Als Carsten 10 Jahre alt ist, wird er in eine Baugrube geschubst: Eine Rippe ist gebrochen, seine Lippe blutet so stark, dass er kaum Luft bekommt. Die anderen Kinder stehen am Grubenrand und lachen. Da öffnet einer seine Hose und pinkelt herab – die anderen Jungs tun es ihm nach.
Noch Stunden später bleibt Carsten in der Grube liegen. Es ist dunkel, es ist kalt. Aber Carsten will nicht nach Hause. Er will nur sterben. Als seine Mutter ihn später fragt, wie sein Tag war, antwortet Carsten: „Gut.“ In den folgenden Tagen geht er nicht zur Schule, sondern versteckt sich im Keller. Seine Eltern bekommen davon nichts mit.
Carsten Stahl: Was Eltern gegen Mobbing tun können
Carsten Stahl ist inzwischen einer der bekanntesten Kämpfer gegen Mobbing in Deutschland. Seine eigene Leidensgeschichte hat ihn geprägt. Eine Frage beschäftigt ihn dabei besonders: Warum bleibt Mobbing so oft unentdeckt?
Der Anti-Mobbing-Trainer hat dafür mehrere Erklärungen. Viele Eltern seien im Alltag zu beschäftigt, hätten eigene Sorgen und wenig Zeit. Auch würden Eltern die Signale für Mobbing oft nicht erkennen: plötzliche Lustlosigkeit, Bettnässen, ein Abfallen der schulischen Leistungen usw.
In erster Linie bleibe Mobbing aber deswegen so häufig unentdeckt, weil die Kinder nicht von ihren schlimmen Erfahrungen erzählten. Weil sie sich schämten. So wie sich auch Carsten als Kind dafür geschämt hatte, ein „Opfer“ zu sein.
Ohne es zu wollen, würden viele Eltern – und vor allem Väter – den Kindern ein falsches Bild von Stärke vermitteln. Dazu komme, dass Mobbing immer wieder als bloßes Hänseln abgetan werde. Kinder hänselten sich eben, da müsse man durch, das sei ganz normal, heiße es oft.
Doch Carsten Stahl warnt: „Sei keine Petze, sei ein Mann!“ Solche Sätze sollten Eltern niemals sagen. Denn wenn Kinder von klein auf beigebracht bekämen, dass man gefälligst die Zähne zusammenbeißen und Ungerechtigkeiten herunterschlucken solle, dann nehme man Kindern die Möglichkeit, sich Erwachsenen mit dem eigenen Kummer anzuvertrauen.
Kinder, die in der Schule oder an anderen Orten gemobbt würden, hätten oft Angst, in der Gunst der Eltern zu sinken. Die Folge sei, dass die Kinder entweder am Mobbing zugrunde gingen – oder selbst zu Gewalttätern und Mobbern würden. Auch hier spricht Carsten Stahl aus eigener Erfahrung: Er selbst hat eine Karriere als Schläger und Krimineller hinter sich.
Stattdessen rät er Eltern zu einem anderen Weg. „Schaut nicht weg!“, appelliert er. Sobald man als Eltern merke, dass mit dem Kind etwas nicht stimme, solle man auf es zugehen, sich aufgeschlossen zeigen. Wer selbst als Kind Schikanen und Gewalt erfahren habe, solle darüber berichten – das würde dem Kind helfen und Vertrauen stiften.
Auf der anderen Seite sollten Eltern aber auf keinen Fall versuchen, die Probleme selbst in die Hand zu nehmen! Die Täter zu stellen, sei keine Lösung. Schließlich seien Mobber oft selbst Opfer von Gewalt und Demütigung. Wichtig sei es daher, die Spirale des Mobbings zu durchbrechen und Aufklärung zu betreiben:
„Wenn Ihr Kind an der Schule gemobbt wird, gehen Sie zum Lehrer. Und wenn der Sie nicht ernst nimmt, gehen Sie zum Direktor. Und wenn der Sie ignoriert, gehen Sie zur Schulbehörde. Lassen Sie sich nicht abwimmeln!“
Mit der Initiative Camp Stahl geht der Mann mit dem imposanten Auftreten heute an viele Schulen, um mit den Kindern und Jugendlichen über ihre Mobbing-Erfahrungen zu sprechen. Er will zeigen, dass sie nicht allein sind und Mobbing nicht akzeptiert werden darf.
Carsten Stahl ist vom Opfer zum Kämpfer geworden – zu einem Kämpfer, der mit Aufklärung und Ehrlichkeit die Spirale des Mobbings durchbrechen will. Es wäre zu wünschen, dass er mit seiner Botschaft nicht nur die Schüler, sondern auch die Eltern erreicht.
Und was denken Sie daran ?