Es beginnt mit einem Taubheitsgefühl in den Armen oder Beinen, das sich zu einer Lähmung der kompletten Muskulatur steigern kann: Lesen Sie, woran Sie das seltene Guillain-Barré-Syndrom erkennen, wie es behandelt wird und wie die Heilungschancen stehen.
Was ist das Guillain-Barré-Syndrom?
Das Guillain-Barré-Syndrom ist laut Definition eine entzündliche Erkrankung des Nervensystems. Die Patienten klagen über ein Kribbeln und Lähmungserscheinungen in Armen und/oder Beinen, welche sich im Verlauf der Krankheit immer weiter Richtung Kopf und Rumpf ausbreiten. Hinter diesen auf- bzw. absteigenden Lähmungen steckt eine Fehlreaktionen des Immunsystems, bei der körpereigene Immunzellen die Nervenbahnen angegriffen werden.
Warum diese Autoimmunreaktion auftritt, ist noch nicht vollständig geklärt. Es scheint aber in vielen Fällen einen Zusammenhang mit einer vorangegangenen Viren- oder Bakterieninfektion zu geben. Benannt wurde das Guillain-Barré-Syndrom nach den beiden Erstbeschreibern, den französischen Neurologen Georges Charles Guillain und Jean-Alexandre Barré. Sie beobachteten die Erkrankung erstmals im Jahr 1916 bei zwei Soldaten. Geläufig sind für dieses Krankheitsbild auch die Abkürzung GBS, der erweiterte Name Landry-Guillain-Barré-Strohl-Syndrom sowie die Bezeichnung idiopathische Polyradikuloneuritis.
Inzwischen sind verschiedene Subtypen des Guillain-Barré-Syndroms bekannt, es gibt leichte und schwere Formen. In Europa ist die akute inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie, kurz AIDP, mit Abstand am häufigsten. Auch eine chronische Form ist möglich. Jährlich erkranken in Deutschland ein bis zwei Menschen pro 100.000 Einwohner am Guillain-Barré-Syndrom. Grundsätzlich kann die Krankheit in jedem Alter auftreten, auch bei Babys und Kindern. Gehäuft wird das GBS jedoch bei Menschen im mittleren oder höheren Lebensalter beobachtet. Frauen sind etwas seltener betroffen als Männer. Der ICD-10-Code für das Guillain-Barré-Syndrom lautet G61.0.
Was sind die Ursachen des Guillain-Barré-Syndroms?
Das Guillain-Barré-Syndrom ist die Folge einer Entgleisung des Immunsystems: Körpereigene Abwehrzellen greifen die Ummantelung von Nervenwurzeln und Nervenbahnen an. Wie es zu dieser Fehlsteuerung kommt, ist derzeit nicht bekannt.
Allerdings berichten drei Viertel der Patienten, vor dem Auftreten des Guillain-Barré-Syndroms an einem Infekt gelitten zu haben, etwa an einer Atemwegs- oder Magen-Darm-Infektion. Sieben bis zehn Tage nach der Infektion treten dann die ersten Symptome des GBS auf. Die Vermutung: Der Körper hat Antiköper gegen die Krankheitskeime gebildet, deren Oberflächenstruktur der der Nervenhüllen ähnelt. Nachdem der Patient bereits genesen ist, befinden sich diese Abwehrzellen immer noch im Körper. Sie greifen nun die Markscheiden der Nervenwurzeln und die Nervenbahnen an – es handelt sich also um autoaggressive Zellen.
Infektionen, die einem Auftreten des Guillain-Barré-Syndroms vorausgehen können, sind beispielsweise eine Erkältung, Durchfall, Mumps, Borreliose, Gürtelrose und Pfeiffersches Drüsenfieber. Auch eine Infektion mit dem Zika-Virus kann das GBS nach sich ziehen. Bisweilen sind es andere Stresssituationen, etwa eine Schwangerschaft oder eine Operation, die vor dem GBS stehen. Nach Impfungen, etwa gegen Grippe oder Tetanus, wurde das Guillain-Barré-Syndrom ebenfalls bereits beobachtet. Gut zu wissen: GBS ist nicht vererbbar und nicht ansteckend.
Was sind die Symptome des Guillain-Barré-Syndroms?
Zu den ersten Anzeichen des Guillain-Barré-Syndroms gehören Glieder- und Rückenschmerzen und Muskelkrämpfe, auch ein Gefühl der Erschöpfung ist möglich. Später kommen Missempfindungen in den Gliedmaßen, Sensibilitätsstörungen und eine fortschreitende Muskelschwäche hinzu. Arme und/oder Beine fühlen sich taub an.
Die Lähmungserscheinungen breiten sich innerhalb weniger Stunden bis zu einigen Tagen in Richtung Körperstamm aus und werden immer schlimmer. Die Dauer dieser Phase beträgt zwei bis drei Wochen, dann erreicht der Krankheitsverlauf ein Plateau: Die Symptome bleiben über einige Tage oder Wochen hinweg unverändert bestehen, bevor sie sich in vielen Fällen von selbst langsam zurückbilden.
Dennoch handelt es sich beim Guillain-Barré-Syndrom um einen medizinischen Notfall, der im Krankenhaus behandelt werden muss. Es drohen schwere Komplikationen, beispielsweise können die Atmung und das Herz-Kreislauf-System durch die Lähmung in Mitleidenschaft gezogen werden. Ein Fünftel aller Betroffenen muss zweitweise künstlich beatmet werden. Und: Durch die Muskellähmung wird der Patient unbeweglich. Es besteht deshalb das Risiko, dass sich ein Blutgerinnsel bildet und eine lebensgefährliche Lungenembolie auslöst. Eine Sonderform des Guillain-Barré-Syndroms ist das Miller-Fischer-Syndrom: Hier sind vor allem die Augenmuskeln von den Lähmungserscheinungen betroffen, es kommt zu Reflexverlusten und Koordinationsstörungen.
Wie erkennt der Arzt das Guillain-Barré-Syndrom?
Bei Verdacht auf das Guillain-Barré-Syndrom sollten Patienten sofort einen Spezialisten für Nervenkrankheiten aufsuchen. Dieser wird den Betroffenen zunächst nach dessen Krankengeschichte befragen, etwa, ob er vor kurzem eine Infektion hatte. Anschließend wird der Arzt bei einer körperlichen Untersuchung die Muskelkraft, die Reflexe und die Funktion der Hirnnerven überprüfen.
Um andere Ursachen für die vorliegenden Symptome auszuschließen, etwa eine Muskelerkrankung, eine Rückenmarksschädigung oder einen Bandscheibenvorfall, sind weitere Untersuchungen nötig. Beispielsweise kann eine Rückenmarkspunktion durchgeführt werden: Dabei wird dem Patienten mit einer Hohlnadel Rückenmarksflüssigkeit entnommen und diese im Labor untersucht. Mithilfe einer Blutanalyse lassen sich unter Umständen bestimmte autoaggressive Antikörper sowie der Erreger der vorangegangenen Infektion im Blut nachweisen. Darüber hinaus kann die Nervenleitungsgeschwindigkeit elektrophysiologisch gemessen werden – diese ist bei Menschen mit Guillain-Barré-Syndrom typischerweise verringert.
Sollten diese Untersuchungen zu keinem eindeutigen Ergebnis führen, kann eine Magnetresonanztomografie, kurz MRT, angeordnet werden. Sie ermöglicht ein detaillierteres Bild des Rückenmarks und der austretenden Nerven.
Wie wird das Guillain-Barré-Syndrom behandelt?
Da es keine ursächliche Therapie gibt, zielt die Behandlung auf die Symptome des Guillain-Barré-Syndroms ab. Eine vollständige Heilung ist dennoch möglich, insbesondere bei frühzeitigem Therapiebeginn. Die Patienten werden in der Regel auf die Intensivstation verlegt, um ihre Atem- und die Herz-Kreislauf-Funktionen gezielt überwachen zu können: Kommt es beispielsweise zu Atemlähmungen, kann für eine unverzügliche Intubation gesorgt werden. In schweren Fällen muss der Arzt den Betroffenen in ein künstliches Koma versetzen. Darüber hinaus versucht man, durch das Spritzen von Heparin die Entstehung von Thrombosen zu verhindern.
Um die Funktionen des Immunsystems wieder zu normalisieren, gibt es zwei Möglichkeiten: Man kann dem Betroffenen bestimmte Immunglobuline verabreichen, welche den autoaggressiven Antikörpern entgegenwirken. Oder man führt eine sogenannte Plasmapherese durch, bei der das Blut, ähnlich wie bei einer Dialyse, gereinigt und von den aggressiven Abwehrzellen befreit wird.
Die Gabe von Kortison kommt leidiglich beim chronischen Guillain-Barré-Syndrom infrage, das heißt bei der chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyradikuloneuropathie. Um die Beweglichkeit des Patienten zu fördern, verordnet der Arzt behandlungsbegleitend eine Physiotherapie. Auch eine Psychotherapie kann notwendig werden, da die Lähmungserscheinungen auf den Patienten beängstigend wirken können.
Wie kann ich dem Guillain-Barré-Syndrom vorbeugen?
Eine andere Bezeichnung für das Guillain-Barré-Syndrom ist „idiopathische Polyradikuloneuritis“. Der Fachbegriff „idiopathisch“ bedeutet, dass es keine erkennbare Ursache für die Krankheit gibt – in diesem Fall für die überschießende Reaktion des Immunsystems und die daraus folgende Nervenwurzelentzündung. Es gibt daher keine Möglichkeit, der Erkrankung vorzubeugen.
Wie sind die Heilungschancen beim Guillain-Barré-Syndrom?
Die Prognose ist in vielen Fällen gut. Bei etwa 70 Prozent der Betroffenen bilden sich die Symptome vollständig zurück, sodass keine Folgeschäden zu befürchten sind. Allerdings kann die Genesung einige Zeit in Anspruch nehmen.
Gut 20 Prozent der Patienten tragen eine dauerhafte Behinderung davon und leiden als Spätfolge des Guillain-Barré-Syndroms an Bewegungseinschränkungen und Schmerzen, was zu einer deutlichen Beeinträchtigung ihres Alltagslebens führen kann. Es sind Rückfälle und die Entwicklung einer chronischen Form des Guillain-Barré-Syndroms möglich.
Die Sterberate liegt bei etwa acht Prozent: Schwere Komplikationen wie eine Atemlähmung oder eine Lungenembolie können zum Tod des Patienten führen. Bei Kindern sind die Aussichten besser, sie tragen selten langfristige Schäden davon.
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