Früher oder später wird jeder mit dem Verlust eines geliebten Menschen konfrontiert. Dass wir eine gewisse Phase der Trauer durchleben, ist völlig normal. Doch manche Menschen vertiefen sich immer mehr in den erlebten Verlust und können kein normales Leben mehr führen. Dieser Zustand wird als anhaltende Trauerstörung bezeichnet und ist ein ernstzunehmendes Krankheitsbild.
Was ist eine anhaltende Trauerstörung?
Beim Verlust eines Familienmitglieds oder einer nahestehenden Person ist eine Phase der Trauer ganz normal, die nach einiger Zeit jedoch wieder nachlässt. Doch manche Menschen entwickeln in dieser schweren emotionalen Situation eine anhaltende Trauerstörung, auch Prolonged Grief Disorder (PROGRID) genannt. So bezeichnen Psychologen eine psychische Störung, die es den Betroffenen unmöglich macht, aus dem tiefen Loch der Trauer zurück ins Leben zu kehren.
Eine anhaltende Trauerstörung unterscheidet sich deutlich von ähnlichen Krankheitsbildern wie Depression und einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Seit 2018 ist die anhaltende Trauerstörung von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) offiziell in die Liste von Krankheiten und Gesundheitsproblemen, die Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-11), aufgenommen und als Krankheitsbild anerkannt.
Wie häufig es zu einer anhaltenden Trauerstörung kommt, lässt sich bisher schwer sagen. Derzeit geht man davon aus, dass bei etwa drei Prozent der Trauernden tatsächlich eine psychische Störung vorliegt.
Was sind die Ursachen einer anhaltenden Trauerstörung?
Der Auslöser einer anhaltenden Trauerstörung ist fast immer der Verlust eines nahestehenden Menschen. Meist sind es Familienmitglieder aus dem engsten Kreis, Lebenspartner oder enge Bezugspersonen, zum Beispiel
- der Verlust des Kindes,
- der Verlust eines Elternteils in jungen Jahren,
- der Verlust des Partners.
Wird dieser Mensch plötzlich aus dem Leben gerissen, stehen die Angehörigen unter Schock. Denn oft ist ein völlig unerwarteter Todesfall für die Hinterbliebenen schwer zu verkraften und kann zu einer anhaltenden Trauerstörung führen. Doch auch ältere Paare, die seit Jahrzehnten gemeinsam durchs Leben gegangen sind, kommen manchmal mit dem Verlust nicht zurecht und verspüren eine anhaltende Sehnsucht, mit dem Verstorbenen wieder vereint zu sein.
Was sind die Symptome einer anhaltenden Trauerstörung?
Während eine Trauerphase – abhängig vom kulturellen Hintergrund – in der Regel nach einigen Wochen oder Monaten nachlässt, hält sie bei Menschen mit anhaltender Trauerstörung auch über ein halbes Jahr nach dem Todesfall an. Typische Anzeichen sind:
- anhaltende Sehnsucht nach dem Verstorbenen
- Wut und Verbitterung über den Tod
- dauerhafte Einschränkungen in verschiedenen Lebensbereichen (zum Beispiel Arbeit, Familie)
- Verweigerung, den Tod des geliebten Menschen zu akzeptieren
- Vermeidung von Erinnerungen an den Verlust
- Unfähigkeit, wieder ins normale soziale Leben zurückzukehren
- Unfähigkeit, anderen Menschen zu vertrauen
- Emotionale Taubheit
- Gefühl von Einsamkeit
- Gefühl von Sinnlosigkeit des Lebens
Die Betroffenen schaffen es einfach nicht, wieder einem geregelten Alltag nachzugehen und sich mit dem Verlust des geliebten Menschen abzufinden. Bei der anhaltenden Trauerstörung leiden sie gleichzeitig und täglich unter mehreren der genannten Symptome.
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Wie erkennt der Arzt eine anhaltende Trauerstörung?
Im Normalfall dauert die Trauerphase nach einem Todesfall etwa sechs Monate an. Auch wenn die Trauernden noch immer den Schmerz spüren, können sie ihr Leben weiterführen.
Wer sich jedoch auch nach mehreren Monaten nicht mit dem Verlust eines Menschen abfinden kann und sich weiterhin in seiner Trauer vergräbt, sollte sich von einem Arzt untersuchen lassen. Ein geschulter Psychologe ist dafür eine gute Anlaufstelle.
Im Gespräch und durch einige Tests findet der Arzt heraus, ob bei der anhaltenden Trauer eine psychische Erkrankung vorliegt, die behandlungsbedürftig ist. Bei der Untersuchung kann er erkennen, ob es sich tatsächlich um eine anhaltende Trauerstörung handelt oder doch eine andere Krankheit, wie eine Depression oder PTBS, dahintersteckt.
Wie wird eine anhaltende Trauerstörung behandelt?
Die beste Möglichkeit, eine anhaltende Trauerstörung zu behandeln, ist eine Psychotherapie. Als erfolgreich hat sich beispielsweise die Therapie nach der Diplompsychologin Rita Rosner erwiesen, die sich in ihrer Forschung seit über 20 Jahren mit dem Krankheitsbild befasst.
In einer Einzeltherapie werden die Betroffenen in mehreren Schritten langsam aus ihrer Trauer geholt und behutsam auf das „Leben danach“ vorbereitet. Zuerst hilft der Therapeut dabei, sie psychisch zu stabilisieren und zu motivieren, sich neue Ziele im Leben zu setzen. Außerdem erfolgt eine intensive Auseinandersetzung mit dem Todesfall.
Anschließend begleitet sie der Experte dabei, sich wieder in das soziale Leben zu integrieren. Ebenfalls hilfreich ist eine Gruppentherapie, in der Betroffene mit anderen Gleichgesinnten über ihre Erfahrungen und Erlebnisse offen reden können.
Wie kann ich vorbeugen?
Einer anhaltenden Trauerstörung lässt sich nicht vorbeugen, da sie als Reaktion auf einen Todesfall eintritt. Während die meisten Menschen nach einer gewissen Zeit der Trauer wieder in ein geregeltes Leben zurückfinden, leiden Menschen mit einer anhaltenden Trauerstörung ungewöhnlich lange und intensiv unter dem Verlust.
Hier sind Familienmitglieder und Bekannte gefragt: Dauert die Trauerphase länger als sechs Monate an und beeinträchtigt sie das alltägliche Leben des Betroffenen, sollte baldmöglichst eine Therapie erfolgen. Dadurch können sich Betroffene unter fachlicher Anleitung mit dem Verlust auseinandersetzen und schneller wieder in den normalen Alltag zurückfinden.
Wie sind die Heilungschancen bei einer anhaltenden Trauerstörung?
Durch eine gezielte psychotherapeutische Behandlung überwinden die Betroffenen die anhaltende Trauerstörung in den meisten Fällen.
Die Therapie unterstützt die Betroffenen, sich mit dem Verlust zu befassen und neue Motivation im Leben zu finden. Über mehrere Sitzungen hinweg werden sie bei der Trauerbewältigung begleitet, bis sie den Todesfall akzeptiert haben und ihren Alltag wieder alleine bestreiten können.
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