Als sich im Jahr 1986 die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl ereignete, wurden die Menschen rund um den Unglücksort evakuiert. Zurück blieben die Tiere. Wie Forschende nun herausgefunden haben, zeigen sich die Auswirkungen der Strahlenbelastung noch heute in den Genen wild lebender Hunde
Welche Folgen die Langzeitverstrahlung nach dem verheerenden Nuklearunglück von Tschernobyl hat, wird bis heute von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern untersucht. Eine aktuelle Studie liefert nun neue Erkenntnisse über die Auswirkungen auf wild lebende Hunde, die sich heute nahe der Sperrzone aufhalten.
Wie Forschende in der Fachzeitschrift "Science Advances" berichten, unterscheiden sich freilebende Hunde in der Region Tschernobyl genetisch stark von Hunden aus anderen Regionen der Welt. Auch unter den Hunden in der Region Tschernobyl selbst zeigen sich genetisch auffällige Unterschiede – abhängig davon, wie weit die Tiere vom Unglücksreaktor entfernt leben und wie hoch die Strahlenbelastung ist.
Mehr als 300 Hunde rund um Tschernobyl untersucht
Im Rahmen einer Studie hatte ein Forschungsteam um Gabriella J. Spatola vom National Human Genome Research Institute (USA) insgesamt 302 Hunde aus verschiedenen Hundepopulationen in der hochradioaktiv verseuchten Region untersucht. Mittels Blutproben, die eine Forschungsinitiative bereits zwischen den Jahren 2017 und 2019 bei wilden Hunden entnommen hatten, analysierten die Forschenden die genetische Struktur der Tiere aus der von atomarer Strahlung belasteten Region.
Die Forscherinnen und Forscher zielten darauf ab, die verschiedenen Hundepopulationen voneinander zu unterscheiden, die am und in der Nähe des Kraftwerks sowie in Pripyat, der verlassenen Stadt bei Tschernobyl, leben, sagte Elaine Ostrander, leitende Wissenschaftlerin am National Human Genome Research Institute gegenüber Abc News.
Einige der untersuchten Blutproben stammten von Tieren, die etwa 15 Kilometer entfernt vom Reaktor lebten, andere Blutproben kamen von Hunden aus rund 45 Kilometer Entfernung. Die Analysen zeigen: Die 15 verschiedenen Hundepopulationen, die identifiziert wurden, leben in weltweit einzigartigen Strukturen. Sie entwickelten sich in den vergangenen knapp 40 Jahren zu kräftigen Hunderassen und verfügen über eine außerordentlich große genetische Vielfalt – laut dem Forschungsteam ein Hinweis darauf, dass sich die Hunde-Familien aus den nahen und weiter entfernten Gegenden in der Sperrzone von Tschernobyl bewegen und vermischen.
Den Forschenden zufolge haben die Hunde in der Stadt Tschernobyl einen Hintergrund aus Boxern und Rottweilern, die Vierbeiner im nahegelegenen Ort Slawutytsch würden hingegen mehr Labrador-Retriever in sich tragen. Zudem zeigten die untersuchten Hunde rund um Tschernobyl viele Erkrankungen, die zuvor schon bei menschlichen Überlebenden der Atombombenabwürfe in Japan während des Zweiten Weltkriegs beobachtet worden waren. Dazu zählten beispielsweise Katarakte (Grauer Star) – die empfindlichen Augen sind häufig die ersten Organe, die Anzeichen einer längeren Exposition gegenüber atomarer Strahlung zeigen.
Die Forschung ist insofern spannend, weil sie dabei hilft, die biologischen Grundlagen des Überlebens von Tieren und letztlich auch von Menschen in Regionen mit hoher anhaltender Strahlenbelastung zu verstehen. Dafür sei die aktuelle Untersuchung laut den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aber nur ein erster Schritt, "um Mutationen zu identifizieren, die aus historischen und andauernden Strahlenbelastungen resultieren."
Genetische Vielfalt der Hunde birgt Chancen
In einem nächsten Schritt wollen die Forschenden die Auswirkungen der Strahlung auf die Gene der Hunde genauer betrachten und herausfinden, wie genau die genetische Entwicklung der jüngeren Generationen der Hunde von Tschernobyl aussah, die in dieser Zeit in der Gegend überlebt haben. Denn obwohl bereits bekannt ist, dass die Exposition gegenüber ionisierender Strahlung die genetische Mutation bei verschiedenen Tier- und Pflanzenarten erhöht, ist laut der Studie aber noch immer unklar, wie sich dies auf eine größere Populationsebene auswirken könnte.
Die einzigartige genetische Vielfalt der Hunde in der Region Tschernobyl mache die Tiere zu idealen Kandidaten für geplante zukünftige Studien, in denen die Veränderungen durch die dauerhafte Strahlung über 15 Generationen hinweg untersucht werden sollen und um die langfristigen genetischen Effekte hochradioaktiver Umgebungen auf Populationen großer Säugetiere herauszufinden, so die Forschenden. Diese Erkenntnisse könnten dabei helfen, die biologischen Grundlagen des menschlichen Überlebens in Regionen mit einer kontinuierlich hohen Strahlenbelastung zu verstehen.
Langfristig kann sich das Forschungsteam auch eine weitergehende Erforschung der Auswirkungen der Strahlung in der Nähe des Reaktors von Tschernobyl vorstellen. So sei zum Beispiel die Einrichtung eines Labors direkt innerhalb des Schutzmantels des zerstörten Reaktors denkbar. Dort sollten dann jedoch keine Tiere, sondern Zellkulturen und Pflanzen gezüchtet und analysiert werden.
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