epizentrum des Coronavirus in den USA. Vor allem New York City ist von Covid-19 betroffen: Die Krankenhäuser sind überfüllt, medizinische Ausrüstung ist rar gesät und die Krankenpfleger arbeiten bis zur Erschöpfung - und noch weiter. Doch auch außerhalb der Arbeit ist an Entspannung nicht zu denken. Denn viele nehmen die tragischen Erlebnisse aus dem Krankenhaus mit nach Hause. Eine Krankenschwester aus Manhattan berichtet.
“Am schlimmsten sind die Telefonate mit den Angehörigen. Wenn ich ihnen sagen muss, dass ich traurige Nachrichten habe. Dann hört man nur Schluchzen oder Schreie und kann nichts tun. Und dann muss ich schon wieder auflegen, weil es so viel Arbeit gibt.” Larissa Burka ist 24 und Krankenschwester in der Mount Sinai Klinik in Manhattan. Es ist ihr erstes Berufsjahr. Seit Besucher nicht mehr zu Patienten dürfen, muss sie viele Anrufe entgegennehmen, während sie von einem Kranken zum nächsten hetzt. “Jeden Tag Hiobsbotschaften zu verkünden – so habe ich mir das nicht vorgestellt. Dabei war Krankenschwester immer mein Traumberuf”, erzählt sie FOCUS Online.
"Das Weinen der Menschen am Telefon geht mir nicht aus den Ohren"
Corona hat in New York zugeschlagen wie nirgendwo sonst in Amerika, und Burka arbeitet rund um die Uhr. “Ich habe eine Nachtschicht nach der anderen. Oft schaffe ich es kein einziges Mal auf die Toilette. Wenn ich dann morgens heimkomme und mich hinlegen will, geht mir das Weinen der Menschen am Telefon nicht mehr aus den Ohren.” Schlaf sei nahezu unmöglich. Hin und wieder döst sie ein paar Stunden lang ein, aus schierer körperlicher Erschöpfung.
Abschalten gehe schon lange nicht mehr. Auch die Beziehung zu ihrem Freund sei anders geworden, distanzierter. “Ich fühle mich niemandem mehr nahe oder verbunden, außer meiner Katze. Alles, was ich noch will, sind lange, heiße Duschen – sonst gar nichts.” Wenn sie einen Tag frei hat, versucht sie, sich abzulenken. Aber es sei schwer, die Bilder der Toten zu vergessen und die eigenen Ängste zu verdrängen. “Ich komme einfach nicht runter. Manchmal beruhigt mich Kuchenbacken, aber sonst kann ich mich auf nichts konzentrieren. Lesen geht gar nicht mehr.”
Ebenso schlimm wie die Verzweiflung der Angehörigen zu erleben sei die Angst, sich selbst zu infizieren. “Unsere Stationsleiterin ist an Covid-19 gestorben. Sie hatte sich hier angesteckt. Seitdem herrscht Panik, bei allen liegen die Nerven blank. Zumal wir keine Ganzkörper-Schutzanzüge haben, wie sie in anderen Ländern üblich sind. Manche Kolleginnen sagen, sie halten das nicht mehr aus, wollen alles hinwerfen.” Ältere Schwestern hätten am meisten Angst. “Trotz Gesichtsmasken und Schutzbrillen sieht man ihnen die Anspannungen schon von weitem an.”
"Wut, Trauer und Angst wechseln sich oft ab"
Nur wenige Schwestern trauen sich überhaupt, Missstände in ihren Kliniken laut auszusprechen. Es soll Drohungen gegeben haben, öffentliche Kritik könne einem die Stelle kosten. Doch Burka nimmt kein Blatt vor den Mund. “Unser System ist eine Schande. So viele Menschen hier sind ohne Krankenversicherung. Und auf der anderen Seite gibt es das Concierge-Ärzte-System.”
Dieses System ermöglicht reichen Amerikanern zu jeder Tages- und Nachtzeit Zugang zu Ärzten - per Skype, Telefon oder persönlich. Die Mitgliedschaft dafür allein kann 25.000 Dollar im Jahr betragen, zusätzlich zu den Arztrechnungen und Versicherungskosten. So lassen sich Wall Street-Banker von sogenannten Concierge-Ärzten Corona-Tests in ihre Quarantäne-Villen am Strand bringen. Dies empört zur Zeit viele Amerikaner, zumal Tests für Normalbürger immer noch knapp sind.
“Wut, Trauer und Angst wechseln sich oft ab”, sagt Burka. Auch vor der Pandemie habe es traurige Fälle gegeben. “Doch da konnte man Patienten wenigstens die Hand halten.” Kolleginnen konnten sich nach schweren Schichten zum Trost umarmen. “Das geht alles nicht mehr. Jetzt beten wir gemeinsam, natürlich mit Sicherheitsabstand.”
Wohin man in New York schaut, die Pandemie scheint überall präsent. Von den Fenstern ihrer Station blickt Burka auf die Krankenhauszelte im Central Park. Auch sonst sieht Manhattan vielerorts aus wie ein Kriegsgebiet. Auf den Parkplätzen von Krankenhäusern reihen sich Lastwägen mit gekühlten Leichen. Im Hafen liegt das Militärkrankenhaus-Schiff der Marine.
Der Times Square und die 5 Avenue sind menschenleer.
"Feuerwehrkonzerte sind Lichtblick unserer Schichten"
Doch auf dem Broadway kommt einmal am Tag Leben auf. Als Zeichen der Solidarität mit den Krankenschwestern fuhr hier letzten Freitagabend erstmals eine Kolonne Feuerwehrautos mit Hup-, Blink- und Sirenenkonzerten zur Uni-Klinik der New York University. Das Feuerwehrkonzert war ein Dankeschön an alle Schwestern und Ärzte. So wie Feuerwehrmänner nach dem 11. September zu Helden der Stadt wurden, werden jetzt Krankenschwestern fast wie Heilige verehrt. Das Spektakel kam so gut an, dass die Feuerwehr die Parade nun jeden Abend um sieben wiederholt, vor allen Krankenhäusern der Stadt. “So haben wir doch noch ein bisschen Showbusiness in New York”, freut sich Huneui Lee. Wie viele New Yorker öffnet er jeden Abend um 19 Uhr sein Wohnungsfenster, um den Krankenschwestern der Stadt zu applaudieren. “Diese Feuerwehrkonzerte sind zum Lichtblick unserer Schichten geworden. Es hilft einfach zu wissen, dass man an uns denkt”, sagt Burka. Zum ersten Mal in diesem Gespräch klingt sie heiter.
Und was denken Sie daran ?