Der Präsident steht ohne Hausmacht da und die politischen Fliehkräfte rechts und links im Parlament triumphieren. Die Menschen in Frankreich haben es ihren Politikern bei der Wahl zur Nationalversammlung nicht einfach gemacht. Wie geht es nun weiter?
Das hatte sich Präsident Emmanuel Macron wohl anders vorgestellt: Nach der Parlamentswahl in Frankreich ohne absolute Mehrheit für den Präsidenten steht das politische System des Landes vor einer Bewährungsprobe. Macron muss angesichts herber Mandatsverluste mit seinem Mitte-Lager in der Nationalversammlung Partner für eine Regierungsmehrheit suchen. Die nach dem Wahlergebnis deutlich gestärkten Parteien am linken und extrem rechten Rand werden auf mehr Einfluss pochen und auf einen harten Oppositionskurs einschwenken. Möglicher Partner des Macron-Lagers könnten die bürgerlich-konservativen Républicains werden, wobei das noch längst nicht ausgemacht ist.
Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis kam das Macron-Lager auf 245 der 577 Sitze. Das neue linke Bündnis Nupes, angeführt von Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon, erzielte 131 Sitze im Parlament und wird damit stärkste Oppositionskraft. Für die absolute Mehrheit wurden mindestens 289 Sitze benötigt. "Backpfeife", titelte die linksgerichtete Zeitung "Libération" am Montag.
Macron steht ohne eigene Mehrheit da
Von den 15 Regierungsmitgliedern, die bei der Wahl angetreten waren, verloren einige die Stichwahl und müssen ihren Kabinettsposten räumen, unter ihnen Umweltministerin Amélie de Montchalin und Gesundheitsministerin Brigitte Bourguignon. Es wird damit gerechnet, dass Macron in Kürze das Kabinett umbildet.
Erstmals seit mehr 30 Jahren steht der französische Präsident nun ohne absolute Parlamentsmehrheit da und muss mit seiner Regierung auf die Unterstützung anderer Lager bauen. Ein Regieren mit Koalitionen über das eigene politische Lager hinweg sowie mit Kompromissen ist in Frankreich weniger üblich als in Deutschland. Für eine mögliche Koalition oder Zusammenarbeit muss die Präsidentenpartei nun auf mögliche Partner im Parlament zugehen.
"Sind wir enttäuscht? Ja", sagte Regierungssprecherin Olivia Grégoire nach der zweiten Runde der Parlamentswahl. Das Wahlbündnis von Macron sei weiterhin "die erste politische Kraft", habe aber an Stärke verloren, räumte sie ein. "Das ist weit entfernt von dem, was wir uns erhofft hatten", räumte Haushaltsminister Gabriel Attal ein.
Rechtsnationaler Rassemblement National mit Zugewinnen
Präsident Macron sei aber "weiter entschlossen zu handeln und voranzuschreiten im übergeordneten Interesse der Französinnen und Franzosen", hieß es aus dem Umfeld des Staatschefs, wie der Sender BFMTV in der Nacht zum Montag berichtete. Die Ergebnisse seien im Élyséepalast als "enttäuschend" aufgenommen worden, "stellen aber das Ergebnis der Präsidentschaftswahl nicht infrage, und auch nicht, dass das Präsidentenlager führt". Die Frage sei, wie es jetzt weiter gehen werde. Ein Rezept dafür gibt es nicht.
Starken Zuwachs erzielte die rechtsnationale Partei Rassemblement National, deren Spitzenkandidatin Marine Le Pen in der Endrunde der Präsidentschaftswahl Macron unterlegen war. Sie kam auf 89 Sitze, gut elf Mal so viel wie bisher, und wird damit drittstärkste Kraft im Parlament. Eine eigene Fraktion hatte die Vorgängerpartei Front National unter verändertem Wahlrecht zuletzt 1986 gebildet. Die bisher stärkste Oppositionskraft im Parlament und traditionelle Volkspartei der Republikaner kam samt Verbündeten auf 74 Sitze, ein kräftiger Verlust. Die Wahlbeteiligung erreichte mit 46,23 Prozent einen Tiefpunkt.
Frankreich: "Debatten werden heftiger werden"
Premierministerin Élisabeth Borne will sich nun um eine mögliche Koalition bemühen. "Als zentrale Kraft in der Nationalversammlung müssen wir eine besondere Verantwortung übernehmen. Wir werden ab morgen daran arbeiten, eine handlungsfähige Mehrheit aufzubauen", sagte Borne am Sonntagabend in Paris. "Wir haben alles, was wir brauchen, um erfolgreich zu sein, und wir werden es gemeinsam schaffen."
"Heute Abend haben wir eine neuartige Situation", sagte Borne zum Verlust der absoluten Mehrheit in der Nationalversammlung. Diese Lage sei ein Risiko für das Land angesichts der Herausforderungen im Inland und international. Aber das Ergebnis müsse man respektieren und mit Verantwortung handeln. "Die Franzosen rufen uns auf, uns im Interesse des Landes zu einen."
Zugleich benannte die Premierministerin Prioritäten der künftigen Regierung. Ab dem Sommer solle es starke und konkrete Maßnahmen zur Stärkung der Kaufkraft der Franzosen geben. Das Streben nach Vollbeschäftigung sowie der ökologische Wandel ständen oben an, das Schul- und Gesundheitswesen müssten verbessert werden. Weitere Prioritäten seien die Souveränität Frankreichs im Energiesektor und dem Lebensmittelbereich. "Ich vertraue in unser Land", sagte die Premierministerin.
"Es müssen für jedes Projekt neue Koalitionen gefunden werden", sagte der Politikwissenschaftler Etienne Ollion der Nachrichtenagentur AFP. "Die Debatten werden heftiger werden", sagte er.
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