Den Charakter eines Menschen erkennt man am deutlichsten, wenn die Person betrunken ist oder wenn sie sich in einer Machtposition befindet. Im ersten Fall fallen soziale Hemmschwellen weg und der Mensch handelt ganz nach seinen Impulsen. Im zweiten Fall muss der Mensch keine Konsequenzen für seine Handlungen befürchten – dann zeigt sich, wie er seine Macht benutzen wird.
Auf der Internet-Plattform Reddit berichtete kürzlich jemand, wie sich die Angestellten eines Fahrdienstes gegen das Mobbing durch eine Vorgesetzte zusammentaten. Der Betrieb bot Fahrten speziell für Menschen mit Behinderungen an und hatte seine Zentrale im selben Gebäude, in dem ein mit dem Fahrdienst verknüpftes Projekt für betreutes Wohnen untergebracht war. Die Fahrer des Betriebes und die Betreuer der Bewohner hatten einen gemeinsamen Pausen- und Essensraum. Insgesamt waren es um die 25 Angestellte.
Eines Tages hatte Tom, einer der Teamleiter des Fahrdienstes, Geburtstag und brachte einen Kuchen mit. Tom feierte eine runde Jahreszahl, er wurde 60 Jahre alt. Der Kuchen war etwas ganz Besonderes, eine große, eigens beim Konditor bestellte Geburtstagstorte. Nachdem jeder der Fahrer ein Stück bekommen hatte, war der Riesenkuchen immer noch größtenteils intakt. Also sagte Tom den Betreuern des Heimes, dass sie sich ebenfalls bedienen dürften.
Aber dann kam Karen. Karen war die Sicherheitsbeauftragte des Heimes und sie hasste Tom. Als Karen hörte, dass es eine Geburtstagstorte gebe, schäumte sie vor Wut. Sie sah eine Gelegenheit, Tom den Geburtstag zu ruinieren, und sie zögerte nicht. Also erklärte Karen den Kuchen zum Gesundheitsrisiko. Er enthalte Sahne, das sei nicht zu verantworten, sagte sie. Und warf die Torte weg.
Hunderte von Euro köstlichen Kuchens landeten im Müll. Tom, normalerweise ein sanftmütiger Mensch, war so aufgebracht, dass man ihn zum einzigen Mal in vielen Jahren herumbrüllen hörte. Aber es nützte alles nichts, denn Karen konnte nach eigenem Ermessen so gut wie alles zu einem Gesundheitsrisiko erklären. Die Heimleitung wollte sich nicht einmischen.
Doch Karen hatte von ihrem Machtrausch noch nicht genug. Sie verkündete, dass fortan jedes Essen erst von ihr inspiziert werden müsse. Diese Entscheidung sollte sie noch bereuen. Alle Fahrer mochten Tom und waren wirklich wütend auf Karen, also war es Zeit für etwas passiven Widerstand am Arbeitsplatz. Am nächsten Tag sah sich Karen mit 15 Fahrern konfrontiert, die allesamt an ihre Bürotür klopften und ihr ihr Pausenbrot zur Begutachtung präsentierten. Ständig stand jemand vor ihr und verlangte, dass sie ein paar Fragen zur Gesundheitsverträglichkeit von Mayonnaise und Scheiblettenkäse beantwortete.
Das ging die ganze Woche so. Die Fragen zum aktuellen Brotbelag wurden immer dümmer und immer kreativer. Am Freitag brauchte sie insgesamt über zwei Stunden mit der Brotbetrachtung. Karen beschloss, dass Pausenbrote allgemein erlaubt sein sollten.
Am folgenden Montag hatte keiner der Fahrer ein Pausenbrot mehr dabei. Dafür brachten sie ihr Salate, Kuchenstücke, Brezeln und selbstgekochtes Mittagessen. Jeden Tag der Woche stand eine lange Schlange von Leuten vor Karens Büro, die immer kompliziertere Fragen zur Sicherheit ihres Essens hatten.
Karen verlor langsam, aber sicher die Nerven. Sie wurde immer aggressiver, weigerte sich aber, Tom um Entschuldigung zu bitten. Am Ende der zweiten Woche dann betrat Tom ihr Büro und öffnete einen Plastikbehälter.
Was darin herumschwappte, enthielt Knoblauch, Sahne, eingelegtes Gemüse und Heringe. Tom nannte es eine Fischsuppe, aber Zeugen beschrieben es als etwas, das gestorben sei und zu lange in der Sonne gelegen habe. Es habe widerwärtig ausgesehen und entsetzlich gerochen.
Von Übelkeit geschüttelt, befahl Karen ihm, diese Monstrosität aus ihrem Büro zu entfernen. Seelenruhig bat Tom sie dennoch, seine Suppe zu inspizieren, da vielleicht die Kühlkette unterbrochen worden sei. Er sei sich nicht sicher, ob sie noch genießbar sei.
Das war der Moment, in dem Karen sich geschlagen gab. Sie erklärte alle Essensinspektionen für beendet. In der nächsten Woche brachte Tom eine neue Geburtstagstorte mit.
Wenn man nur wütend genug ist, muss man keine Regeln brechen, um sich gegen einen bösartigen Machtmenschen aufzulehnen. Manchmal reichen auch passiver Widerstand am Arbeitsplatz und eine Schüssel mit wirklich widerlichem Fischeintopf.
Und was denken Sie daran ?