Beim Eritrea-Fest in Gießen ist es zu gewaltsamen Zusammenstößen gekommen. Aber was ist das überhaupt für ein Fest? Und warum findet es in Gießen statt? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Bei Ausschreitungen am Rande des umstrittenen Eritrea-Festivals in Gießen sind am Wochenende 26 Polizisten verletzt worden. Gegner der Veranstaltung attackierten am Samstag Beamte mit Stein- und Flaschenwürfen und zündeten Rauchbomben. Sie durchbrachen Absperrungen und versuchten, auf das Festivalgelände zu gelangen. Die Polizisten setzten Pfefferspray und Schlagstöcke ein. Auch in der Stadt kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei. Am Sonntag blieb die Lage friedlich.
Was ist das Eritrea-Festival?
Nach Angaben des Auswärtigen Amts leben etwa 70.000 eritreische Staatsangehörige in Deutschland. Der Bundeszentrale für politische Bildung zufolge versucht die eritreische Regierung, mit einer Auslandsjugendabteilung junge Eritreer im Ausland zu beeinflussen und unter anderem bei Festivals Spenden zu sammeln.
Warum findet es in Gießen statt?
Das Festival war nach Angaben der Stadt vor mehr als zehn Jahren von Frankfurt nach Gießen gezogen, wohl wegen der zentralen Lage der mittelhessischen Stadt und der für das Fest geeigneten Halle, die außerhalb der Innenstadt liegt.
Wer veranstaltet das Festival?
Veranstalter des Festivals ist der Zentralrat der Eritreer in Deutschland, der wegen seiner Nähe zu dem Regime in dem Land am Horn von Afrika als umstritten gilt.
Wie ist die Lage in Eritrea?
Eritrea mit seinen rund drei Millionen Einwohnern liegt im Nordosten Afrikas am Roten Meer und ist international weitgehend abgeschottet. Seit einer in einem jahrzehntelangem Krieg erkämpften Unabhängigkeit von Äthiopien vor 30 Jahren regiert Präsident Isayas Afewerki in einer Ein-Parteien-Diktatur das Land. Parteien sind verboten, die Meinungs- und Pressefreiheit sind stark eingeschränkt. Es gibt weder ein Parlament noch unabhängige Gerichte oder zivilgesellschaftliche Organisationen. Zudem herrscht ein strenges Wehrdienst- und Zwangsarbeitssystem, vor dem viele Menschen ins Ausland fliehen.
Auch Menschenrechtsorganisationen haben wiederholt von schweren Missständen berichtet. Die Menschenrechtsorganisationen Human Rights Watch etwa warf dem Land im Februar vor, für die Unterstützung der Regierungstruppen in der nordäthiopischen Region Tigray tausende Menschen, unter ihnen Minderjährige, zum verpflichtenden Militärdienst eingezogen zu haben. Viele Menschen flüchten aus Eritrea, um beispielsweise dem langen Wehrdienst zu entgehen.
Was sagt der Veranstalter dazu?
Der Veranstalter bestreitet, dass auf der Veranstaltung Propaganda für die Regierung des ostafrikanischen Landes verbreitet werde. Dieser Vorwurf sei völlig haltlos, sagte Oton Johannys Russom vom Vorstand des Zentralrats der Eritreer in Deutschland am Samstag. Auch die Behauptung, Generäle würden bei dem Festival auftreten, stimme nicht. "Das sind keine Generäle, das sind normale Menschen aus Eritrea. Warum sollten hier Generäle kommen?"
Das Festival bestehe aus kulturellen Veranstaltungen wie Musik und Literatur. "Das ist ein Begegnungszentrum für alle Eritreer, die ihre Erfahrungen austauschen", sagte Russom. Die Eritreer seien seit den 1980er Jahren eine große Gemeinde in Deutschland, mittlerweile in zweiter und dritter Generation. "Wir sind ein Teil Deutschlands, wir sind Deutsche, aber wir stammen aus Eritrea." Wenn suggeriert werde, dass sie Ausländer seien, sei dies struktureller Rassismus.
Warum durfte das Fest stattfinden?
Schon im August 2022 war es bei der vorangegangenen Veranstaltung zu gewaltsamen Ausschreitungen mit verletzten Besuchern und Polizisten gekommen. Die Stadt Gießen hatte vergeblich versucht, gerichtlich ein Verbot des Festivals durchzusetzen, auch weil die Polizei zuvor Kenntnis bekommen hatte, dass womöglich gewaltbereite Störer anreisen würden. Am Samstag waren mehr als 1000 Polizisten in Gießen im Einsatz, zwischenzeitlich wurden weitere Kräfte aus ganz Hessen alarmiert. Auch ein Wasserwerfer stand bereit.
Das Polizeipräsidium Mittelhessen wies darauf hin, dass unmittelbar nach der Anmeldung der Veranstaltungen mit Vorbereitungen begonnen worden sei, in die auch die Erfahrungen der Vorgänger-Veranstaltung im vergangenen August eingeflossen seien. In diesem Jahr habe es in sozialen Medien Aufrufe gegeben, das Festival gewaltsam zu verhindern, die sich gegen Besucher der Veranstaltung sowie gegen die Polizei gerichtet hätten. Bei Beratungen mit der Stadt habe man die Gefahrenprognose im Zuge der Anreise gewalttätiger Störer auch aus dem europäischen Ausland skizziert. "Die polizeiliche Gefährdungslagenbewertung wurde durch den Verlauf des gestrigen Tages leider bestätigt", so die Polizei.
Wie viele Verletzte gab es?
26 Polizeibeamten wurden verletzt, davon erlitten sieben schwerere Verletzungen wie einen Knochenbruch, offene Schürfwunden und Bänderrisse. Es sei nicht bekannt, dass Besucher oder Gegner der Veranstaltung schwerer verletzt worden seien oder unbeteiligte Dritte Verletzungen erlitten hätten, teilte die Polizei mit.
Wie reagiert die Politik auf die Eskalation?
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verurteilte die Gewalt. Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) forderte die Bundesregierung auf, den Botschafter des Landes einzubestellen. "Der eritreischen Regierung muss deutlich gemacht werden, dass eritreische Konflikte nicht auf deutschem Boden ausgetragen werden dürfen", sagte er am Samstag. "Unsere Polizistinnen und Polizisten sind nicht der Prellbock für Konflikte von Drittstaaten."
Der Parlamentsgeschäftsführer der CDU/CSU im Bundestag, Thorsten Frei, forderte ein "Ende der Naivität in der Migrationspolitik". Er sagte der DPA: "Wer ungesteuerte Migration akzeptiert oder - wie die Grünen - sogar regelmäßig befördert, sollte sich über die Konsequenzen nicht wundern." Der AfD-Vizevorsitzende Stephan Brandner kritisierte, dass das Eritrea-Festival in Deutschland stattfinden dürfe. "Die Diktatur möge sich selbst in Eritrea feiern. So etwas hat in unserem Land nichts verloren."
Die innenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im hessischen Landtag, Heike Hofmann, sprach sich dafür aus, nicht nur das Sicherheitskonzept, sondern den Fortbestand des Festivals insgesamt kritisch zu hinterfragen. Es stelle sich die Frage, "ob die als "Familienfest" deklarierte Veranstaltung, die von Kritikerinnen und Kritikern als Propagandaveranstaltung des diktatorischen Regimes in Eritrea eingeordnet wird, noch einmal stattfinden" könne.
Auch der Gießener Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher (SPD) fordert eine Aufarbeitung. "Die Bilder, die aus unserer Stadt am Wochenende durch die Welt gingen, sind unerträglich", wurde Becher in einer Mitteilung der Stadt zitiert. Tausende Unbeteiligte seien in ihrem alltäglichen Leben mehr als einen ganzen Tag massiv eingeschränkt worden. "Man muss angesichts dessen tatsächlich die Frage stellen: Stehen diese Einschränkungen noch im richtigen Verhältnis zu dem Wunsch des Veranstalters, ein Fest zu feiern? Diese Frage gehört auf allen Ebenen - politisch wie juristisch - aufgearbeitet."
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