„Ich war sechs Jahre alt. Der Arzt guckte auf meinen Bauch und fragte spöttisch, ob ich schwanger sei. Seit diesem Moment wusste ich, dass mit mir etwas nicht stimmt.“
Unangenehme bis eindeutig diskriminierende Erfahrungen mit Ärzten begleiten viele übergewichtige Menschen ein Leben lang. Aus Scham und Schuldgefühl behalten sie diese Erlebnisse meist für sich. Erst seit wenigen Jahren erhält das Thema mehr Aufmerksamkeit. Dabei kommt teils Erschreckendes ans Licht:
„Ich hatte starke Schmerzen im Unterleib, Dauerblutungen und quälendes Stechen, das zum Erbrechen führte. Mein Frauenarzt sagte nur: ‘Kein Wunder bei dem Gewicht!’ Einige Arztwechsel später kam heraus, dass meine ganzen Beschwerden von einer Endometriose herrührten“, klagt eine junge Frau, die anonym bleiben will.
Bekannt wurde auch das Beispiel der 17-jährigen Rebecca Hiles, bei der deutliche Symptome von Lungenkrebs gleich von mehreren Ärzten ignoriert wurden. Sie empfahlen ihr als Therapie lediglich, sie solle Hustensaft trinken und abnehmen.
Wieder ein anderer Patient erzählt davon, wie ihn sein Hausarzt mit einem Hexenschuss nach Hause geschickt habe – ohne Krankschreibung und ohne Medikament. Ganz nach dem Motto: Mit seinen zusätzlichen Kilos sei er an seiner Situation schließlich selbst schuld.
Dass das mehr als nur Einzelfälle sind, belegen zahlreiche Studien aus Deutschland und den USA: Vorurteile gegenüber Dicken wirken sich negativ auf die Behandlung aus. Und zwar in mehrfacher Hinsicht, wie die folgenden 5 Gründe, als Übergewichtiger den Arzt zu wechseln, zeigen.
1.) Der Arzt vermittelt dir Schamgefühle
Mediziner haben eine Aufklärungspflicht. Und Übergewicht gilt als Risikofaktor für viele Krankheiten. Doch kommt es darauf an, wie diese Aufklärung vermittelt wird. Übergewichtige registrieren sehr sensibel abwertende Untertöne und Signale: ein Zögern beim Anfassen, ein Kopfschütteln, wenn das Gewicht in die Patientenakte eingetragen wird, eine beiläufige Bemerkung. Aus Scham und Angst vor dem Arzt verzichten sie dann auf Vorsorgeuntersuchungen oder sagen Termine ab.
Das Verhältnis zu deinem Arzt sollte von Vertrauen geprägt sein. Hast du das Gefühl, dass dein Arzt dir mit Ablehnung begegnet, solltest du dir einen neuen suchen. Nur in vertrauensvoller Umgebung kann auch die unterstützende Begleitung einer Gewichtsreduktion erfolgreich sein.
2.) Der Arzt gibt dir die Schuld
Weniger essen, mehr Sport! Solche Ratschläge helfen Übergewichtigen nicht. Der Mythos, dass dicke Menschen für ihr Gewicht ganz allein verantwortlich seien, hält sich jedoch leider auch bei Ärzten hartnäckig. 58 Prozent der Mediziner halten Übergewicht bloß für eine Folge fehlender Willensstärke. „Den Betroffenen wird suggeriert, dass Adipositas vollständig kontrollierbar sei und sie ihr Übergewicht eigenverantwortlich behandeln müssten“, erklärt der renommierte Adipositasforscher Matthias Blüher.
Die Patienten werden moralisch verurteilt und alleingelassen. Was Übergewichtige aber brauchen, sind Ursachenforschung sowie betreute Maßnahmen. Zumal Schuldzuweisungen zu einem Teufelskreis führen: Die Betroffenen glauben irgendwann selbst, dass sie charakterschwach und ablehnungswürdig seien. Sie ziehen sich zurück, fühlen sich elend – und essen erst recht.
Wenn dein Arzt sich nicht für die Gründe und Begleitumstände deines Übergewichts interessiert, sondern dir einfache Lösungen nach Art von „The Biggest Loser“ präsentiert, solltest du ihn schleunigst wechseln.
3.) Dein Arzt sieht nur dein Gewicht
Als Beurteilungsgrundlage, ob jemand krank oder gesund ist, ist der eingeschränkte Blick auf den BMI fragwürdig. Immerhin gibt es durchaus Dicke, die sich vollständig wohlfühlen – und Dünne, denen es nicht so geht. Ein Recht auf unvoreingenommene medizinische Behandlung haben beide.
Viele dicke Patienten erleben jedoch, dass ihre Beschwerden nicht ernst genommen werden. Schnell werden Symptome auf das Übergewicht geschoben und eingehende Untersuchungen unterbleiben. Eine Analyse von 300 Obduktionen ergab, dass bei dicken Menschen sehr viel häufiger Krankheiten übersehen werden als bei normalgewichtigen – darunter auch Krebs- oder Herzleiden.
Hast du den Eindruck, dass für deinen Arzt die Diagnose „Sie sind zu dick“ bereits feststeht, bevor er dich untersucht hat, dann solltest du dir eine weitere Meinung einholen.
4.) Dein Arzt verweigert dir Behandlungen
Mittlerweile ist nachgewiesen, dass Ärzte für die Behandlung von dicken Patienten durchschnittlich weniger Zeit aufwenden als für normalgewichtige. Dabei ist bei ihnen eine intensive Betreuung besonders wichtig! Nicht selten haben Übergewichtige eine frustrierende Odyssee an Diäten hinter sich oder versteckte Depressionen. Manche Ärzte haben jedoch schlicht keinen Ehrgeiz, sich um einen Fall zu bemühen, den sie zum einen für selbst verschuldet und zum anderen für aussichtslos halten. CT-Aufnahmen, Bluttests, Physiotherapie – zahlreiche Behandlungsmethoden werden Übergewichtigen verweigert.
Jeder Patient hat das Recht auf gute Betreuung und geeignete Therapien. Hast du das Gefühl, dein Arzt verweigert dir allein aufgrund deines Gewichts etwas, was dir zusteht, solltest du umgehend eine zweite Meinung einholen.
5.) Dein Arzt unterstützt dich nicht
Fast jeder, der schon einmal eine Diät gemacht hat, kennt den Jo-Jo-Effekt. Je nach genetischer Veranlagung, psychischer Konstitution und sozialer Lage kann das Abnehmen zu einer wirklichen Tortur werden. Therapieprogramme, die Menschen mit Adipositas helfen könnten, gelten bei den Krankenkassen allerdings nicht als Regelleistung.
Umso wichtiger ist die Unterstützung durch den Hausarzt, der die Ursachen und die begleitenden Umstände deines Übergewichts in den Blick nimmt, notwendige Maßnahmen ergreift und eine langfristige Verhaltensänderung begleitet. Denn schließlich kommt es nicht auf schnelle, kurzfristige Erfolge an, sondern auf ein langfristig gesünderes Leben.
Willst du gesund abnehmen, solltest du einen Arzt zurate ziehen, der sich mit der Problematik auskennt und den Weg mit dir gemeinsam gehen will.
Ärzte, die sich dem Thema Übergewicht mit Empathie und Fachwissen widmen, sind leider immer noch keine Selbstverständlichkeit. Dabei ist allein in Deutschland jeder fünfte Erwachsene adipös. Um dir Frust zu ersparen, solltest du frühzeitig auf Anzeichen von Diskriminierung achten. Denn Scham und Schuldgefühle sind Gift für deine Gesundheit. Adipositas-Spezialisten in deiner Nähe findest du hier.
Übrigens: Untersuchungen zufolge fällt Patienten das Abnehmen meist leichter, wenn der Arzt selbst ein wenig übergewichtig ist.
Und was denken Sie daran ?