Ein stabiles Selbstwertgefühl ist eine wesentliche Voraussetzung für eine gesunde Psyche. Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung haben damit große Schwierigkeiten. Starke Minderwertigkeitsgefühle verbergen sie unter einer Fassade aus Selbstsicherheit, Arroganz und Gefühlskälte. Wir erklären, welche Ursachen und mögliche Therapien bei Narzissmus infrage kommen.
„Ich bin toll – bewundert mich!“ könnte das Lebensmotto eines Narzissten lauten. Narzissten geben sich extrem selbstbewusst, denn sie sind überzeugt: Wer mit so vielen Qualitäten punkten kann wie sie, hat Anerkennung einfach verdient.
Der Begriff des Narzissmus wurde von Sigmund Freud in die Psychologie eingeführt. Namensgeber war Narziss: Der junge Mann aus der antiken Mythologie verliebt sich in sein Spiegelbild – so sehr, dass er sich davon nicht mehr abwenden kann. Selbstliebe und das Bild, das ein Mensch von sich selbst hat, spielen daher bei Narzissmus eine wichtige Rolle.
Was ist Narzissmus eigentlich genau?
Grundlegendes Problem eines Narzissten ist sein Selbstwertgefühl.
Selbstwertgefühl: Stellt ein Mensch bestimmte Eigenschaften an sich fest, bewertet er sie: „Ich bin zuverlässig. Das ist gut.“ Oder: „Ich bin undiszipliniert. Das ist schlecht.“ Diese Urteile über sich selbst bilden zusammengenommen sein Selbstwertgefühl. Um sich wohlzufühlen, braucht jeder Mensch ein positives, intaktes Selbstwertgefühl.
Das Selbstwertgefühl einer narzisstischen Persönlichkeit ist grundlegend gestört – und das beeinflusst maßgeblich ihr Verhalten: Der von Narzissmus Betroffene lehnt sich innerlich eigentlich ab. Das versucht er auszugleichen, indem er sich nach außen hin überhöht darstellt.
Damit diese Kompensationsstrategie auf Dauer funktioniert, braucht der Narzisst andere Menschen – nicht, um eine echte Beziehung zu ihnen aufzubauen, sondern um seine vermeintlichen Großartigkeit durch sie bestätigen zu lassen. Gelingt ihm das, herrscht in seinem Inneren ein Widerspruch: Er hat einerseits Minderwertigkeitsgefühle, andererseits aber auch das Gefühl, großartig zu sein.
Man geht davon aus, dass nur etwa 0,5 bis 2,5 Prozent der Deutschen tatsächlich eine narzisstische Persönlichkeit haben. Allerdings schätzen Psychologen die Zahl derer, bei denen Narzissmus in Grundzügen vorliegt, weitaus größer ein.
Merkmale einer narzisstischen Persönlichkeit
Im Alltag wird der Politiker mit Hang zur Selbstdarstellung oder die gegen jede Selbstkritik immune Chefin schnell als „narzisstisch“ bezeichnet. Doch Narzissmus hat viel mehr Dimensionen als die, die nach außen hin wahrnehmbar sind.
Das sind die Anzeichen einer narzisstischen Persönlichkeit:
- extrem labiles Selbstwertgefühl, verbunden mit hoher Verletzlichkeit
- Gefühl innerer Leere
- Unfähigkeit, Gefühle zu empfinden – vor allem Trauer, Sehnsucht oder Freude
- Extreme Ich-Bezogenheit
- Übergroßer Ehrgeiz und Perfektionismus
- Das Bedürfnis, andere zu kontrollieren und Macht auszuüben
- Der eigene Anteil an Problemen wird nicht wahrgenommen, äußere Umstände werden verantwortlich gemacht
- Kein Interesse an anderen Menschen
- Unfähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen (Empathielosigkeit)
- Gefühle von Allmacht, Unfehlbarkeit und Allwissenheit
- Übersteigertes Bedürfnis, von anderen anerkannt und bewundert zu werden
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Narzisstische Persönlichkeiten leiden häufig unter diesen körperlichen Beschwerden:
- Schlafprobleme
- Kopfschmerzen
- funktionelle Herzbeschwerden
- Störungen der Sexualfunktionen (zum Beispiel Erektionsprobleme oder Verlust der Libido)
- Erschöpfungssyndrom aufgrund von übersteigertem Ehrgeiz und zu hohen Ansprüchen an sich selbst
Süchtig nach Anerkennung und anfällig für Aggression
Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung können sehr gewinnend und charmant sein – vor allem, wenn sie damit ein Ziel verfolgen. Durch ihren Ehrgeiz und ihr selbstbewusstes Auftreten sind sie im Beruf häufig erfolgreich. Sie erreichen dadurch Positionen, die es ihnen ermöglichen, die ersehnte Anerkennung und Bewunderung zu erhalten. Auf diese Weise gelingt es vielen Narzissten im Alltag gut zurechtzukommen.
Bleibt die notwendige Anerkennung jedoch eine Zeit lang aus oder werden sie gar von anderen zurückgewiesen, reagieren Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung häufig mit Wutanfällen und aggressivem Verhalten. Spätestens dann bröckelt ihre charmante Fassade.
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Narzissten sind außerdem Schwarz-Weiß-Seher. Sie bewerten andere und sich selbst entweder als gut oder schlecht, ein Nebeneinander von guten und schlechten Eigenschaften in einer Person gibt es für sie nicht. Wer heute in der Gunst eines narzisstischen Menschen steht, kann morgen schon in Ungnade fallen. Aus demselben Grund ist für einen Narzissten die Kritik anderer immer auch eine Abwertung seiner ganzen Person. Auch er wertet andere immer in ihrer ganzen Persönlichkeit ab.
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Was sind mögliche Ursachen von Narzissmus?
Man geht davon aus, dass der Grundstein für die narzisstische Persönlichkeitsstörung in der Kindheit gelegt wird – meist zwischen dem vierten und siebten Lebensjahr:
Das Kind erhält keine oder nicht ausreichend Zuwendung durch seine Eltern oder andere Bezugspersonen. Als Reaktion darauf versucht es, das Bedürfnis danach abzustellen – was ihm nur gelingt, wenn es die Wahrnehmung der eigenen Gefühle „dimmt“ und schließlich ganz abstellt.
Häufig ist die Atmosphäre in der Familie angespannt und das Verhalten der Erwachsenen widersprüchlich: Heute wird verlangt, was gestern noch abgelehnt wurde, und umgekehrt. Das macht es dem Kind schwer, sein Verhalten an stabilen Maßstäben zu orientieren. So handelt es schließlich immer der jeweiligen Situation entsprechend – und wird zum Taktierer und geschickten Strategen.
Häufig wird auch das Bedürfnis des Kindes nach Unterstützung nicht erfüllt und es muss Situationen ohne die Hilfe eines Erwachsenen bewältigen. Um die Enttäuschung darüber nicht übergroß werden zu lassen, baut es eine Fassade aus Selbstsicherheit auf, ist im Inneren aber extrem unsicher und verletzlich. Als Erwachsene können es diese Kinder später kaum ertragen, von anderen emotional oder materiell abhängig zu sein – zu groß ist die Gefahr der Zurückweisung und Verletzung.
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Ist Narzissmus behandelbar?
Narzissten verspüren meist keinen Leidensdruck, solange ihre Kompensationsstrategien tragen. Meist strapaziert ihre Persönlichkeitsstörung mehr ihr Umfeld als sie selbst. Entsprechend selten werden sie bei einem Psychotherapeuten vorstellig. In manchen Fällen kommt es jedoch zur sogenannten narzisstischen Krise: Das Ende einer Beziehung, eine Krankheit oder eine Kündigung führen dazu, dass das narzisstische Weltbild zusammenbricht. Dann werden Narzissten ihre inneren Defizite wie emotionale Leere und Freudlosigkeit bewusst.
Hinzu kommt: Narzissten sind anfällig für Süchte. Zwar geben sie sich meist der Illusion hin, ihre Sucht „im Griff“ zu haben – scheitern daran jedoch früher oder später. Begeben sie sich schließlich in eine Psychotherapie, wird dort vor allem versucht, ihre Fähigkeit zu verbessern, sich in andere Menschen hineinzuversetzen (Empathie). Außerdem sollen sie lernen, echte Beziehungen zu ihnen aufzubauen.
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Durch therapeutische Unterstützung soll es Narzissten nicht zuletzt gelingen, ihr Selbstwertgefühl zu stabilisieren – vor allem, indem sie die Ursachen ihrer Minderwertigkeitsgefühle erkennen und diese anschließend überwinden. Inwieweit die Therapie jedoch erfolgreich ist, hängt stark vom Einzelnen ab, seinem Vertrauensverhältnis zum Therapeuten und seiner Bereitschaft zur Veränderung.
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