Sollen die Leute doch reden: Malinois Ingo und Kauz Poldi verstehen sich wie gute Freunde, auch wenn die Natur das so nicht vorgesehen hat. Wir haben das seltsame Paar besucht.
Poldi ist kaum größer als eine Coladose und wiegt gerade mal 150 Gramm. Ingo bringt gut 180 Mal so viel auf die Waage und könnte ihn mit einem Happs verschlingen. Trotzdem sind die zwei Kumpel. Äußerlichkeiten wie Größe oder Gewicht sind ihnen egal. Auch die Tatsache, dass Poldi ein Steinkauz ist und Ingo ein ausgewachsener Malinois, stört nicht. Schon bei ihrer ersten Begegnung hat es gefunkt.
"Ingo kam als Welpe zu mir", erzählt Tierfotografin und Hobbyfalknerin Tanja Brandt aus Grevenbroich. "Ich hatte immer schon Malinois, ich liebe diese Rasse einfach. Ingo war am Anfang, ehrlich gesagt, gar kein toller Hund. Er wollte nicht gestreichelt werden, hat keinen Kontakt zu anderen Hunden gesucht – und zu Menschen erst recht nicht. Fremde wurden immer erst mal angebrummt. Er war ein richtiger Eigenbrötler."
Eher der coole Typ
Doch das änderte sich, als Brandt vor rund vier Jahren ihre erste Eule aufnimmt: Der braun-graue Steinkauz Poldi ist erst ein paar Wochen alt, als er zu der Fotografin kommt. Wie Ingo zeigt sich auch die kleine Eule mit den stechend gelben Augen misstrauisch gegenüber Fremden. Um die Zuneigung des Vogels zu gewinnen, hält Tanja ihn anfangs viel bei sich im Haus. Dort sitzt Poldi gemütlich auf dem Schreibtisch, als eines Tages Ingo hereinspaziert. "Ich dachte nur, oh je, das war es jetzt. Eulen haben Todesangst vor Hunden. Völlig zu Recht." Aber das befürchtete Drama bleibt aus. Statt sich auf das Federvieh zu stürzen, zeigt sich der große Schäferhund interessiert an dem neuen Mitbewohner. Tanja spürt instinktiv, dass sie ihren Hund nicht zurückzupfeifen braucht. "Ingo kam also herein und schnüffelte. Der Kauz blieb ziemlich gelassen und guckte Ingo einfach nur böse an. Ingo hingegen war total irritiert. Er wusste nicht, was er da vor sich hatte. Ich tat nichts. Ich wollte nicht schreien und ihn hinausschicken. Keiner von beiden sollte hektisch werden. Also habe ich Ingo nur leise gelobt." Vorsichtig nähert sich die neugierige Fellnase dem Kauz, wittert ihn. "Poldi ließ das alles unbeeindruckt über sich ergehen. Er ist eher der coole Typ. Klar, er hat sich ein bisschen groß gemacht und dem Hund in die Nase gezwickt, aber nicht böse. Ingo war richtig beeindruckt."
Von da an ist das Eis gebrochen. Wann immer Tanja nun Poldi in der Voliere besucht, ist der Schäferhund an ihrer Seite. "Er wollte dabei sein, wenn ich Poldi fütterte oder mit dem Kleinen spazieren ging. Er fand das total lustig und hat ziemlich schnell gemerkt, dass er mit im Mittelpunkt stand, wenn er mit dem Kauz zusammen war."
Die kleine Eule berührt etwas in Ingo. Aus dem reservierten Einzelgänger wird über Nacht ein echter Eulenfan. Er trägt Poldi auf dem Kopf, der schläft bei ihm im Körbchen, sucht dort Schutz, sobald ihn etwas verschreckt. Dem Steinkauz gefällt, dass sein Kumpel groß und stark ist. "Poldi hat gemerkt, dass er bei Ingo sicher ist. Und Ingo ist wahnsinnig stolz darauf, sein Beschützer zu sein. Das merkt man ihm an." Wann immer Ingo in der Nähe seines gefiederten Freundes ist, wird aus dem sonst so wilden Malinois ein entspannter, gelassener Rüde. "Poldi war genau das, was Ingo gefehlt hat", sagt Tanja. "Viele Hunde sind glücklich, wenn sie mit anderen Hunden zusammen sein können. Ingo nicht. Er hasst andere Hunde. Er greift sie zwar nicht an, aber man merkt, dass er sie doof findet. Er sucht nie Kontakt zu ihnen oder zu Menschen. Aber er versucht alles, um mit Eulen befreundet zu sein."
In den zurückliegenden Jahren blieb Poldi nicht das einzige Federtier in Tanjas Haushalt. Mittlerweile hat die Hobbyfalknerin neben einem Wüstenbussard auch sieben Eulen. Der sechsjährige Ingo ist mit allen befreundet. "Er hat mit jeder Eule eine andere besondere Beziehung." Sogar das Herz von Schnee-Eule Uschi konnte Ingo erobern. "Schnee-Eulen sind wie alle Eulen nicht sonderlich klug. Es ist ein Irrglaube, dass die Vögel weise sind. Dazu sind Schnee-Eulen auch recht aggressiv", erklärt Tanja. "In freier Wildbahn greifen sie sogar mal einen Eisbären an. Wenn Uschi wollte, könnte sie Ingo ernsthaft verletzen." Doch dem Charme des Belgischen Schäferhunds konnte auch Uschi nicht wiederstehen. "Irgendwann saß Uschi bei mir im Wohnzimmer und hat Ingo böse angefunkelt. Während ich an meinem Schreibtisch saß, sah ich, wie Ingo aufsteht und zu ihr läuft. Ich war fest davon überzeugt, dass Uschi zum Angriff übergeht. Und tatsächlich fauchte sie böse. Aber dann fing Ingo an, immer um sie herumzulaufen. Immer im Kreis. Immer wieder.
Tierfreundschaften sind gar so ungewöhnlich
Irgendwann hörte ich, wie Uschi, beinahe resigniert, ausatmete." Tanja erinnert sich noch gut daran, wie ihr Hund nach zahlreichen Runden abrupt vor der Schnee-Eule stehen blieb, um dann langsam sein Bein zu heben. Nicht etwa um sein Revier zu markieren, sondern um auf hundetypische Art und Weise dem Vogel die Möglichkeit zu geben, an ihm zu schnuppern. "Ich dachte nur, oh nein, Eulen schnüffeln doch nicht an Pullermännern. Uschi war völlig perplex und schaute schockiert drein. Sie sah aus, als würde sie denken: Der ist ja dämlich. Das muss einer von uns sein. Seit diesem Moment klappt das wunderbar mit den beiden."
Mittlerweile darf also jede der Eulen auf Ingos Kopf sitzen oder bei ihm im Körbchen schlafen. Mit Uhu-Dame Klaus-Bärbel schaut Ingo sich auch gerne mal Formel 1 im Fernsehen an. "Die gehen dann bei jeder Kurve in Schieflage. Das ist wirklich zu niedlich." Das engste Verhältnis hat Ingo aber immer noch zu Poldi. "Die Eule zieht Ingo auch mir vor. Mittlerweile hat Poldi zwar eine Partnerin und eine kleine Familie, aber immer wenn er Ingo sieht, ist es, als wenn sich zwei alte Freunde treffen. Eine richtige Männerfreundschaft."
Der amerikanische Verhaltensforscher Marc Bekoff von der University of Colorado hat das Gefühlsleben von Tieren erforscht und weiß, dass Freundschaften im Tierreich zwischen unterschiedlichen Spezies immer wieder vorkommen. "Hunde und andere Tiere führen tiefe und lang währende Freundschaften. Da sind sie nicht anders als Menschen", so der Wissenschaftler. Als der Verhaltensforscher noch Doktorand war, nahm er einen kleinen Fuchs zu Studienzwecken bei sich auf. Es dauerte nicht lange, bis der und Bekoffs Hund Freundschaft schlossen. "Als die beiden sich das erste Mal begegneten, gingen sie aufeinander zu, beschnüffelten sich, mehr war nicht nötig." Die Tiere wurden unzertrennlich, Bekoff spielte nur noch eine Nebenrolle. Dass im Fall von Ingo und Poldi beide Spezies eine andere Sprache sprechen, ist laut Bekoff kein Hindernis für eine enge Bindung. Immerhin schließen auch Menschen mit Hunden Freundschaften, ohne selbst zu bellen. "Tiere benutzen Signale, die beide Individuen verstehen. Viele Zeichen sind ähnlich, zum Beispiel wenn es darum geht, dem anderen zu signalisieren, dass man in Ruhe gelassen werden will."
Zuneigung und Liebe
Ingo hat aber auch gelernt, die Zeichen seiner Eulenfreunde zu verstehen. Er weiß genau, wann Poldi zum Beispiel Trost braucht. "Einmal wurde die Eule von dem Wüstenbussard in der Voliere neben ihm verletzt. Poldi war selbst schuld, er hat seinen Mitbewohner immer wieder provoziert. Die Verletzung am Fuß war minimal, kaum zu sehen. Aber Poldi tat ganz dramatisch, als ob er im Sterben läge. Also habe ich ihn ins Haus geholt und auf eine Decke gesetzt. Ingo legte sich zu ihm." Bei der Erinnerung an diesen Tag muss Tanja lächeln. Denn es sind Momente wie dieser, die ihr zeigen, dass die Zuneigung und Liebe zwischen ihren Schützlingen echt und innig ist. "Ich glaube, das war die Aufgabe, die Ingo fehlte. Er hat seinen Platz bei den Eulen gefunden."
Und was denken Sie daran ?