Dass Supermärkte auf palettenweise Dosen sitzen bleiben, dass Manager von Milliardenkonzernen in Erklärungsnot sind, dass Biertrinken politisch wurde: All das begann mit einem 50-sekündigen Werbeclip auf Instagram. Das ist die Geschichte.
Wer zum Nachbarschaftsgrillen ein kühles Sixpack Bud Light mitbringt, setzt unweigerlich ein Zeichen gegen rechts. Oder für links. Oder hasst sein Land. Oder ist schwul. Dass der Mann auf der anderen Seite des Gartenzauns einfach nur gerne Bier trinkt? Ein Ding der Unmöglichkeit. Denn: In den USA ist Biertrinken politisch geworden. Zumindest, wenn es um Bud Light geht.
Dabei war die Marke bis vor wenigen Monaten noch das Mana der weißen Mittelschicht. Die blauen Dosen waren Teil einer verklärten Identität, gehörten dazu wie Cowboyhüte, Waffenrecht und der Grenzzaun zu Mexiko. Auch nicht ohne Grund war Bud Light seit mehr als einem Jahrzehnt das offizielle Bier der National Football League.
Dann kam der 1. April 2023 – und mit ihm der Anfang vom Ende eines Kulturguts. Der nächste Spatenstich in einem ohnehin tiefen Graben, der das Land spaltet.
Bud-Light-Boykott: Alles begann mit 50 Sekunden auf Instagram
"Beeindruckende Tragekünste, oder?", fragt eine junge Frau mit breitem Grinsen ihre Millionen Social-Media-Follower, während sie fünf Dosen Bud Light auf einem marmornen Tisch abstellt. Sie ist gekleidet wie Audrey Hepburn im Filmklassiker "Beakfast at Tiffany's": schwarzes, ärmelloses Kleid, lange, schwarze Satinhandschuhe, rote Lippen. Und sie tut, was Influencer eben tun: Sie macht Werbung.
Stolz hält sie eine der Dosen in die Kamera, blendet eine andere ein – darauf prangt ihr Konterfei. Bud Light habe ihr damit "das wahrscheinlich beste Geschenk aller Zeiten", gemacht. Dylan Mulvaney ist eine Transfrau.
Den Shitstorm, den Budweiser mit der vermeintlich harmlosen Kooperation lostrat, nahm in den kommenden Wochen und Monaten absurde Ausmaße an. Die Konservativen drehten völlig frei. Auf den sozialen Medien kursieren unzählige Videos, in denen (in der Regel männliche) Nutzer gegen die Marke hetzen, transphobe Memes posten, und in Supermärkten randalieren.
Prominente Rechte riefen zum landesweiten Boykott der Marke auf, ultrakonservative Kommentatoren witterten linke Meinungsmache, einige Republikaner forderten sogar Ermittlungen – Mulvaneys Fangemeinde sei schließlich größtenteils minderjährig. Laut der Nachrichtenwebsite "Vox" sollen Mitte April an mehreren Unternehmensstandorten Bomben gefunden worden sein.
Tiefe Verbeugung vor Rechts
In der Unternehmensführung gaben sie sich reichlich Mühe, den außer Kontrolle geratenen, woken Geist wieder in die Flasche zu stopfen. Eine öffentlichkeitswirksame Rückbesinnung zu den alten Werten sollte das angeknackste Verhältnis zu den konservativen Biertrinkern kitten. Mitte April veröffentlichte Budweiser seinen Versuch einer rechten Kehrtwende. In einem Werbespot galoppiert ein Pferd über staubige Straßen, durch gläsern-glitzernde Metropolen und goldene Felder. Eine tiefe, sonore Männerstimme erzählt den Zuschauern von "einem Bier, tief verwurzelt im Herzen von Amerika". Eine Minute dauert der mit epischer Musik untermalte Ritt, der mehr konservative Klischees bedient als seinerzeit ein Ronald-Reagan-Wahlkampfspot. "Dieses Bud ist für dich", heißt es am Ende. Es fehlt nur noch der Zusatz "… und nicht für die".
Der Gang nach Canossa zeigte Wirkung – zumindest teilweise. Donald Trump Jr. rief das konservative Wahlvolk auf, den Boykott zu beenden; im Mai erteilte auch Trump Senior der Biermarke die Absolution. "Geld spricht – Anheuser-Busch hat das jetzt verstanden", schrieb der Ex-Präsident auf seiner Plattform "Truth Social". Medienberichten zufolge ist Trump selbst Aktionär des Mutterkonzerns von Budweiser. "Wir müssen weiterhin klarstellen, dass es sich um eine Dose, einen Influencer, einen Beitrag und nicht um eine Kampagne handelt", sagte Michel Doukeris, CEO von Anheuser-Busch damals. Das werde man auch noch "eine ganze Weile" klarstellen müssen.
Die nächste Wendung war an Ironie kaum zu überbieten. Weil sich Budweiser bei rechts anbiederte, verlor man links. Am 28. Juni meldete sich Influencerin Dylan Mulvaney erstmals zurück. Sie habe sich bisher nicht getraut, sich äußern, sagt die 26-Jährige in einem emotionalen Instagram-Video. Seit Monaten habe sie Angst, wenn sie das Haus verlasse. Budweiser habe sich nicht bei ihr gemeldet – was aus ihrer Sicht noch schlimmer sei, als sie erst gar nicht zu engagieren. Einfach wegzusehen sei keine Option. Daraufhin riefen Linke zum Boykott von Bud Light auf. Das wiederum dürfte die Brauerei allerdings deutlich besser verkraften – hätte sie denn ihre alten Kunden zurück.
Eine lahmende Cashcow
Die Brauerei hatte vermutlich gehofft, der rechte Gegenwind würde alsbald abflauen. Schließlich hat Empörung in der Regel eine kurze Halbwertszeit. Daraus wurde nichts. Denn heute, drei Monate nach dem schicksalsträchtigen Werbeclip, laufen rechte Köpfe bei der Erwähnung ihres einstigen Lieblingsgesöffs immer noch hochrot an. Entschuldigung hin oder her.
Über mehr als zwei Jahrzehnte war Bud Light das meistverkaufte Bier der USA. Fünf Milliarden Dollar machte der Mutterkonzern Anheuser-Busch im Jahr 2022 mit der Marke – mehr als neun Prozent des globales Umsatzes. Seit Beginn des Boykotts hat Bud Light seine Pole-Position eingebüßt. Mitte Juni war der landesweite Absatz im Vergleich zum Vorjahr um rund 30 Prozent gesunken. Einer Umfrage des britischen Meinungsforschungsinstituts "YouGov" zufolge gehört Bud Light nicht einmal mehr zu den zehn beliebtesten Bieren des Landes. Bei ihm koste die 30er-Packung Bud Light inzwischen nur 8,99 Dollar – billiger als ein Kasten Wasser, erklärt ein Getränkemarktbetreiber aus Pennsylvania Ende Juni der "New York Times" (NYT). Trotzdem wolle kaum jemand das Bier haben.
Rechts konsumiert anders als links. Sie fahren andere Autos, tragen andere Kleidung, schauen andere Filme – und trinken anderes Bier. Vermutlich hatte die Bud-Marketingabteilung gehofft, man könne mit wenig Aufwand am linken Rand fischen ohne dabei die rechte Stammkundschaft zu vergraulen. "Als ich Bud Light übernahm, hatte ich einen klaren Auftrag: 'Diese Marke ist im Niedergang begriffen, und zwar schon seit langer Zeit. Wenn wir keine jungen Leute anlocken, diese Marke zu trinken, wird es keine Zukunft für Bud Light geben'", sagte Alissa Heinerscheid, Vizepräsidentin für Marketing bei Bud Light in einem Podcast im März. Einen Monat später war sie beurlaubt.
Auch an der Börse ging die Hopfen-Meuterei nicht spurlos vorbei. Die Großbank HSBC hatte den Wert der Anheuser-Busch-Aktie im Mai herabgesetzt. Die Bud-Light-Krise stellt den Konzern vor schwerwiegendere Probleme, als die größte Brauereigruppe der Welt zugeben mag. Der Kurs brach zwischenzeitlich um 20 Prozent ein. Der Konzern ist nicht der einzige, der für seine Regenbogenoffensive eine rechte Retourkutsche erhielt. Auch der Wert der Einzelhandelsriesen Target und Kohl's sank seit Anfang April um Milliarden Dollar. Dort ging es vor allem um Produkte mit Regenbogenfarben darauf.
Furcht vor Identitätsdiebstahl
Bleibt eine Frage: Warum? Warum echauffieren sich Millionen Menschen über ein Produkt, zu dessen Konsum sie doch niemand zwingt? Wovor haben sie Angst, wenn eine Transfrau ein paar Dosen Bier in die Kamera hält?
Die Antwort: Der Bud-Light-Boykott ist nicht Ursache, sondern Symptom einer viel größeren Spaltung. Eine Spaltung in zwei Lager, die sich, angefacht von Populisten auf beiden Seiten, unversöhnlich gegenüberstehen. Für die geschundene konservative amerikanische Seele war Bud Light's Kooperation mit Mulvaney nichts anderes als ein Verrat. Ein Verrat von jemandem "auf ihrer" Seite. Sie glauben, man habe ihnen etwas weggenommen, was sie als Teil ihrer Identität verstanden. Der Gedanke: Wenn "die Linken" schon "unser Bier" kapern – was rauben sie uns dann als nächstes? "Nun, Leute, unsere Kultur hat jetzt entschieden, dass Männer Frauen und Frauen Männer sind, und ihr müsst gezwungen werden, Produkte zu konsumieren, die das sagen", sagte der einflussreiche konservative Kommentator Ben Shapiro in einem Youtube-Video, und fasste damit die Angst vieler Boykotteure treffend zusammen.
Budweisers Versuche werden derweil immer verzweifelter. Ende Juni veröffentlichte das Unternehmen eine Werbekampagne mit dem Titel "Das sind wir". Darin zeigen sie einzelne Produktionsschritte – und vor allem die Menschen, die sie durchführen. Der ungeschriebene Untertitel: Denkt doch an die Mitarbeiter, liebe Ex-Kunden! Das sind Leute wie ihr! "Die Diskussion ist zu einer Spaltung geworden, und Bud Light gehört da wirklich nicht hin", sagte Brendan Whitworth, der Nordamerika-CEO von Anheuser-Busch, in einem Fernsehinterview Ende Juni. Doch, ob der Geschäftsführer will oder nicht: Dass seine Cashcow lahmen würde, hätte das Unternehmen voraussehen können. Das Unternehmen habe gegen ungeschriebene "Bar-Regeln" verstoßen, erklärte der Getränkehändler aus Pennsylvania der NYT: "keine Politik, keine Religion". Der Fall Bud Light zeigt: Für Unternehmen wird es immer schwerer, sich im politischen Strudel auf einem Kurs der Mitte zu halten.
Dass Supermärkte auf ihrem Bier sitzen bleiben, dass CEOs von Milliardenkonzernen sich in Erklärungsnot sehen, dass eine Biermarke zum Politikum wird: All das begann mit einem 50-sekündigen Werbeclip auf Instagram. Unter den rechten Wüterichen im April war übrigens auch Musiker Kid Rock. Der postete am 4. April ein Video, in dem er mit einer Maschinenpistole auf einen Stapel Bud-Light-Dosen feuert. Ein symbolträchtiges Argument: Ein US-Kulturgut durchlöchert das andere. Da drängt sich die Frage auf: Was wäre passiert, hätte Dylan Mulvaney eine Neunmillimeter beworben?
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